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Fiction

Die Küche, die niemals verzeiht

„Sie werden zufrieden sein“, beteuerte Silvio, grinste breit und beugte sich zum Abschied über die Hand der Kundin. Ein angedeuteter Handkuss, ein zufällig eingestreutes „Gnädigste“, das an die gute alte Zeit erinnerte, eine leichte Verbeugung am Ausgang. Gesten, die in Vergessenheit geraten waren, aber nach denen seine Kunden gleichermaßen gierten wie die Kundinnen.

Hier in Silvios Küchenmanufaktur war man noch Jemand, hier wurde man eingeseift mit südländischer Freundlichkeit, eingetunkt in zuckersüße Komplimente: „Wunderbar, sehr guter Geschmack, Madame! Oh, was für ein schöner Anzug, mein Herr!“ Eine Show, für die viele gern bezahlten. Und bezahlen mussten sie nicht wenig, denn Silvios Küchen waren alle Unikate. Nur das Herzstück der Küchen war immer das gleiche. Eine Erfindung, die Silvio als erster auf den Markt gebracht hatte, und auch wenn etliche Möbelketten und Einrichtungshäuser versuchten, sie zu kopieren, gelang es bis heute doch keinem. Ein Herd, der eigenständig kochte, rührte und backte.

Würz-Assistent

Die neuesten Modelle würzten sogar nach, wenn die Sensoren im Backrohr die Dichte der Gewürze in den Speisen als unzureichend wahrnahmen. Möglich war das alles durch Greifarme, die sich ausklappten und blitzschnell Suppen pürieren konnten, Eischnee aufschlugen, Teig auf einem Backblech ausbreiteten und die Backformen in den Ofen schuben. Natürlich in der richtigen Höhe für das Backwerk. Das Gerät reagierte auf Sprachbefehle. Die Benutzer mussten nur noch die Zutaten bereitstellen und das gewünschte Endergebnis bekanntgeben. Aus wissenschaftlicher Sicht wäre es eigentlich nicht notwendig gewesen, den Tools die Form und das Aussehen von Armen zu geben.

Aber die Kunden mochten die Vermenschlichung von neuen Produkten, sodass man sogar ein Extra-Feature eingebaut hatte: Die Greifarme winkten der Kundin beim Verlassen der Küche zum Abschied zu. Ein Feature, das Kinder begeisterte. Auch Silvio winkte in diesem Augenblick noch ausdauernd den Neukunden nach. Dann ging er zurück durch das hohe gläserne Studio, in dem verschiedene Modelle seiner Küchen ausgestellt waren und trug die Bestellung mit ein paar Klicks in die Produktionstabelle ein. Selbstgefällig lächelnd blickte er auf die Summe und strich sich zufrieden über seinen perfekt geformten Kinnbart. Das würde ja ein schöner Urlaub werden, lachte er in sich hinein. Und Irmi könnte die lang geforderte Erhöhung des Forschungsbudgets bekommen. Zumindest einen Teil davon. Dann hätte er länger Ruhe vor ihr.

Silvio hieß eigentlich Kurt Steiner. Er hatte auch keine schwarzen Haare und keinen italienischen Akzent. Er war ein dunkelblonder Obersteirer, der sein Glück am Schopf gepackt hatte. Und wenn dieser Schopf vorher mit Shining Colours Nr. 201, schwarzbraun für Herren, bearbeitet werden musste, dann war es ihm auch recht.

Gefühl vermitteln

Kurt konnte kaum einen italienischen Satz vollständig formulieren, aber darum ging es auch nicht. Es kam darauf an, dem Gegenüber das Gefühl zu vermitteln, dass er es könnte, wenn er wollte. Und das konnte Kurt seit jeher gut. So hatte er auch Irmi für sich eingenommen, damals, als er vor ihrer Universität Gratisgetränke verteilte. Irmi, die treue, reizlose Irmi mit ihren dicken Brillengläsern und dem schüchternen Lächeln – Kurt seufzte sentimental, als er an sie dachte.

Was hatte er ihr alles erzählt! Dass er vorhätte, einen Biodrink zu entwickeln, für den er nur noch den richtigen Lieferanten bräuchte. Dass er nur vorübergehend bei ihr einziehen müsste, weil sein Hausbesitzer ein widerlicher Spekulant sei und sie alle aus dem Haus mobben würde. Dass sein Job im Autohaus nur zur Überbrückung gedacht wäre. Irmi hasste Autos. Sie waren für sie ein Sinnbild für die Rücksichtslosigkeit, mit der diese Welt zerstört wurde. Der angebliche Aushilfsjob im Autohaus war der Wendepunkt.

Ab diesem Zeitpunkt lebte Kurt, der kurz davor bei ihr eingezogen war, bequem von Irmis Geld. Irmi verdiente gut. Sie hatte schon während ihres Studiums in den Innovationsabteilungen großer Unternehmen gearbeitet. Sie war kreativ und sie tüftelte oft nächtelang, um ihre Ideen umzusetzen. Kurt hatte nichts dagegen, solange morgens Kaffee auf dem Tisch stand. Er mochte seine Frau – natürlich wurde schnell geheiratet als er begann, sein Leben zu genießen – und er fand, er hätte es nicht besser treffen können. Im Stillen jedoch, und so still musste er dabei gar nicht mehr sein, hatte Kurt kein Verständnis für Frauen, die im Berufsleben ihren Anteil forderten oder sogar Karriere machten, die viele komplizierte Sätze im Gespräch mit ihm verwendeten, mit unzähligen „Vielleichts“ und „Abers“ darin.

Eingeschüchtert

Kurt fühlte sich eingeschüchtert von solchen Frauen, er bekam Kopfschmerzen in ihrer Nähe und er spürte, dass ihre fragenden Blicke bei jeder Diskussion, bei der er strauchelte und stammelte, auf ihn herabsahen. Ihn demütigten. Ihn herausforderten. Er würde es ihnen schon zeigen, dachte er nach Abenden mit Irmis Kolleginnen vom technischen Institut.

Als der gesellschaftliche Backlash immer stärker wurde, die Konservativen Wahl auf Wahl gewannen und die Frauenzeitschriften immer öfter und immer schamloser ein Leben in den eigenen vier Wänden als Ideal aufs Titelblatt bugsierten, mit Kind und Kegel und schönen Low-Carb-Rezepten für die ganze Familie, da sah Kurt seine große Stunde gekommen. „Wir müssen Küchen machen“, sagte er eines Abends zu Irmi, die gerade Schaltpläne entwarf: „Küchen mit dem perfekten Herd.“

Irmi fand die Idee seltsam, aber Kurt konnte nicht viel und das nur schlecht, außer Menschen dazu verführen, das zu wollen, was er wollte. Also bearbeitete er Irmi mit Zärtlichkeiten und Schmeicheleien, mit falschen Versprechen und machte ihr weis, so ein Hightech-Herd würde Frauen entlasten, freier machen, Singles das Leben erleichtern und dadurch das traditionelle Rollenbild, das man mittlerweile wieder laut beschwören durfte, untergraben.

Irmi fing Feuer und zwei Jahre später saß er nun am Schreibtisch im Glaskubus seiner Küchenmanufaktur und leckte sich gierig die Lippen, als er die Einnahmen des Monats vor sich sah. Irmi hatte zunächst ihr Labor neben den Ausstellungsräumen gehabt, dann hatte er sie in einem anderen Teil des Gebäudes untergebracht, bis sie in den Keller gezogen war – wohin er die Bestellungen schickte und sie kaum noch zu Gesicht bekam. Er lächelte zufrieden. Alles hatte sich zum Besten für ihn gewandt. Sein Handy läutete in diesem Augenblick und eine aufgeregte Stimme war am anderen Ende. Eine Kundin berichtete atemlos, es habe einen Unfall gegeben. Einen furchtbaren.

Angriff

Der Herd, weinte sie, und ließ sich von Kurt kaum beruhigen, der Herd habe nach ihrem Sohn gegriffen und ihn verschlungen. Der Junge hätte schlimmste Verbrennungen und sie hätte ihn den Fangarmen kaum entreißen können. Kurt stotterte hilflos. Er versprach, ein Technikerteam vorbeizuschicken, alle Kosten zu übernehmen, auch die der Arztrechnungen. Gerade als er zitternd auflegte, kam ein Mitarbeiter in den Raum gelaufen. Panik zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Es ist was Schreckliches passiert, Chef“, sagte er. Kurt nickte. „Der Junge, ich weiß.“ Doch der Mitarbeiter schüttelte verwirrt den Kopf. „Kein Junge, ein Pensionist, der bei seiner Tochter wohnt. Der Herd hat nach ihm gegriffen ...“

Das Zimmer begann sich vor Kurt zu drehen. Er griff nach dem Tisch, doch seine schweißnasse Hand glitt von der Glasplatte ab. Wieder läutete sein Handy. Ängstlich starrte er es an, hob schließlich ab und vergaß dabei völlig seinen italienischen Akzent. „Mein Mann!“, schrie eine Frauenstimme in sein Ohr. Sie klang hoch und schrill. Kurt ließ das Handy fallen. Er wankte aus dem Raum, vorbei an seinem Mitarbeiter, der sich erschrocken in ein Eck gekauert hatte. Kurt lief die Treppe nach unten und stolperte dabei. Er kam in einen schäbigen, schlecht beleuchteten Gang im Keller und rannte weiter. „Irmi!“, schrie er verzweifelt und seine Stimme klang wie die eines ängstlichen Kindes. Er öffnete die Tür zum Labor und da war sie. Sie saß auf einem Drehstuhl, trug ihren weißen Mantel, setzte die Brille ab – und lachte.

Braten

Sie lachte laut und herzhaft. Und dann sagte sie nur ein Wort, laut und bestimmt: „Braten“. Kurt spürte, wie sich Greifarme um seine Taille schlossen, er strampelte und wehrte sich so gut er konnte. Chancenlos. Er spürte, wie der Herd näher kam, die Hitze an seinen Beinen, er schrie. Doch es war zu spät. Der Braten war schon in der Röhre.

Barbara Kaufmann hat an der Wiener Filmakademie Drehbuch studiert und lebt als freie Filmemacherin und Autorin in Wien. Sie wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Carl Mayer Drehbuchpreis.

Sie war langjährige freie Mitarbeiterin bei Ö1, hat für ORF und ATV gedreht, Texte für das Magazin Datum verfasst und war leitende Redakteurin bei NZZ.at. Aktuell schreibt sie eine Kolumne in der Tageszeitung KURIER und arbeitet am Drehbuch für ihren ersten Spielfilm.

Die erste Kurzgeschichte: Workout bis ans Ende der Welt

Die zweite Kurzgeschichte: Nur nicht den Kopf verlieren

Am Montag (1.1) lest ihr die vierte Kurzgeschichte: Vitrine 6, Reihe 2, 21. Jahrhundert

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