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E-Commerce stellt die Handelslandschaft auf den Kopf

E-Commerce stellt die Handelslandschaft auf den Kopf

Vor einigen Tagen hat die Österreichische Post das Paket an der Schnur als Zustellneuigkeit für Ihre Kunden präsentiert. Im Februar hat Google ein weltweites Patent eingereicht: Das selbstfahrende Zustellfahrzeug. Ein Lieferwagen mit Schließfächern – ohne Lenker – der selbständig von Kunde zu Kunde fährt. Der Käufer kann das Schließfach mit einem ihm zugesendeten PIN Code oder seiner Kreditkarte öffnen und die bestellten Einkäufe entnehmen.

Googles fahrerloses Zustellauto – eine realistische Alternative zu Amazons Zustelldrohnen und der "Paketschnur" der Post? Wir erinnern uns: Amazon hatte wenige Tage vor Weihnachten 2013 bekannt gegeben, seine Pakete zukünftig mit selbststeuernden kleinen Hubschraubern - sogenannten Drohnen - zuzustellen. Diese Science Fiction-Szenen sind näher an der Wirklichkeit als wir ahnen.

Internetkäufer als Innovationstreiber

Großbritannien ist europäischer Spitzenreiter bei Internetkäufen, In England wird bereits jeder siebente Einkauf online abgewickelt. Österreichische Kunden liegen beim Kauf im Internet etwas dahinter, holen aber zunehmend auf.

Haben sich die Einkäufe im Internet vor kurzem noch auf Bücher, CD’s oder Bekleidung beschränkt, so wird heute buchstäblich alles durch das Internet angeboten und gekauft - und geliefert. Haushaltswaren genauso wie Sportartikel; Gesundheits- und Schönheitsprodukte ebenso wie Haus- und Garten-Equipment, Baby- und Kinderwaren, Uhren und Schmuck, Auto- und Motorradzubehör. Ganze Möbel und als nächster großer Trend: frische Lebensmittel.

Verstopfte Straßen und Parkplatzmangel, lange Anfahrtswege zu Einkaufszentren, unzureichende Auswahl oder mangelnde Vergleichsmöglichkeiten machen genussvolles Einkaufen für viele Menschen unmöglich. Wer Komfort und Stressfreiheit sucht, bleibt gemütlich in den eigenen vier Wänden sitzen und lässt vor sich am Bildschirm die ganze Einkaufswelt antanzen. Transparent, sauber und einfach. Das Internet bietet die beste Auswahl mit schier endlosen Vergleichsmöglichkeiten - kein Shopping Center kann hier mithalten. Wenn dann auch noch Bezahlung und Lieferung ähnlich komfortabel sind, ist das Einkaufsglück vollkommen.

Diesen Trend zum E-Commerce haben sich einige Unternehmen zu Nutze gemacht und gigantische globale Einkaufsplattformen geschaffen. Amazon, Ebay, Google und Apple teilen sich rund 40 Prozent aller Internetverkäufe in Europa und Nordamerika. In China ist mit Alibaba ein wirtschaftlicher Riese auf die Weltbühne getreten, neben dem alle anderen wie Miniaturen aussehen. An dem von ihm erfundenen “Singles Day” hat Alibaba letztes Jahr 260 Millionen einzelne Käufe im Internet abgewickelt. Davon rund 180.000 Autos - an einem einzigen Tag.

China ist nicht Österreich und in den rasant wachsenden Millionenstädten Asiens gibt es kaum Altstädte oder Einkaufsmeilen, aber die Situation in England und Nordamerika ist durchaus mit jener in Europa und Österreich vergleichbar. Wer genau hinsieht, erkennt hier die gleichen Phänomene wie in China – nur zeitverzögert.

Futuristische Ideen für die Zustellung von Paketen

Viele Ideen zeigen, welch unglaubliche Innovationskraft vom E-Commerce ausgeht und welche Anstrengungen große Unternehmen und ihre hellsten Köpfe unternehmen, um uns – den Kunden – das Einkaufen zu erleichtern. Der potentielle Käufer genießt einen immer höheren Grad an Auswahl, Vergleichbarkeit und Komfort. Das Angebot im Internet wird ständig breiter, die Preise transparenter und die Bestellungen einfacher und sicherer. Einen noch nie dagewesenen Komfortzuwachs wird der Kunde aber bei der Zustellung seiner Einkäufe erfahren. Auch das selbstfahrende Zustellfahrzeug wird bald nicht mehr nur Zukunftsmusik sein.

Eines der Extras beim neuen Mittelklasse-Modell von Mercedes ist der sogenannte “Drive Pilot”. Das Auto wird programmiert und fährt vollständig autonom: Lenken, Bremsen, Gasgeben und Spurwechseln inklusive. Alle zehn Sekunden muss “der Fahrer” beweisen, dass er noch wach ist. Den Rest macht das Auto wie von selbst. Die Zustellung von Internet-Einkäufen per Auto-Roboter ist da nur der logische nächste Schritt.

Die Österreichische und die Deutsche Post testen mit Unterstützung eines großen Automobilherstellers die sogenannte Kofferraum-Belieferung. Der Kunde gibt dem Internethändler die Daten seines Autos und schaltet die entsprechende Aufsperrberechtigung für den Kofferraum frei. Auf Anfrage des Zustellers gibt das Auto die Information bekannt, wo es steht. Der Zusteller fährt zum angegebenen Ort, öffnet mit einem Handy den Kofferraum – alles andere bleibt verschlossen - und legt das Paket hinein. Wenn der Kunde zu seinem Auto kommt, ist das bestellte Paket bereits da.

Komfort ist Trumpf

Will man heute sein Paket so bald als möglich erhalten, muss man buchstäblich zu Hause warten, um den Zusteller ja nicht zu versäumen. Wenn man ihn trotzdem nicht antrifft, bleibt nur ein meist färbiger Zettel im Postkasten oder an der Tür zurück. Dies bedeutet nicht nur einen unnötigen zusätzlichen Weg - tunlichst innerhalb der vorgegebenen Öffnungszeiten - zum nächsten Postamt bzw. der angegebenen Hinterlegungsstelle, sondern auch die inständige Hoffnung auf kurze Wartezeiten und vereinbarungsgemäße Hinterlegung des Paketes.

Zukünftig wird es der Kunde selbst sein, der die Zustellung steuert. Über eine mobile App auf seinem Handy wird er verständigt, dass sein Paket zustellungsbereit ist. Dann kann er selbst Wunschzeit und Wunschort der Zustellung festlegen oder auch bestimmen, wo und wann er das Paket lieber selbst abholen möchte. Bei gewünschter Zustellung wird dem Käufer zwecks erhöhter Sicherheit ein Foto des Zustellers sowie dessen KFZ-Kennzeichen über die App aufs Handy geschickt. Nach der Dienstleistung erhält der Kunde eine neue Nachricht mit der Möglichkeit, die Zustellung sowie seine Zufriedenheit mit der Leistung des Zustellers zu bewerten. Der Zusteller weiß, dass eine gute Bewertung Teil seiner Bezahlung ist und wird sich deshalb besonders bemühen, pünktlich beim Kunden einzutreffen. Das Taxiunternehmen Uber arbeitet erfolgreich mit diesem Konzept.

Der Kunde wird zum Internetkönig

Was wir heute im Bereich E-Commerce und Internet-Shopping erleben, ist erst der Anfang. Viele neue Dienstleistungen werden noch entstehen, getestet und angeboten werden. Es macht sich für jeden Käufer in Bezug auf Preis und Komfort bezahlt, offen auf diese neue Shopping-Welt zuzugehen und die Angebote aufgeschlossen und kritisch in Anspruch zu nehmen. Denn wie einst vor fast 200 Jahren wird auch diese Revolution vom Kunden gesteuert und nach seinen Bedürfnissen weiterentwickelt. Wer nicht mitsteuert, der muss nehmen was kommt.

Was aber bedeutet diese Entwicklung für die Wirtschaft, den Handel, die Zusteller, die Post und alle anderen Dienstleister? Sie stehen vor der größten Veränderung seit der Erfindung der Warenhäuser vor fast 200 Jahren. Neue innovative Unternehmen werden aus dem Boden schießen. Jene, die den Kunden das bieten, was ihnen das Leben erleichtert, werden die Führung übernehmen. Denn wie bei allen Dingen, die unser Leben leichter machen: Haben wir uns erst einmal daran gewöhnt, wollen wir nicht mehr darauf verzichten.

Für Händler, Postgesellschaften und andere Beteiligte heißt es, wach und innovativ zu sein. Jenen Unternehmen, die diesen Trend verschlafen, wird es gehen wie ihren Vorgängern damals, als das gute alte Vierteltelefon vom Handy abgelöst wurde. Es wird Ihnen ergehen wie manchen Herstellen von Faxgeräten, Kodak-Filmen, Diaprojektoren oder Videokassettenrekordern: sie werden bestenfalls die Stars auf Retro-Ausstellungen sein.

E-Commerce gibt es und E-Commerce nimmt es. Die Karten werden gerade neu gemischt.

Über den Autor

Herbert Götz war von 2004 bis 2011 Privatkunden- und Filialvorstand der Österreichischen Post AG. Seit 2012 leitet er als Direktor der International Post Corporation IPC das größte E-Commerce Programm der weltweiten Postindustrie und zählt zu den anerkannten Experten im Bereich E-Commerce.

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