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Peter Glaser: Zukunftsreich

Internjet - der digitale Untergang der Welt

Die Entwicklung der Medien- und Kommunikationstechnologie in den letzten anderthalb Jahrhunderten wurde von folgsam sich mitwandelnde Schreckensszenarien begleitet. „Ist unsere Zivilisation dem Untergang geweiht, weil wir uns heillos von Maschinen abhängig machen?", fragte Bennett Lincoln 1930 in dem Magazin „Modern Mechanics". 1927 war der erste Tonfilm ins Kino gekommen, in den folgenden drei Jahren verloren 22.000 Musiker aus Stummfilmorchestern ihre Jobs. Proteste gegen die „Robotermusik" führten 1930 zur Gründung der „Music Defense League", die um Unterstützung im Kampf um die Arbeitsplätze der Stummfilmmusiker warb. Auf Anzeigenmotiven zu sehen war unter anderem ein Banjo spielender Roboter – mit seiner mechanischen Serenade sei er dem echten Troubadour fundamental unterlegen: „Der Roboter kann nicht fröhlich noch traurig noch sentimental sein."

Technisch zombifizierte Jugendliche
Mit der Ausbreitung des Fernsehens stand dem Ideal des in die Büchertiefen tauchenden Lesemenschen dann dieses gefährliche graue Leuchten gegenüber, das handgesägte Gedanken durch vorgefertigte Bilder außer Kraft zu setzen drohte. Mit dem Walkman kam der erste Entwurf des autistisch isolierten, technisch zombifizierten Jugendlichen, der wenig später ein Update als blasser, sozial gestörter Computerfreak erfuhr (mit der Einstellung der Walkman-Produktion im Frühjahr 2010 wurde die Stafette der Belämmerungsmaschinen offiziell an den iPod weitergegeben). Auch die Großbedrohungstechnologien bewegten sich nach dem Digitalen hin. In der Endphase des Kalten Kriegs machte die Atomwaffentechnik die Untergangsvision eines „Nuklearen Winters" populär, abgelöst vom modischeren Jahr-2000-Problem, das sich bereits der neuen Leitströmung ins 21. Jahrhundert zuwandte, der computervernetzten, computerverletzbaren Welt.

Die eitle Apokalypse
Kulturpessimismus ist Revolution für Faule. Den entscheidenden Umbruch, das Ende vom Lied, möchte der Kulturpessimist gern angeliefert bekommen, am liebsten von einer dekorativen Übermacht. Der Deutsche etwa liebt den pompösen Untergang, das Wagnerianische, auch wenn es furchtbar eitel ist („Die Welt wird untergehen und ICH bin dabei"), während der Amerikaner die Apokalypse nach Art der Erweckungstheologie bevorzugt, die Hilfe gegen die maßlose Überschätzung der Vernunft verspricht. Wir Österreicher haben den Untergang zum Glück ja schon hinter uns.

Die Situation ist nicht ganz unkompliziert, da auch die Freunde des digitalen Fortschritts gern mit kulturpessimistischen Methoden spielen. So freut sich der klassische Nerd mit daran, dass die Erde in Douglas Adams berühmter fünfteiliger Trilogie "Per Anhalter durch die Galaxis" einer kosmischen Umgehungsstraße weichen muß und gesprengt wird.

„Gesellschaften scheitern, das zeigt die Geschichte, nicht an Rohstoffknappheiten", sagt der Zukunftsforscher Matthias Horx. „Sie scheitern an ihren übersteigerten inneren Ängsten."

Kubistische Explosionen in Actionfilmen
Künstler haben seit gut einem Jahrhundert unsere heutige Lage vorausgeahnt. Die Kubisten und Dadaisten haben Zeitungsschnipsel in ihre Bilder geklebt und die Notwendigkeit einer neu durchmischten, globalen Sicht deutlich gemacht, die mehr als nur eine Ansicht erfaßt. In ihren Bildern zeigten sich die Erscheinungen der Welt bereits in multiperspektivischen Facetten, die schon den Polygonflächen der Computergrafik glichen. Die Entwicklung entfaltete sich in vielen anderen Bereichen. Romane wurden geschrieben, in denen eine Geschichte aus mehreren Perspektiven erzählt wird, Lawrence Durell mit seinem „Alexandria-Quartett" etwa, oder der ägyptische Literaturnobelpreisträger Nagib Machfus mit „Pension Miramar". Arno Schmidts „Zettels Traum" ist eine 1330 Seiten umfassende Textpartitur. Im Film, der linearen Schrift aus Bildern, wird der überall stattfindende Übergang aus dem Einen ins Viele besonders deutlich. Keine Explosion in einem Actionfilm, die nicht, von mehreren Seiten gefilmt, quasi kubistisch zu sehen wäre.

Nun verbinden sich die ganzen Kulturinseln vermittels Internet zu einer digitalen Weltregion und -macht. Und während Wirtschaftstreibende, Wissensarbeiter und Otto Normaluser dem digitalen Wandel zu ihrem Nutzen oder ihrer Unterhaltung zu folgen versuchen und Spaßvögel ein Verdummungsverbot für`s Internet fordern, wähnt man die Künstler wieder auf Vorposten, das Intuitionsradar hinausgerichtet ins Hypermorgen. Was kommt?

Kapitulismus: jammervoll aufgeben
Klaus Staeck, immerhin Präsident der Akademie der Künste Berlin, brachte in einer Klagekolumne unter dem Titel „Digitale Sackgasse" eine Haltung zum Ausdruck, die man Kapitulismus nennen könnte – den vermeintlich kompletten Kollaps der vorherrschenden Menschlichkeit durch das Internet nebst nachfolgender nordkoreanischer Nerddiktatur: „Die glücklichen Empfänger [von Amazon-Päckchen] brauchten keinen Schritt mehr vor die Tür zu setzen. Der würde auch nirgendwo mehr hinführen, denn wer zum Beispiel bei Amazon & Co. seine Lektüre bestellt, wird schnell zum Totengräber des Buchladens um die Ecke. ... Beerdigt sind damit zugleich die Begegnungen mit anderen Menschen und anderen Ansichten. Von versenkten Arbeitsplätzen im Einzelhandel ganz zu schweigen."

Anwärtern auf Geschwindigkeitsrekorde mit Raketenfahrzeugen, die an vollkommen ebenen Flächen interessiert sind, wird gefallen, dass es noch platter geht: „Wenn Kommunen veröden, menschliche Kontakte verkümmern und gemeinsam gelebte Kultur verarmt, regieren nicht nur Entfremdung und Anonymität. ... Wer nur noch in der digitalen Welt zu Hause ist, wird in der realen bald kein demokratisches Gemeinwesen mehr vorfinden." Es gibt sie noch, die guten Weltuntergangsszenarien.

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Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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