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Peter Glaser: Zukunftsreich

Hellsehen mit Software

Man bekommt immer mehr Dinge vorgeschlagen, wie Wienerschnitzel. Aber einen Fleischklopfer, der meine Texteingaben abflacht, brauche ich nicht.

Manchmal ist es nützlich, wenn man korrigiert wird. In dem Monty-Python-Film „Das Leben des Brian“ etwa werden anlässlich der Bergpredigt ein paar in größerer Entfernung zu Jesus stehende Zuhörer gezeigt, die Verständigungsschwierigkeiten haben. „Was hat er gesagt? Gepriesen sind die Skifahrer?” Es kommt zu einem handfesten Tumult in der Menge. Im englischen Original verstehen die Zuhörer statt „Blessed are the Peacemakers“ - („Selig die Friedfertigen“) das phonetisch ähnliche „Cheesemakers“ als Seligsprechung aller, die Molkereiprodukte erzeugen.

Manche Versionen von Pages aber, einem meiner Schreibprogramme, verteilten Rechtschreibempfehlungen (und das eine Schreibprogramm, in dem alles so funktionieren würde, wie ich es brauche, gibt es auch nach gut 50 Jahren entsprechender Software-Entwicklung immer noch nicht). Schrieb ich in Pages ein Wort wie „gemäß", wies die Software mich darauf hin, das sei doch „Papierdeutsch" und ich solle doch stattdessen besser „entsprechend" benutzen, das klänge cooler. Schrieb ich „überhaupt", kam der Hinweis: „Modewort. Erwägen Sie dieses Wort zu streichen."

Blicke in die Zukunft

Einer der zentralen Begriffe bei der Weiterentwicklung digitaler Technologien ist „Prediction“ – Vorausschau. Der Blick in die Zukunft. Mit möglichster Zuverlässigkeit zu wissen, was als nächstes passieren wird. „Wissen ist Macht“ hieß es gestern, heute heißt es „Vorwissen ist Macht“. Nicht nur Militärs möchten gern frühzeitig über die Absicht des Feindes im Bilde sein. Auch unsere Freunde aus Wirtschaft, Politik und Nachrichtendiensten wollen darüber Bescheid wissen.

Wird der potentielle Online-Shopper eine Bestellung aufgeben und wenn ja: Was wird er ordern? Amazon hat bereits vor zwei Jahren ein Patent für „vorausschauenden Versand“ angemeldet, durch das ein Produkt bereits auf dem Weg zum Kunden sein soll, noch ehe er es bestellt hat. Wird der LKW vor mir rechtzeitig bremsen?, sollte sich das autonome Fahrzeug vor mir fragen, um einen Auffahrunfall zu vermeiden.

„Minority Report“ – in echt

Die Verbreitung digitaler Gadgets wie Smartphones und Tablets, neue Speichertechnologien und Datenbankkonzepte, und die leistungsfähige
Parallelverarbeitung mit der verteilten Supercomputerleistung riesiger Serverfarmen erlauben das effiziente Bearbeiten der mit der Digitalisierung rasch anwachsenden Datengebirge. Durch Netzwerkanalyse-Werkzeuge lassen sich Beziehungsgeflechte zwischen Personen sichtbar machen. Lageanalyse-Algorithmen können beispielsweise das Aufkommen krimineller Aktivitäten - sogenannter „hot spots“ - feststellen.

Solche Software wurde zuerst in den polizeilichen „Real Time Crime Centers“ (RTCC) von amerikanischen Großstädten wie New York, Dallas oder Memphis eingesetzt. Das von IBM entwickelte Programm Blue CRUSH („Criminal Reduction Utilizing Statistical History“) kombiniert Daten aus vergangenen Straftaten mit Wetterberichten, wirtschaftlichen Indikatoren, Veranstaltungshinweisen, Zahltagen u.ä., um Kriminalitätsmuster sichtbar zu machen, die darauf hinweisen, wann und wo es Probleme geben könnte. Solche potentiellen Hotspots leuchten dann am Bildschirm des RTCC auf.

Österreich ist mit dabei

Im Sommer 2014 probierte die Polizei in München und Nürnberg erstmals eine entsprechende Software aus, die von der Stadtpolizei Zürich bereits einsetzt wurde. Die Zürcher Polizei setzt dabei auf Software der deutschen Firma IfmPt („Institut für musterbasierte Prognosetechnik“). Seit Anfang 2015 bemüht sich auch das österreichische Bundeskriminalamt um softwaregestützte Blicke in die Zukunft. Als Teil einer Technik-Offensive des österreichweiten Masterplans zur Bekämpfung der Einbruchskriminalität werden in allen Bundesländern Hotspots von Dämmerungseinbrüchen (die zwischen 17 und 21 Uhr stattfinden) ermittelt, wofür von Spezialisten verschiedene Parameter in das Programm eingegeben werden.

Abzuwarten bleibt, wann Autofahrern oder überhaupt Smartphone-Besitzern, also: uns allen solche Karten mit der „Hitzeverteilung“ kritischer Bereiche ebenfalls umgehend zur Verfügung stehen werden, um Bereiche, in denen es wohl Ärger geben wird, umfahren und bei Kriminalitätsgefahr die kleine, dicke Kanone in den Vorgarten rollen zu können, wie Onkel Dagobert, wenn die Panzerknacker wieder einmal aus dem Gefängnis entlassen werden.

Schlagen vs. Vorschlagen

Schlaue Text-Parser, wie sie etwa Suchmaschinen verwenden, helfen längst nicht mehr nur über orthographische Schwächen hinweg. Während die Überprüfung einer Eingabe wie „Gibsverband” in den Google-Suchschlitz noch vor nicht allzu langer Zeit sozusagen zu dem Ergebnis „gibs nicht” führte, schlägt die sich immer predictiger gebende Maschine heute in ihrer unermesslichen Freundlichkeit gleich das richtig geschriebene womögliche Informationsersuchen als Ganzes vor.

Diese Vorschläge („Suggestions”) bringen allerdings eine aberwitzige Komponente ins Spiel, eine oft sonderbare Auflistung möglicher Suchphrasen, welche die Maschine aus dem zu erahnen versucht, was bereits eingetippt wurde. Wer Sinn für absurden Humor hat, kann sich damit von Google sogar Gedichte schreiben lassen.

Um nochmal auf die algorithmischer Oberlehrer zurückzukommen, die uns ihre vorgeblich vorausgeahnten Textvorschläge aufdrücken (wobei viele es auch versäumen, diese in der Geschwindigkeit der Eingabe wieder zu korrigieren, obwohl das Ergebnis oft haarsträubender Unsinn ist): Ob man das nun als Komfort oder als vorlaut empfindet, ist nicht einfach nur Ermessenssache. Softwarezusätze wie eine Rechtschreibempfehlung gehen über orthographische Korrekturen hinaus und versuchen, Einfluss auf den Stil zu nehmen. Auf den persönlichen Ausdruck.

Es ist mit diesen Empfehlungen wie mit der Psychoanalyse. Sie analysiert einen Menschen nicht nur, wie der Begriff es suggeriert, sondern hat auch eine ganz konkrete Vorstellung von, was eine normgerechte Persönlichkeit ist und was nicht. Aber jemanden von außen darüber bestimmen zu lassen, wer ich bin - oder wie ich schreibe -, ist eine höchst fragwürdige Sache.

Die Supernervensäge

Als Mobiltelefone noch bevorzugt mit Tasten ausgestattet waren, war T9 die definitive Supernervensäge unter den vorauseilenden Textvorschlägern. Die Abkürzung steht für „Text auf 9 Tasten” - ein schlichter Eingabeverhinderer, ein böses kleines Besserwisservirus in Mobiltelefon oder PDA oder iPhone, das einem servil zu helfen glaubte, einen in Wirklichkeit aber von dem abhielt, kreativ zu sein und eigene Worte und Formulierungen zu finden. Und wehe, man wurde originell.

Auf Touchscreens, die mit dem iPhone Einzug unter unsere Fingerspitzen gefunden haben, gibt es keine T9-Tastatur mehr (dafür eine nicht minder nervtötende Autokorrektur). Echte Fans von T9 - darf man sie moderne Masochisten nennen? - können sich behelfsweise eine App downloaden, die eine T9-Tastatur simuliert und das Schreiben noch komplizierter macht. Denn Texte lassen sich nur innerhalb der App schreiben und korrigieren. Möchte man sie an anderer Stelle verwenden, müssen sie erst kopiert und dann an der entsprechenden Stelle wieder eingesetzt werden. Wie gesagt: Technik ist nicht dazu da, unser Leben einfacher zu machen, sondern interessanter.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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