© Solafeet/YouTube/Screenshot

Peter Glaser: Zukunftsreich

Invasion der Scherzartikel

Als ich einmal einem Freund beim Aufräumen half, fand sich unter seinen Besitztümern eine Schuhschachtel voll mit Sachen, von denen man nicht weiß, wohin damit, die man aber auch nicht wegschmeißen möchte. Von zwei Dingen war ich vollständig fasziniert. Das eine war ein miniaturisierter Herrenschuh, etwa zehn Zentimeter groß und aus schwarzem Gummi, der, wenn man ihn drückte, Quietsch! machte. Das andere war wohl ein Rückenkratzer – ein Stab aus Bambusimitat, an einem Ende ein Griff mit einem Seilzug zum anderen Ende hin, wo ein Tyrannosauruskopf aus rotzgrünem Plastik steckte, der damit bewegt werden konnte. Man konnte sich selber mit dem Saurier in den Rücken beißen.

Noch nicht vom Sinn besetzte Orte

Der kleine Schuh war schierer Dadaismus (ich bin kein Freund der Theorie, es könne sich um ein Hundespielzeug handeln) und damit in Ordnung. Als Kunstwerk hat ein Objekt die Verpflichtung, sich an noch nicht vom Sinn besetzten Orten aufzuhalten. Für sowas ist das Internet natürlich ideal. Der Rückenkratzer dagegen wollte zumindest andeutungsweise etwas Nützliches sein und etwas Lustiges dazu. Das einzige, was ihn am kompletten Scheitern dieser Absicht hinderte war, die Möglichkeit, dass es sich dabei um Kinderkram handelte. Als Spielzeug mag etwas zwar auf den ersten Blick gleichfalls unsinnig wirken, es zielt jedoch auf einen langfristigen Nutzen, nämlich die Heranbildung motorisch und intellektuell flexibler Erwachsener.

Ein virtuelles Bermudadreieck

Mit der Nützlichkeit übernimmt ein Gegenstand eine gewisse Verpflichtung. Um ein virtuelles Bermudadreieck aufzuspannen, in dem Sinn verschwindet, will ich aus der digitalen Unendlichkeit drei Dinge streifen.

Als erstes der Fußbräuner der Firma Solafeet aus Florida. Gibt es etwas Erniedrigenderes als am Strand oder im Country Club aufzutauchen und am ganzen Körper gebräunt zu sein, nur die Füße sind weiß wie Würmer, weil man den ganzen Tag in Socken und/oder Sneakers herumrennt? Für gerade einmal 269 Dollar (240 Euro) lässt sich das Problem beheben. Die braune Bräunungsbox mit den zwei Fußlöchern lässt sich bequem unter den Schreibtisch stellen und wirft dort die Frage auf, ab wann etwas nicht mehr nützlich ist, sondern – hier fehlt ein Wort. Wie kann man Produkte nennen, die so tun, als wären sie ernstzunehmen, obwohl sie nicht einmal komisch sind? Kontradukte?

Betreutes Tortenschneiden

Eine ähnlich absurde Nützlichkeitsverheißung trägt die Deni 4001-Tortenplatte mit Musik - sie kann Happy Birthday spielen - und einem LED-Kranz, an dem man sich anzeigen lassen kann, wo man anschneiden muss, um zwischen zwei und 12 Kuchen- oder

Pizzastücke zu erhalten. Bei sieben Gästen könnte ich lächelnd den Stecker ziehen, da uns unser Matheprofessor beigebracht hat, wie man ein Siebeneck näherungsweise mit Zirkelschlägen konstruiert. Nein, im Ernst, ich frage mich, wie eine notwendigerweise wissenschaftlich angehauchte Generation diese Welt in eine technologisch geprägte Welt führen soll, wenn sie schon die Einschätzung von Tortenstückgrößen verweigert (von den daraus resultierenden Kalorienknallern ganz zu schweigen).

Sag es deiner Katze

Und schließlich ein MP3-Album des australischen Tiermediziners Dr. Lewis Kirkham mit dem Titel „Tell Your Cat You're Pregnant – Baby- und Spielzeuggeräusche, um die Katze auf das Baby vorzubereiten“ („Lautes Schreien“, „Husten und Herumrotzen“, „Quietschtiere“), nebst einem E-Begleitbuch. Ich bin ein Katzenfreund und traue diesen Tieren einiges zu. Was ich ihnen aber nicht zutraue, ist, abstrakte Ideen wie „Baby“ oder „Zukunft“ zu erfassen, auch, wenn man gerade unten in Australien an der Erdkugel klebt und einem das Blut in den Kopf drückt.

Das Internet ist voll mit solchem Zeug, das nicht das Zeug hat, ein Meme zu werden. Ein kluger Mensch sagte einmal: Müll ist Materie am falschen Ort. Mit der Flut der unbegreiflich unnötigen Utensilien (UUU’s) aber ist es viel schlimmer. Müll kann man nicht im Internet kaufen, auch wenn Kulturpessimisten ständig behaupten, das Netz sei voller Müll; das aber ist kein Müll, sondern es sind nur Dinge, die ihnen nicht gefallen.

Wiederverwendbar, wie Furzkissen.

Man könnte meinen, es handle sich bei diesen Dingen um so etwas wie kristallin gewordene Absurdität. Es sind Scherzartikel, die das nicht zugeben wollen. Sie sind nicht flüchtig wie Juckpulver oder ein kleiner Spaß wie ein Papierflieger, sondern sie sind wiederverwendbar, wie Furzkissen.

Es gibt eine Erzählung von Heinrich Böll, in der die Erbtante von der ganzen Familie verlangt, nicht nur am 24. Dezember Weihnachten zu feiern, sondern, weil’s so schön ist, an jedem Abend, und weil sie die Erbtante ist, machen alle mit - anfangs jedenfalls. Nach ein paar Wochen lassen die ersten Familienmitglieder sich von Schauspielern vertreten und das Grammophon, das ständig „Stille Nacht” spielt, fängt an zu leiern.

So ist es auch mit den Fußbräunern und Schwangerschaftskatzentrainingsmedien dieser digitalen Welt. Dinge, die nicht kühn genug sind, um Kunst zu sein, die lustig sein möchten, ohne komisch zu sein und die sich, weil sie ahnen, dass ihre ganze Absicht fehlgeht, verschämt an ihrer vermeintlichen Nützlichkeit festhalten. Nützt aber nix.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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