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Peter Glaser: Zukunftsreich

Guckbook

Als etwas nervöse Reaktion auf das bereits im Testbetrieb überraschend erfolgreiche neue Sozial-System Google+ kündigte Facebook-Chef Mark Zuckerberg vor ein paar Tagen kurzerhand „something awesome“ an – etwas ehrfuchtgebietendes Neues. Am Donnerstag wurde es in einem Live-Webcast enthüllt: Es ist ein Videochat. Bei Google+ nennt es sich „Hangout“, wenn mehrere Nutzer zu der lässigen Version einer Videokonferenz zusammenkommen. Bei Facebook gibt es nun einen ähnlichen Dienst, der gemeinsam mit der Firma Skype entwickelt wurde, die das Internet-Telefonieren populär gemacht hat.

Ehrfuchtgebietend? Ein Video-Chat?

Ich mag die Bildtelefonie, weil sie mir Hoffnung gibt. Manche Menschen meinen, die neuen Technologien würden uns schlicht überrollen, ob wir nun wollen oder nicht. Die Bildtelefonie zeigt, dass es Technologien gibt, die - seit Jahrzehnten - verfügbar sind, die aber keiner so richtig will. Auch Chatroulette, das jüngste Sichaufbäumen der Bildtelefonie, ist bereits wieder von uns gegangen.

Ich hatte in den Achtziger Jahren eine zeitlang ein Bildtelefon, das hab ich aber nach ein paar Wochen wieder verschenkt. Um jemandem auf der anderen Seite etwas zu zeigen, brauchte man vier Hände: zwei, um das zu zeigende Objekt festzuhalten, eine, um zu verhindern, dass das kleine Bildtelefon wegrutscht, und eine, um auf den Knopf für die Übertragung zu drücken. Einmal habe ich das Gerät verwendet, um in einer Redaktion - die mit einer entsprechenden Gegenstelle ausgestattet war - den Anschein zu erwecken, ich hätte einen Artikel schon so gut wie fertiggeschrieben. Ich hielt einen Fächer aus irgendwelchen beschriebenen Seiten in die Kamera. Die Darstellungsqualität war so schlecht, dass man nicht erkennen konnte, was darauf geschrieben stand. Die meiste Zeit habe ich das Bildtelefon als Rasierspiegel verwendet. Der Klappfuß meines alten Tischspiegels war ausgeleiert und fiel immer um, und die Auflösung der integrierten Videokamera reichte, um eine Bartspur zu erkennen.

Dazu verdammt, futuristisch zu sein
Am 1. Dezember 1927 wurde auf einer Leitung zwischen Berlin und Wien der erste öffentliche Bildübertragungsdienst im Bereich der Deutschen Reichspost aufgenommen. Im Jahr darauf erschien in der „Berliner Illustrirten Zeitung” unter dem Titel „Wunder, die unsere Kinder vielleicht noch erleben werden” ein Bericht, der auch heute nichts von seiner Frische verloren hat: „Seit einigen Monaten hat es den Anschein, dass die Radio-Television, das heißt die Übertragung eines lebenden Bildes von einem Sender aus, im Laboratorium verwirklicht worden ist. In wenigen Jahren wird man bestimmt mit Hilfe eines Apparates, der drahtlos funktioniert und vielleicht Telephotophon heißen wird, seinen Partner zur gleichen Zeit sehen und sprechen hören. Und Taschenmodelle werden die Fortsetzung einer angefangenen Unterhaltung mit einen Freund auch auf einer Reise oder einem Spaziergang ermöglichen."

Anläßlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1936 wurde zwischen Berlin und Leipzig der erste „Fernsehsprechdienst” der Welt eröffnet (vorrangig zur Übermittlung von Polizeifotos). Aus der Science Fiction ist das Bildtelefon - ob als Televisor, Visiophon oder Hypercom - seither nicht mehr wegzudenken. Commander McLaine vom schnellen Raumkreuzer Orion VIII schielt damit seinem Verbindungsoffizier Tamara Jagellowsk in den Ausschnitt. Perry Rhodan, der Chef des Solaren Imperiums, sichtet per Bilddirektverbindung ebenso Einzelheiten der Endlosigkeit wie Captain Kirk von der Enterprise. Hyperrealistisch mutet das Bildtelefon in Stanley Kubricks „2001 - A Space Odyssee" von 1968 an, von dem aus Vati, auf Montage in der Raumstation, mit Frau und Kind spricht und später auf der Fahrt zum Jupiter, inklusive entfernungsbedingter Zeitverzögerung, Geburtstagsgrüße von den Eltern empfängt.

Es ist das Schicksal des Bildtelefons, futuristisch zu sein. Zu einem realen Massenmedium wollte sich die Telephotophonie nicht und nicht mausern, obwohl seit Jahrzehnten verkündet wird, sie stehe kurz vor dem großen Durchbruch. Auch Sex als sozusagen Standard-Innovationshilfe bei der Verbreitung neuer Technologien half bisher nur beschränkt. Dem Chef der dänischen Telefongesellschaft Jydsk Telefon mißriet im Dezember 1996 eine Videokonferenz zu einer Art von illustriertem Telefonat. Statt seiner Ansprache wurde ein Pornovideo eingespielt und in die Konferenzräume in mehreren Städten übertragen. Zu den bewegten Bildern hörte man, immerhin, seine Rede.

Ohne Bild läßt sich viel schöner lügen
An modernen Bildtelefonen, das heißt, Rechnern und Smartphones mit eingebauter Kamera, vergewissert man sich am besten erst einmal seiner selbst, ehe man die Bildverbindung freischaltet. Die Geräte haben dazu meist eine Art „Mirror”-Modus. Man sieht nach, ob die Frisur sitzt und ob irgendwo im Hintergrund noch ein totes Pferd liegt. (Am Telefon würde niemand erst einmal eine Sprechprobe machen, ehe er anruft).

Um seinem Chef per Bildtelefon glaubhaft zu machen, dass einem unwohl ist und man nicht zur Arbeit kommen kann, muß man sich allerdings erst einmal grünlich schminken und dann auch noch schauspielern – ohne Bild läßt sich viel leichter lügen. Und nicht nur da. Aufräumen muß man, wenn denn die große Stunde des Bildtelefons einmal kommen sollte, vielleicht nur noch ein einziges Mal im Leben. Das saubere Büro oder die glänzende Wohnung wird aufgenommen und fortan als virtuelle Kulisse in den Hintergrund der Bildverbindung eingeblendet. Video-Chats zeigen bisher allerdings, dass die meisten nicht nur zu faul zum Aufräumen sind, sondern auch zu faul, andere darüber hinwegzutäuschen.

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