Mobbing in der Schule: Österreich ist Schlusslicht
Mobbing in der Schule: Österreich ist Schlusslicht
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Isharegossip

Ich war´s nicht, der Seitenbetreiber ist schuld

Der ein oder andere mag es aus diversen Filmen kennen (oder auch von der letzten Fahrt im Schülerbus etc.): Diverse Schimpfworte fliegen umher wie Konfetti, garniert gerne mit Angriffen auf irgendeine diffuse „Ehre“. Sätze wie „Ich f*** deine Mutter, du H****sohn“ oder „Maul, du Schlampe“ werden sich entgegengebrüllt. Der Ton in Schulen und auf der Straße ist rauer geworden und ähnelt dem, was vor vielen Jahren noch höchstens aus Gangsta-Rap und Berichten aus der Bronx bekannt war.

Wenn das Ganze ausartet, wie jüngst in Berlin geschehen, wenn aus dem Austausch solcher Verbalinjurien und Mobbing gegenüber einer Schülerin dann handfeste Körperverletzung wird und 20 Schüler einen einzelnen Schüler krankenhausreif schlagen, dann wäre es nun spätestens an der Zeit, über den Umgang von Menschen, insbesondere auch jungen Menschen, untereinander nachzudenken. Hier wäre aber auch die Politik einmal gefragt, sie sollte sich überlegen, ob sie selbst nicht auch dazu beiträgt, die Solidarität der Bevölkerung untereinander zu untergraben und durch Schaffung von sozialen Brennpunkten die diversen Gräben noch vertieft. Doch wer sich dies erhofft, der wird bitter enttäuscht, stattdessen wurde mit dem Internet wieder ein einfach auszumachender Gegner gefunden, der schuld sein soll.

Anonymität und Pöbelei
Isharegossip.com, eine Seite, die von jenen gehostet wird, die auch Pirate Bay ein virtuelles Zuhause gaben, die Anonymität aller Kommentierenden garantiert, bekommt somit den schwarzen Peter. Die Gleichung ist also einfach: Anonymität + Pöbelei = Körperverletzung. Ebenso einfach ist dann die Lösung: Seiten wie isharegossip.com löschen bzw. sperren. Es dürfte nicht schwer nachzuvollziehen sein, dass die Betreiber der Seite von dem Ansinnen des deutschen Jugendschutzes, die Seite zu löschen, wenig beeindruckt waren. Anonymität hat nun einmal gute und schlechte Effekte zur Folge. Während der politische Dissident seine Meinung kundtun kann (die auch „seinem Staat“ nicht gefallen dürfte), ist die gleiche Anonymität für denjenigen, der sowieso schon immer kundtun wollte, dass „Babette aus der 10. Klasse eine abgef*** Schlampe“ ist, auch vorhanden. Einseitige Anonymität kann es nicht geben, wobei sich die Politik aus praktischen Gründen stets dafür entscheidet, Anonymität deshalb per se als schlecht zu empfinden, obgleich sie seit langem einen festen Platz in der Gesellschaft hat und in vielen Bereichen nie zur Debatte stand. Erst seit dem Internet wird sie als Bedrohung angesehen, wohl auch weil man es sich leichter vorstellt, hier die Anonymität aufzuheben und weil das Internet in vielerlei Hinsicht auch für die herrschende Klasse durchaus eine ernstzunehmende Bedrohung darstellt. Was liegt da näher als die negativen Seiten der Anonymität zu betonen und durch Vorratsdatenspeicherung, Realnamenpflicht, Onlineregistrierung, e-Perso und ähnlichen Authentifizierungs- und Identifizierungsmöglichkeiten/-wünschen die Anonymität immer stärker aufzuweichen?

Gefährliche Gruppendynamik
Mobbing, im Zusammenhang mit dem Internet mysteriös-gefährlich „Cybermobbing“ genannt, ist da nur ein weiterer Grund für den Ruf nach einem nicht anonymen Internet, in dem überall die gleichen Regeln gelten. Mobbing aber, egal ob in Schule, Beruf... hat im wesentlichen zwei Faktoren: a) es wird von mehreren ausgeführt, es besteht also eine Gruppendynamik b) das Opfer muss in der Nähe sein, denn nur so wird sichergestellt, dass es sich dem Mobbing nicht entziehen kann. Mobbing ohne direktes Opfer wäre für Täter schlichtweg langweilig.

Daher ist auch das „Babette aus der 10. ist eine Schlampe“ nur dann für den Täter sinnvoll, wenn dies zu Auswirkungen im realen Leben führt. Solange sich das „Mobben“ nur im Internet auswirkt, fehlt der entscheidende Punkt, der Mobben ausmacht: das Opfer sehen und ihm möglichst keine einfache Fluchtmöglichkeit geben. Insofern ist es geradezu absurd, wenn sogenannte Mobbing-Experten meinen, dass man im realen Leben ja die Möglichkeit hätte, den Tätern aus dem Weg zu gehen – der Sinn und Zweck des Mobbens ist ja, das Opfer solange zu quälen bis es dann eine andauernde Fluchtmöglichkeit wählt. Diese kann im Wechsel von Schule oder Beruf bestehen oder auch, zynisch betrachtet, im Suizid. Was bedeutet das aber für die Seiten wie isharegossip.com?

Löschen und Sperren ändert nichts
Es bedeutet, dass solche Seiten sicherlich bei jenen, die sowieso ihre Freude daraus ziehen, andere zu beleidigen, zu schikanieren und zu quälen, auf Begeisterung stoßen wird. (Anzumerken ist, dass isharegossip bisher, was den Bekanntheitsgrad anging, eher vor sich hin dümpelte, die Beiträge dort schwanken zwischen debil und unleserlich.) Aber auch, dass durch die Löschung oder Sperrung der Seite sich für die gemobbte Babette nichts ändern wird, da die Täter ja im direkten Umfeld sein müssen. Diejenigen, die sich dann aus der Ferne „dazuschalten“, sind letztendlich nur Publikum, das kurz fasziniert ist oder sich beteiligt, nur um dann weiterzuziehen wie die Gaffer bei einem Autounfall.

Diejenigen aber, die die Schikane weitertreiben, müssen hier Verantwortung übernehmen und die Politik darf ihnen diese Verantwortung nicht absprechen indem sie das böse Internet verteufeln aber beiseite schieben, dass hier 20 Menschen einen anderen krankenhausreif geschlagen haben und genau dies der Punkt ist. Schikane und Demütigung gab es schon früher, ja, aber heutzutage hat es erschreckende Formen angenommen. Nur wer hilft den Opfern?

Mobbing wird transparent
Hier wäre genau auch der positive Aspekt von Seiten wie isharegossip.com zu finden. Zum einen können sich Opfer hier wehren, wenn auch nur verbal, zum anderen aber (und das ist das Wichtigste) wird so Mobbing transparent und beweisbar. Denn nur allzuoft schauen Lehrer und Eltern, genauso wie Mitschüler weg, teils aus Hilflosigkeit, teils aus Angst, selbst dann unter den Gemobbten zu landen, wenn sie eingreifen. Dieses Wegschauen aber ist das Problem, das sich in der Sperrung von isharegossip.com wiederspiegelt. Der Kreislauf, der oft beim Opferdasein beginnt und beim Täterdasein endet, wird so aber nicht durchbrochen, im Gegenteil. Das Opfer fühlt sich weiter alleingelassen mit den realen Bedrohungen, wenn sich die Politik auf die virtuellen Aspekte stürzt und wird im schlimmsten Fall damit reagieren, dass es selbst sich Leute sucht, die es mobben kann. Es wäre also umso wichtiger, den Opfern zuzuhören, ihnen zu helfen und ihnen auch Verteidigungsmöglichkeiten an die Hand zu geben, insbesondere auch ein starkes Selbstvertrauen, das oft schon ein Opferdasein verhindert.

Ein solches Selbstvertrauen, zusammen mit Selbstverteidigungsmöglichkeiten, wird solche Auswüchse in Berlin nicht immer verhindern können, es wird aber ggf. Menschen davon abhalten, sich weitere Opfer zu suchen. Und es würde auch dazu führen, dass diejenigen, die auf isharegossip.com virtuell gemobbt werden, den virtuellen Aspekt weniger stark bewerten. Denn warum sollte Babette aus der 10. in irgendeiner Form davon getroffen sein, dass irgendein Dummkopf aus London nun auf den Kommentar „Babette ist eine Schlampe“ mit „ja, find ich auch, voll eklig, voll doof“ reagiert?

Drohungen, Beleidigungen und Stalking sowie Mobbing sind keinesfalls zu bagatellisieren, doch aus jedem „ich f*** deine Mutter“ gleich einen Mobbingfall zu konstruieren ist ebenso zu kurz gegriffen wie die Schuld bei den Seiten zu suchen, die versuchen aus der ohnehin desolidarisierten Bevölkerung und ihren Umgangsformen Kapital zu schlagen. isharegossip.com hat dies übrigens erfolglos versucht – bisher sind nur wenige Gelder über diesen Weg bei den Betreibern gelandet. Jetzt aber den Medien, die darüber berichten, den schwarzen Peter zuzuschieben, ist an Heuchelei nicht zu überbieten. Die Medien berichten darüber, was die Politik derzeit schlicht und ergreifend verbockt – und die Politik war es, die isharegossip.com erst zu einem Problem machte um davon abzulenken, dass für das reale Mobbingproblem, für Körperverletzung unter Schülern etc. kein Lösungskonzept besteht.

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