© Mark Blinch, Reuters

Peter Glaser: Zukunftsreich

Ein Heer aus einem Soldaten

Ich habe das Programmieren gelernt zu einer Zeit, in der einem gar nichts anderes übrigblieb als einen Computer zu programmieren. Man schaltete ihn ein und er erwartete Programmbefehle, so einfach war das. Man war ein General mit einem Heer, das einen Soldaten groß war. Manchmal programmiere ich immer noch ein bißchen, eine alte Angewohnheit. Mein Großvater hatte die Angewohnheit, bei Ferngesprächen ins Telefon zu schreien, auch als die Leitungen schon digital und die Verbindungen ganz klar waren. Ich habe die Angewohnheit, manchmal zu programmieren, Kleinigkeiten, zu meinem Vergnügen.

Streng logisch, also dem natürlichen Denken zuwiderlaufend
Viele stellen sich Computercode immer noch als ein Mysterium vor, kryptisch wie Zwölftonmusik und streng logisch, also dem natürlichen Denken völlig zuwiderlaufend. Heute braucht man eigentlich keinen Gedanken mehr an`s Programmieren zu verschwenden (odr man denkt an nichts anderes mehr). Man streicht heute mit dem Finger zärtlich über Benutzeroberflächen, ein sonderbarer Begriff übrigens, der mich immer als erstes an die Oberfläche des Benutzers denken läßt, die Haut also. Mensch und Maschine, soviel heißt das wohl, sind sich inzwischen denkbar nahe. Schön ist es an der Oberfläche, wozu soll ich in den Maschinenraum?

So viele Fehler in so kurzer Zeit wie niemals zuvor
Es liegt mir fern zu fordern, dass jeder programmieren lernen soll. In ein paar Berufen, etwa im Journalismus, kann es nützlich sein. Früher dachte ich: Ein Computerbesitzer, der nicht programmiert, ist wie jemand, der sich ein Auto kauft und dann aber nicht damit fährt, sondern sich nur ab und zu reinsetzt und den Motor startet, um im Autoradio Musik zu hören. Heute weiß ich: Das wirklich Neue am Computer ist, dass er uns die Möglichkeit gibt, so viele Fehler in so kurzer Zeit zu machen wie niemals zuvor in der Geschichte. Dabei reicht manchmal schon ein einziger kleiner Fehler. 1962 hat die Nasa ihre erste interplanetarische Raumsonde Mariner 1 verloren, weil im Programmcode der Raketensteuerung ein einzelner Querstrich fehlte.

Große Zahlen: Hunderttausend Küsse
Ich kann Leute verstehen, die Vorurteile gegen das Programmieren haben. Schon im Alten Testament steht: „Und der Satan stand wider Israel und reizte David, dass er Israel zählen ließe" (1. Chronik, 21). Sprachen, in denen vorwiegend in Zahlen gesprochen wird, erwecken Unbehagen. Abgesehen von den hunderttausend Küssen am Ende von Briefen gehören Zahlen, vor allem große Zahlen, seit jeher zu den Insignien der Macht. Das höchste Zahl-Zeichen der alten Ägypter, die Million, stellt einen einfachen Mann dar, der kniet und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt.

Die Welt, zu Ziffernpulver zermahlen
Computercodes scheinen manchem den beklemmenden Eindruck einer Welt zu vermitteln, in der alles zu einem einheitlichen Ziffernpulver zermahlen wird, atomisiert zu monotonem Bits. Null und Eins - das ist es, was heute zählt. Man sollte sich aber immer in Erinnerung halten, dass ein Computer im Grunde genommen nicht einmal bis Zwei zählen kann, das allerdings rasend schnell.

Am Geistesgummi drücken
Für Marshall McLuhan ist die Sprache eine Ausweitung des Gesichtssinns, die Zahl eine Ausweitung des Tastsinns. Demgemäß hilft mir der Computer, einen Mangel an Tastempfinden zu beheben, indem er mich die Dinge, die ich nicht begreifen kann eben besehen läßt. Mir ist in der Schule arithmetisch nie so richtig klargeworden, was es beim Kreis mit Sinus und Cosinus auf sich hat (obwohl ich bei Prüfungen merkwürdiger Weise ordnungsgemäß damit operieren konnte - man muß Dinge nicht unbedingt verstehen, um sie richtig machen zu können). Erst Jahre später am Computer, wo ich an der Kreisformel wie an einem Stück Geistesgummi drücken und quetschen und mir immer wieder auf den Bildschirm zeichnen lassen konnte, was sich dadurch veränderte, ging mir der Knopf auf.

Wenn ein Mathematiker mir beim Programmieren zusehen könnte, würde es ihm wahrscheinlich die Schuhe ausziehen. Wie viele ambitionierte Code-Kneter, so bin auch ich ein Mathemusiker. Ich genieße es als einen Zugewinn an Selbstbewußtsein und kreativem Vergnügen, in kniffligen Formeln, die Zahlentheoretiker sich in langer Denkarbeit abgerungen haben, unbekümmert herumzumatschen, bis sie sehenswerte Ergebnisse liefern. Wenn ich irgendwo eine schöne Formel finde, freue ich mich wie über ein neues, wohlklingendes Instrument, auf dem ich Musik für die Augen spielen kann. Dann tauche ich wieder auf und schwimme dem Mauspfeil hinterher über mein Desktop.

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Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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