© Rudolf Semotan

Peter Glaser: Zukunftsreich

Navi geht's? Danke, fährt.

Der englische Freibeuter Sir Francis Drake hatte eine verhältnismäßig einfache Navigationsmethode für die Überquerung unbekannter Meere: Er kaperte spanische oder portugiesische Schiffe und stahl ihnen die Karten und die Steuermänner.

Man kann sich auch naturbelassen orientieren. Ich bin in Graz aufgewachsen, umgeben von einer unverkennbaren Kammlinie aus Bergen. Ganz selbstverständlich hatte ich so neben der dergestalt markierten Himmelsrichtung auch stets vor Augen, dass es Dinge gibt, die größer sind als ich und von keinem Menschen gemacht. Ich wusste immer, in welche Richtung ich mich gerade bewege. Das änderte sich, als ich nach Hamburg ins Flache umzog und zugleich die ersten Tauchgänge in die digitale Welt unternahm. Draußen im Analogen war ich desorientiert und nahm die innere Bergkammlinie mit ins Netz. Die Orientierung zog sich zurück auf`s Lokale, ins Virtuelle, und auf Menschen. Manchmal stellte sich ein Schwindelgefühl ein – wo bin ich? In diesem Gefühl kann man auch wohlig verlorengehen.

Satellitengesteuert
Mit einem satellitengesteuerten Navigationssystem ist es heute wie in alten Zukunftsvorstellungen, in denen die Menschen in Kuppelstädten wohnen und auf Schwebegleitern zur Arbeit fahren. Das Navi verwandelt das Automobil in ein auf virtuellen Schienen entlangeilendes Behältnis. Prinzipiell jedenfalls.

Als ich mich mit dem Auto von New York auf den Weg nach Chicago machen wollte, sollte ein Navigationssystem das Abenteuer abfedern, mit einem fremden Fahrzeug durch ein fremdes Land zu vagabundieren. Das erste Navi, eines von denen, die man an das Armaturenbrett pappt, war autistisch. Man merkte es daran, dass das Gerät nicht mit einem sprach und ständig einen geraden, roten Strich auf dem Plan zeigte. Zurück zur Autovermietung. Momentan sei leider kein anderes Navigationsgerät verfügbar, ich müsse zu einer anderen Filiale. Wie – ohne Navigationssystem? Zum Glück ist New York schön geometrisch, wie eine Lego-Stadt.

Feierabendverkehr setzt ein. Der Mann, der mir das neue Navi aushändigt, will mir einen Gefallen tun und stellt als Bedienungssprache Deutsch ein. Da er kein Deutsch spricht, weiß er ab da nicht mehr - und ich noch nicht - wie man das Ding bedient. Der Mann sagt, es funktioniere von alleine. Der Feierabendverkehr ist in vollem Gang. Und tatsächlich: das System spricht. Nach einer Minute ist wieder Schluß damit. Lost Satellite. In der Schluchttiefe zwischen den Wolkenkratzern gibt es keinen GPS-Empfang.

Abends im Motel liegt das Navigatonssystem dann auf dem Bett. „In dreißig Metern nach rechts abbiegen”, sagt es. Ich kann keinen Ausschaltknopf finden. Wenn das Ding die ganze Nacht die Richtung ansagt, drehe ich durch. Vielleich laufen deshalb ab und zu Leute in Einkaufszentren Amok, weil sie den Knopf an ihrem Navigationsgerät nicht finden. Eine Viertelstunde später habe ich den extrem winzigen, brilliant getarnten Knopf gefunden.

Man kann dem Gerät nicht nur sagen, was es tun, sondern auch, was es bleiben lassen soll. Meide die Highways, befehle ich. Ich fahre hintenherum durch Amerika. Keine Sehenswürdigkeiten, nur das Land, wie es ist. Durch die Hochhausschluchten der großen Innenstädte segle ich auf Sicht. Ehe es morgens losgeht, suchte ich mir aus dem Reiseführer ein paar markante Häuser, Brücken, Erhebungen. Die Maschine zeigt mir Amerika entlang der „Blue Lines“ – mit den blauen Linien sind in den Karten die Seitenstraßen markiert.

Navigation in 3D
In einem Taxi in Tokio hatte ich das ersten Mal ein 3D-Navigationssystem gesehen. Häuserfassaden waren über den Bildschirm geweht wie leuchtende Vorhänge. Ich war auf eine Universität eingeladen und der Fahrer fand nicht hin, trotz 3D-Navigation. Man muss dazu vielleicht noch wissen, dass es in Tokio keine Straßennamen gibt. Auch keine Hausnummern. Etwa 40 Millionen Menschen leben im Großraum Tokio. Ich glaube, es sind deshalb so viele, weil sie alle nicht mehr rausfinden.

Ich hatte so eine Ahnung, dass wir ganz in der Nähe der Unversität waren, zu der ich wollte. Aber einfach aussteigen ging nicht. Die Fahrt hatte auch eine moralische Dimension. Der Fahrer starrte hasserfüllt auf das 3D-Navigationssystem und begann sich mit der Faust gegen den Kopf zu hauen, um anzudeuten, wie niederschmetternd es für ihn sei, dass er mich nicht an das gewünschte Ziel bringen könne. Wäre ich ausgestiegen, der Mann hätte zweifellos ohne zu zögern sein Schwert aus dem Kofferraum geholt und sich entleibt. Also drehten wir eine Ehrenrunde, bis es in Ordnung war, auszusteigen, ohne Gesichtsverlust. Den Rest des Weges ging ich mit dem Stadtplan, auf dem ich einen großen Park erkannte, und mit einer analogen Navigationshilfe, die mir schon öfter gute Dienste gelestet hatte – einem Kompass.

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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