Klimaprotest auf der Straße
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Meinung

Klimaproteste: Wie denn sonst?

Dass eine Generation, die ihre künftige Lebensqualität in Gefahr sieht, in so einer Situation zu drastischen, polarisierenden Maßnahmen greift, ist logisch

Die Klima-Kontroverse ist rauer geworden: Junge Menschen kleben sich auf der Straße fest, andere veranstalten Schüttaktionen in Museen. In Lützerath versuchten Tausende, den Abbau von Braunkohle zu verhindern. Manche finden das großartig, andere finden es furchtbar. Fest steht: Der Protest polarisiert. Aber ist das wirklich die beste Strategie? Helfen solche Aktionen, oder schrecken sie eher ab?

Es muss etwas geschehen

Dass die Situation ernst ist, weiß man längst: Tier- und Pflanzenarten sterben aus, was das für das ökologische Gleichgewicht unseres Planeten bedeuten wird, ist noch kaum absehbar. Manche Regionen der Welt werden unbewohnbar, in anderen wird Landwirtschaft deutlich schwieriger. Beides wird zu gewaltigen Migrationsbewegungen und politischer Instabilität führen. Doch obwohl wir längst klimafreundliche Technologien hätten, bauen wir sie nicht schnellstmöglich aus, sondern stecken immer noch Milliarden an Steuergeld in direkte oder indirekte Förderung von Klimazerstörung.

Dass eine Generation, die ihre künftige Lebensqualität in Gefahr sieht, in so einer Situation zu drastischen, polarisierenden Maßnahmen greift, ist logisch. Vorwerfen kann man der Klimabewegung vielleicht, entlang der falschen Linien zu polarisieren: Man trifft mit den Aktionen nicht die größten Klimazerstörer, sondern Leute, die rein zufällig in der blockierten Straße im Auto sitzen. Man ärgert nicht Ölkonzerne, sondern Museumsbesucher.

Wenn die Trennlinien falsch gezogen werden, dann finden sich Menschen, die durchaus Sympathie mit der Klimabewegung hätten, plötzlich auf der anderen Seite dieser Trennlinien wieder. Man sagt ihnen nicht: „Komm, mach mit uns mit!“, sondern: „Du gehörst nicht zu uns!“ Das Ziel wäre, einen möglichst großen Teil der Bevölkerung hinter sich zu scharen. Ist es da nicht unklug, Leute zu verärgern? Warum wird also nicht vor Parteizentralen protestiert? Vor Tankstellen? Oder Kohlekraftwerken? Nun, solche Proteste gab es bereits. Es hat nur niemanden wirklich interessiert.

2019 wurde die Kohlezufuhr zum Kohlekraftwerk Mannheim blockiert. 2021 das Kohlekraftwerk Neurath. 2022 das Kohlekraftwerk Jänschwalde. Gab es damals lobende Leitartikel über diesen punktgenau treffenden Protest? Nein. Solche Aktionen verkommen zur Randmeldung in den Regionalnachrichten. Wenn aber Tomatensuppe auf einen verglasten Van Gogh geschüttet wird, dann hat man weltweite mediale Präsenz.

Wer die Klimaproteste unpassend findet, muss also klar sagen: Welche Form des Protests wäre denn besser? Wie soll die Klimabewegung sonst etwas bewegen? Mit freundlichen Briefen? Mit Aufklärung und Wissenschaftskommunikation? Mit emotionalen Reden bei feierlichen Veranstaltungen? All das wurde ausprobiert, es hat offensichtlich nicht gereicht. Wenn freundlicher Protest nichts nützt, darf man sich über schärferen Protest nicht wundern. Man kann nicht zuerst zahme Proteste ignorieren und dann weniger zahme Proteste mit gutbürgerlichem Entsetzen als skandalöse Unerhörtheit verurteilen.

Was heißt hier „radikal“?

Ist alles an den Klimaprotesten gut? Sicher nicht. Gab es einzelne Aktionen, die falsch und kontraproduktiv, vielleicht sogar gefährlich waren? Zweifellos. Aber noch nie gab es gesellschaftlichen Wandel, bei dem alles vorbildlich und strahlendsauber ablief, bei dem nur gute Ideen umgesetzt wurden, bei dem niemand übertrieben hat. Wenn man von der Klimabewegung moralische Perfektion fordert, dann stellt man Ansprüche, die noch nie jemand erfüllen konnte.

Angesichts dessen ist es befremdlich, wie scharf die Klimabewegung in letzter Zeit oft kritisiert wird: Wenn von „Ökoterrorismus“ die Rede ist, oder von einer „Klima-RAF“, wenn man ernsthaft die Ausweitung gesetzlicher Maßnahmen diskutiert, um Klimaproteste besser niederdrücken zu können, dann ist das lächerlich. Vielleicht sollte man zuerst mal nachlesen, wie Protest und Eskalation in den 1960er und 1970er Jahren aussah.

Natürlich ist es ärgerlich, wenn man im Stau feststeckt, weil sich Klimaprotestierende auf der Straße festgeklebt haben. Aber verglichen mit den Schäden, die jeden Tag durch klimaschädliches Verhalten entstehen, ist das völlig irrelevant. Ja, vielleicht gibt es bessere Protest-Ideen. Wer eine hat, sollte sie äußern. Die Klimabewegung wird sie wohl mit Freude aufnehmen.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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