© Florian Aigner

Wissenschaft & Blödsinn

Mauern trocknen mit feinstofflicher Raumenergie

In der Wohnung über mir muss eine Wasserader geplatzt sein, oder vielleicht steht Neptun derzeit einfach astrologisch ganz sonderbar in meinem Haus. Jedenfalls gab es eine Überschwemmung, die aus dem Obergeschoß durch den Boden sickerte, um bei mir an der Decke als gelbliches Fleckenmuster wieder zum Vorschein zu kommen, für erfrischenden Regen in meiner Küche zu sorgen und meinem langweilig ebenen Boden eine interessante Wellenform zu verleihen.

Ich habe mir das jetzt einige Tage lang angesehen und beschlossen: Der Wasserschaden hat sich nicht bewährt. Freilich, Wasser ist der Quell des Lebens, aber ohne gelbe Flecken und Bodenwellen war mir meine Wohnung doch irgendwie lieber. Ich habe mich daher über Mauertrockenlegung informiert.

Feinstoffliches Trocknen

Natürlich kann man eine Wohnung ganz herkömmlich trockenlegen, indem man Löcher in die Decke bohrt, Luft durchbläst, Ventilatoren und elektrische Lufttrockner aufstellt. Doch daneben gibt es auch beeindruckende Berichte über wundersame feinstoffliche Trockenmethoden, die weder Lärm noch Betriebskosten verursachen.

Wundersame Trocknung hat ja eine lange Tradition: Schon Mose hat das Rote Meer trockengelegt, einfach indem er seinen Stab in der Luft herumwedelte. Und verglichen damit sollte die Trockenlegung meiner Wohnung ja lächerlich einfach sein.

Tatsächlich kann man um einige tausend Euro Entfeuchtungsgeräte kaufen, die das Wasser aus den Mauern zuverlässig entfernen, indem sie geheimnisvolle Wellen aussenden: Eine Gravitationswelle wickelt sich um eine magnetische Welle und insgesamt werden dadurch die Wassermoleküle überredet, nicht nach oben zu steigen, sondern brav in den Boden zu sinken.

Konsumentenschützer warnen zwar vor solchen Methoden, und es gibt zahlreiche unzufriedene Kunden, aber grundsätzlich ist das schon beeindruckend. Hier ist offenbar nicht nur der lange gesuchte Nachweis von Gravitationswellen gelungen, zusätzlich wurde auch eine Wechselwirkung der Gravitation mit Magnetismus entdeckt. Das sollte mindestens zwei Nobelpreise wert sein.

Das Erstaunlichste an diesen Geräten ist allerdings, dass sie keinen Strom brauchen: Sie bedienen sich direkt an der feinstofflich-quantenphysikalischen Raumenergie und stellen somit einen neuartigen Generator dar.

Das macht mich nun misstrauisch: Die feinstofflichen Trockenlegungs-Experten haben also eine Methode der Energiegewinnung entdeckt, ohne Ressourcenbedarf und Umweltschäden. Das könnte der Beginn einer goldenen Ära für die Menschheit sein. Aber anstatt mit ihrem neuerworbenen Wissen große Raumenergie-Kraftwerke zu errichten oder Raumenergie-Autos zu bauen verwenden diese Leute ihre Erkenntnisse bloß für so etwas Profanes wie das Trockenlegen von Mauern? Steckt die feinstoffliche Mauertrocknungs-Lobby etwas mit der Öl-Lobby und der Atom-Lobby unter einer Decke? Oder ist Raumenergie schwer beherrschbar, und man will uns über die Gefahren dieser Technik im Unklaren lassen?

Und dann lese ich von merkwürdigen Energie-Stäben, die man einfach gegen die Wand lehnt, um die Mauern zu entfeuchten. Sie wandeln das schädliche linksdrehende Wasser in gesundes rechtsdrehendes Wasser um, indem sie negative Ionen erzeugen. Positive Ionen fallen dabei offenbar nicht an. Es ist also gelungen, das Gesetz der Erhaltung elektrischer Ladung zu brechen. Ich bin sicher, auch das hat irgendwie mit feinstofflicher Raumenergie zu tun.

Vorsicht!

Hier muss ich als Physiker aber ganz eindeutig warnen: Wenn in einem abgeschlossenen Raum über längere Zeit negative Ionen produziert werden, kann das sehr unangenehme Folgen haben. Wenn sich die feuchte Wohnung immer mehr elektrisch auflädt, muss man mit bösen Blitzen und elektrischen Schlägen rechnen. Wenn der Nachbar ebenfalls einen feuchten Keller hat und negative Ionen produziert, dann werden aufgrund der elektrostatischen Abstoßung die beiden Häuser möglicherweise auseinanderwandern. Juristisch unabsehbare Streitereien über die Position der Grundstücksgrenze wären dann wohl unvermeidlich.

Und überhaupt: Welche Langzeitfolgen kann es haben, wenn wir unseren ganzen Planeten auf diese Weise elektrisch laden? Kann denn nicht endlich einmal jemand an die Kinder denken!

Nein, ich finde, von solchen Experimenten sollte man die Finger lassen. Meine Wohnung wird nun auf herkömmliche Weise trockengelegt, mit lauten Gebläsen und stromfressenden Trocknern, so wie man es in vergangenen Zeiten auch gemacht hat. Ich leiste einen Beitrag, nachfolgenden Generationen eine Welt ohne Raumenergie-Verwerfungen und Ionen-Ansammlungen zu hinterlassen. Wehren wir uns gegen feinstoffliche Umweltverschmutzung! Gehen wir kein Risiko mit unerforschten Technologien ein! Keine Macht der Raumquantenlobby!

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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