© Franz Gruber

Peter Glaser: Zukunftsreich

Jugendverschlüsselung

Ab einem bestimmten, früh zweistelligen Alter wird der junge Mensch von dem unbezähmbaren Wunsch heimgesucht, die Eltern mögen sich in Luft auflösen, gefolgt von dem Bedürfnis, dass überhaupt alle Erwachsenen verschwinden oder in Erwachsenenreservate im Pazifik verbracht werden sollten. Bei der Ausarbeitung dieses Konzepts lernen Heranwachsende, was eine Utopie ist, nämlich eine nach der Zukunft hin ausgerichtete Idee, die ordentlich Motivation freisetzt, aber unerreichbar bleibt. Eine Utopie ist vergleichbar mit dem Polarstern in der Zeit vor GPS: Wie die Utopie, so dient auch er als leuchtende Hilfe zur Orientierung, aber um ihn jemals erreichen zu können, ist er viel zu weit weg – und je näher man ihm käme, desto mehr würde er seine Funktion als Wegweiser über die Meere verlieren.

Da also der Platz auf den vorhandenen Pazifikinseln nicht für die ganzen blöden Erwachsenen auf der Welt ausreicht, muss man sich etwas anderes einfallen lassen. Hier hat die Natur einen nachfolgenden, diesmal erfolgversprechenden Lernprozess angesetzt: Der junge Mensch ersinnt stets neue Wege, um zu verhindern, dass Erwachsene auch dorthin gelangen, wo er sich mit seinen Freunden und Mitverschwörern trifft und sich die einzig guten, echten, erstmals im Universum erscheinenden, neuen und für Erwachsene unberührbaren, abenteuerlichen Geheimnisse des Lebens offenbaren. Jede Generation auf‘s Neue erfindet sich so etwas wie einen Energieschirm, jene aus Science Fiction-Romanen bekannte, unsichtbare und in diesem Fall für Erwachsene möglichst undurchdringliche Mauer. Diese realen Energieschirme sind vielleicht nicht ganz so fantastisch wie die Einrichtungen, an denen Aliens scheitern, aber um nichts weniger innovativ.

Eines der wenigen phantastischen Dinge, das unsere Eltern nicht hatten: das Netz
Ähnlich wie bei mittelalterlichen Wehrdörfern handelt es sich dabei um kollektiv betriebene Abwehrmethoden. Zu meiner Zeit in den siebziger Jahren etwa gab es eine Kombination aus martialischer Musiklautstärke und einer Variation der chemischen Kriegführung, nämlich die Begasung von Räumen mit hochdichten Aerosolen aus Tabakrauch, gelegentlich verschärft durch zäh wogende Blasen-Diaprojektionen an den Wänden, die dazu führten, dass Erwachsene sich vor solchen Orten ähnlich verhielten wie Drogenspürhunde, die den Rucksack eines Trampers beriechen sollen, der seit einer Woche nicht mehr geduscht hat.

Erwachsensein – pfffh. Man sieht förmlich die in ihre spezielle Unlustigkeit gehüllten Mitglieder der Erwachsenensekte am Rand sämtlicher Sandkisten dieser Erde stehen. Stumm halten sie ihre Botschaft vor der Brust, mit der sie einen bekehren wollen: Erwachset! Aber es gibt unendlich viele Methoden, sich den Zumutungen der Adoleszenz-Durchquerung zu entziehen. “Das Netz“, schrieb etwa die damals sehr junge J.C. Herz Mitte der neunziger Jahre, „ist eines der wenigen phantastischen Dinge, das wir haben und das unsere Eltern nicht hatten und vor allem, das unsere Yuppie-Onkels und -Tanten, die ALLES hatten, nicht hatten.”

Ein wunderbares Mittel, um Erwachsene zu ärgern
Die analogen Methoden der Erwachsenenvermeidung waren übergewechselt in die Welt der Bildschirme und digitalen Maschinen. Eines der beliebtesten neuen Verfahren stammte aus den Anfängen der Computerei: die Verschlüsselungstechnik. Kryptographie. Schon Jahre bevor es öffentliche Debatten über Dinge wie Public Key-Verschlüsselung gab, konnte man bereits an Bahndämmen und Häuserwänden Graffiti sehen, die dem ungeübten Auge wie bunte, verschlungene Ornamente erschienen, in Wirklichkeit aber lesbare, kunstvoll verschlüsselte Namen und Botschaften darstellten – öffentlich ausgebreitet, aber trotzdem nur dem Eingeweihten zugänglich. Dann schwenkten junge Künstler in breiter Front von Kunst auf Kryptographie um. Erwachsene sprachen - und sprechen - immer noch von Kunst, aber in Wahrheit sind längst immer mehr Codierer statt Künstler am Werk. Was früher Kunst war, will heute nichts mehr verraten und tut so, als gäbe es ein großes Geheimnis. Die Kunst besteht jetzt im möglichst spektakulären Verbergen von etwas. Mit einem Wort: ein wunderbares Mittel, um Erwachsene entweder zu ärgern oder zumindest von jedem Verständis abzuhalten.

Besonders deulich sichtbar (oder eben gerade nicht) wurde die kryptografische Strategie im Grafikdesign und der Gestaltung dessen, was wir auf Bildschirmen und Displays vor uns sehen. Bereits in den frühen Neunziger Jahren, in der Zeit von Techno und Raves, wurden bei der Gestaltung von Party-Flyern und Magazinen, die deren Ästhetik übernahmen, vielversprechende neue Erwachsenen-Exkludierverfahren erprobt. Sie basieren darauf, dass jemand, der auch nur eine halbe Dioptrie sehgeschwächt ist, die Texte schlichtweg nicht mehr lesen kann. Schriften in Größen und Darstellungsweisen, wie man sie vom sprichwörtlich Kleingedruckten in Verträgen kennt, mit Buchstaben im Zweimillimeterbereich, gern auch in hellgrau gehalten auf mittelgrauem Grund. Screendesigner, die sich ihr ästhetisches Schaffen nicht verpfuschen lassen wollen durch schädliche äußere Einflüsse wie etwa das Nutzerbedürfnis, die Schrift größer stellen zu wollen, um den Text vielleicht doch noch lesen zu können, codieren ihre Seiten in arretierter, unveränderbarer Größe. Auch in sozialen Netzen wie Facebook, immer am Zustrom junger Menschen interessiert, bemüht man sich um das Unlesbarmachen des Streams für Herangewachsene.

Zur Hölle mit unlesbaren Texten!
Dagegen haben der ungarische Webdesigner Zoltán Gócza und sein Kollege Richard Gazdik nun eine Revolution ausgerufen. ihre Aktion Contrast Rebellion richtet sich gegen Schriften, die kaum Kontrast bieten und (visuell) unentzifferbare Texte – „zur Hölle mit ihnen!“ Auf ihrer beispielgebenden, eleganten Single-Page-Website stellen sie eine Forderung auf, angesichts derer manchen Art Director das kalte Grausen packen wird: Macht Text lesbar! Join the Rebellion! Wenn zwei verhältnismäßig junge Webdesigner eine solche Forderung propagieren, bedeutet das aber auch: die Methode hat ihre Wirksamkeit für das Erwachsenenverscheuchen verloren. Was kommt als nächstes?

Was das scheinbar angespannte Verhältnis zwischen Jung und Alt angeht, kann man übrigens, wie in manchen anderen Dingen, etwas von Katzen lernen: Sie hören nie auf zu spielen. Wir sind es, die aufhören mit ihnen zu spielen, wenn wir glauben, dass sie nicht mehr jung sind.

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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