© Robert Galbraith, reuters

Peter Glaser: Zukunftsreich

Die Haare von Tim Cook

Ich erzählte meinem Besuch von einem Werbespot, für den die Animatoren ein Mädchen mit langen, wehenden Haaren erschaffen hatten. Die fertig gerenderte Szene habe etwas Unwirkliches an sich gehabt, das niemand sich so recht habe erklären können. Das Haar flackerte psychedelisch. Etwas stimmte auf eine ganz eigenartige Weise nicht. Nach einer langen, aufwendigen Fehlersuche stellte sich schließlich heraus, dass die Serverfarm, auf der die Bilder für die Animation berechnet worden waren, mit verschiedenartigen Prozessoren bestückt war. In den Tiefen der Nachkommastellen hatten die Chips unterschiedliche Ergebnisse geliefert. Eigentlich vernachlässigbar winzige Differenzen hatten sich aufsummiert und zu dem haarsträubenden Ergebnis geführt.

Haare und Computer sind eng miteinander verwoben. Das Haar ist zum Beispiel sowas wie ein Urmeter, wenn es um Leiterbahnen auf Mikrochips geht („dünner als ein Haar“). Dann platzte es plötzlich aus meinem Besuch heraus: „Tim Cook hat eine ganz, ganz merkwürdige Frisur!“

Leuchtkraft, die über das Charisma des Unternehmenslenkers hinausgeht

„Wiebiddä?“, fragte ich im Tonfall des Papageiverkäufers bei Monty Python.

Es sei doch sehr die Frage, ob jemand, der eine Firma wie Apple führt, nicht auch etwas Popstarmäßiges haben müsse. Eine Leuchtkraft, die über das bloße Charisma des Unternehmenslenkers hinausgeht. „Und Popkultur ist doch immer auch mit Frisuren verknüpft“, erläuterte der Besuch und wollte einen Kaffee, „Beatles mit Pilzköpfen. Punk mit Sicherheitslücken und Irokäse. Techno mit Glatze.“

Unglamourös

Die Frisur von Apple-Chef Tim Cook sei absolut unglamourös, um nicht zu sagen spießig. Sie sehe ein bißchen aus wie eine Perücke aus einem Homeshoppingkanal oder als habe er sich etwas experimentell Haarförmiges aus der Abteilung Research & Development aufgesetzt. Eigenartigerweise ist sie aber auch keine typische Nerd-Frisur, wie beispielsweise Bill Gates sie hatte, ehe seine Frau ihm eine neuen Friseur verordnet hat. Wovon sie etwas habe, das sei dieser internationale Nicht-Look von Wissenschaftlern, der zum Ausdruck bringt, dass der Träger jede Art modischer Anstrengung ablehne und die Frisur, algorithmisch gesagt, als eine optimierte Minimalfläche ansehe.

„FriSiri“, sagte ich. „Die revolutionäre Haarprachterkennung von Apple“.

„Awsome!“, sagte mein Besuch im Apple-Neuvorstellungstonfall.

„Zum ersten Mal gibt es reinen Sauerstoff in einer Creme”, sagte der Fernseher aus dem Nebenzimmer.

Unglaubliche Algorithmen, speziell um Haare in den Griff zu bekommen

Grafikglatzen

Ich stellte die Kaffeetassen hin, die Löffel auf den Untertassen klingelten alarmiert, und versuchte, das Gespräch wieder auf informatische Bahnen zu lenken. „Die Computergrafik“, sagte ich übergangsweise, „hat ja gewissermaßen auch mit Glatzen angefangen – mit spiegelnden Kugeln, die über Schachbrettern schweben. Bis hin zu den Virtuosen bei Pixar, die unglaubliche Algorithmen entwickelt haben, speziell um Haare in den Griff zu bekommen. Über die Software für die türkisen Haare für den Pelz von Sulley, dem Wuschelwesen aus „Monster Inc.“ gab es zum Teil längere Artikel als über den ganzen Film. Nichts, ausser vielleicht einem menschlichen Gesicht, ist schwerer überzeugend im Computer wiederzugeben als Haare. Und nichts ist banaler.

Der Besuch war von seiner zentralen Frage nicht abzubringen: Muß ein - äußerlich - so unscheinbarer Mann wie Tim Cook nicht auch Starqualitäten aufweisen, um eine Firma wie Apple mit allen Glanzlichtern in die Zukunft zu führen?

„Er macht doch einen guten Job“, sagte ich.

„Aber er macht keinen guten Jobs.“

„Sei nicht so. Er ist Tim Cook. Steve Jobs zu sein, ist kein Berufsziel. Außerdem“, sagte ich, „hatte Jobs, Gott hab ihn selig, ziemliche Geheimratsecken.“

„Versuch nicht, mich auszutricksen“

Starschnitt

Ich erzählte dem Besuch, dass ich als jüngerer Mensch einen Bravo-Starschnitt von Winnetou an der Schranktür hatte und dass ich immer noch davon traumatisiert bin, weil mir bis zuletzt das linke Bein von Winnetous fehlte. Ich versuchte mir Tim Cook als Starschnitt vorzustellen. „Warum nicht?“, sagte ich schließlich, „Andy Warhol war auch nicht schön und überall hängen Bilder von ihm.

„Überall hängen seine Bilder“, sagte der Besuch. „Nicht: Bilder von ihm. Versuch nicht, mich auszutricksen.“

„Hast du schon gehört? Apple soll angeblich Ende Oktober mit einem neuen Gerücht rauskommen.“

Dann sprach mein Besuch über Apple, die Plattenfirma, die 1968 von den Beatles gegründet worden war, und Apple, die Computerfirma, und dass diese Namensgleichheit einen tieferen Sinn hat. 30 Jahre hatte es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den beiden Firmen gegeben. „Die klassische gegen die neue Popkultur“, sagte der Besuch, und ich sah ihn vor meinem geistigen Auge mit einer Flüstertüte vor einer unüberschaubar großen Menschenmenge stehen. „Wir sind mit Popkultur groß geworden und die Popkultur mit uns. Das muß Tim Cook noch klarstellen.“

„Und nun die Erziehung der Lottozahlen“, sagte der Fernseher aus dem Nebenzimmer. Und dann war auch der Kaffee fertig.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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