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Peter Glaser: Zukunftsreich

Die Neuerfindung des Rades

Tansu nennt man in Japan eine bestimmte Art von Kommode, die aus dem 17. Jahrhundert stammt. Typisch für das Möbelstück ist, dass es leicht zu bewegen ist, oft auf eingebauten Rollen. Und es erzählt uns etwas über die Bedürfnisse und Probleme bei der Produktion von beweglichen Dingen. Etwas eigentlich Immobiles wird mobilisiert und mit Design kombiniert.

Für die Räder gab es zwei Gründe. Eine traditionelle japanische Wohnung ist eher leer und die Tansu war nur zu bestimmten Gelegenheiten zu sehen. Die übrige Zeit wurde sie in Lagerräumen nahbei abgestellt, sozusagen in Garagen, um nochmal auf die Räder anzuspielen. Es gab auch Sicherheitsgründe. Falls ein Brand ausbrechen sollte, konnte eine fahrbare Kommode sicherstellen, dass ihr wertvoller Inhalt gerettet würde, so jedenfalls die Annahme.

Während eines Großbrands 1657 in der Stadt Meireki waren die Straßen voll mit den „großen Schränken auf vier Rädern“, die sich gegenseitig blockierten und die Menschen an der Flucht hinderten. Es ging also nicht darum, ob Schränke Räder haben sollten oder nicht, sondern darum, wie die Besitzer der Schränke zu einer Übereinkunft finden konnten, die Schränke im gemeinsamen Interesse zu bewegen, speziell in Notfallsituationen. Es ging um Flottenmanagement.

Selbstfahrende Koffer

Inzwischen haben wir eine veränderte Lage. Es fahren deutlich mehr Autos als Schränke auf den Straßen. Und Schränke haben heutzutage nicht einfach nur Räder, sondern sie sind durchaus auch ferngesteuert und mit dem Internet verbunden. Hier beispielsweise ist ein autonomer Karteikasten zu sehen, den der britische Designer Jaap de Maat konstruiert hat und der einem folgt wie ein Hund. Oder dieser selbstrollende Koffer namens Hop, der nach einem Bluetooth-Signal aus dem Smartphone seines Besitzers Ausschau hält und ihm hinterherfährt. Geht das Signal verloren, hält der Koffer an und sendet eine Textnachricht an den Kofferführer.

Wir haben hier also Smart Driving auf verschiedenen Levels. Diese Levels könnte es in absehbarer Zukunft auch ganz konkret geben – autonome Fahrzeuge, die sich auf verschiedenen Ebenen bewegen, um Staus zu vermeiden. Es könnte beispielsweise Fahrebenen für Leute geben, die es eilig haben, Ebenen für Menschen, die gern gemütlich fahren und Ebenen für Freunde der Durchschnittsgeschwindigkeit.

Die hohe Kunst des Parkens

Um noch einmal auf Japan zurückzukommen: Zwischen Tokio und Yokohama erstreckt sich die derzeit weltgrößte metropole Ausdehnung mit mehr als 40 Millionen Einwohnern, die in für Europäer zum Teil unvorstellbarer Enge leben. Sie haben auch die Kunst des Parkens in diesem superdichten Stadtraum hoch entwickelt und arbeiten an einer weiteren Form unterschiedlicher Ebenen, und zwar in stationärer Form.

Mit dem 20. Jahrhundert begann der Aufstieg des Automobils und an der Wende zum 21. Jahrhundert begann der bemerkenswerte Erfolg vernetzter Computer. Nun verbinden sich die beiden Welten miteinander, mit weitreichenden Folgen. Nicht nur, dass wir zunehmend vernetzte Autos fahren. In einer Zukunft, die leicht mit der Gegenwart zu verwechseln sein wird, werden wir von autonomen Fahrzeugen versorgt und transportiert werden. Und nicht nur Menschen und Autos werden immer enger miteinander verbunden sein, sondern nahezu alles. Das Netz ist im Begriff, sich in eine neue Umweltbedingung zu verwandeln.

Der fabelhafte Cola-Automat

Auf dem Weg dorthin begegnet uns als neuer Begriff das Internet der Dinge. 1982 schlossen drei Studenten der Carnegie Mellon University in Pittsburgh ein paar Sensoren an einen Cola-Automaten. Um die Signale an ihren Computerterminals auslesen zu können („Ist der Automat gefüllt?“), benutzten sie das Internet-Protokoll. Das Rechenzentrum und die Terminal-Räume waren drei Stockwerke von dem Automater entfernt und die Studenten zu faul, das Risiko einzugehen, der Automat könne leer sein, wenn sie sich auf den Weg machten. Ein Nebeneffekt dieser fabelhaften Idee war, dass nun Menschen von überall auf der Welt über das Internet nachsehen konnten, ob Cola in der Maschine in Pittsburgh war.

Jetzt sind es nicht mehr nur Cola-Automaten, die ans Netz gehen, sondern alles. Der Rasensprenger wird sich mit der Wettervorhersage ins Einvernehmen setzen. Der Ohrring wird beim Arzt - oder dessen Assistenzsystem - anfragen, weil der Blutdruck zu hoch ist. Und das Auto, in dem man gerade gefahren wird, wird sich mit der Verkahrsampel unterhalten, mit den anderen Autos rundum und vielleicht auch mit der KFZ-Versicherung.

Mehr leere Garagen!

Die Autoverkäufe gehen zurück, könnte das etwas bedeuten wie „die Dinge verschwinden im Netz“? Wenn weniger Autos verkauft werden, bleiben mehr Garagen leer. Und das könnte eine große Chance sein. Wie jeder weiß, ist die Garage die Geburtsstätte moderner Innovationen. Und mehr Platz für Experimente könnte zu noch viel mehr eindrucksvolleren Erfindungen führen.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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