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Peter Glaser: Zukunftsreich

#Neuland Internet - Die Ewigmorgigen

Dass die deutsche Bundeskanzlerin Merkel am Mittwoch bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit US-Präsident Obama „Das Internet ist für uns alle Neuland" sagte, sorgte im Netz umgehend für Heiterkeit. Dass der Spott nicht ganz in die richtige Richtung zielte, zeigten als erste die Jungs von Anonymous Austria: Sie verwiesen auf das Gedächtnis des Internet, die Wayback Machine. Dort findet sich mit Datum vom 10. Mai 2000 ein erster Screenshot der Website von Angela Merkel.

Die sieben Suchmaschinen, die Frau Dr. Merkel dort unter anderem empfiehlt, enden alle auf .de, die frisch gegründete Firma Google kommt noch nicht vor. Die Seite ist authentisch grauenhaft gestaltet, gelbe Schrift auf lila Textur – heute kann man sowas als frühes Wagnis ansehen, wie dereinst dottergelbe Knautschlackplateaustiefel. Neuland? Die Frau macht das seit 13 Jahren mit, nicht leidenschaftlich, sondern pflichtgemäß, aber immerhin.

Die Avantgarde der Hightech-Spießer
Wobei es gar nicht darum geht, Angela Merkel zu verteidigen. Es geht vielmehr um eine bestimmte Art von Hohn, die - wieder einmal - auf die aus dem Netz Heraushöhnenden zurückfällt. Diese Tonlage ist immer wieder einmal zu hören, seit ewigen Zeiten. Es ist der bräsige Ton der Auskenner, der Avantgarde der Hightech-Spießer. Der Ewigmorgigen.

Als in den Fünfzigerjahren Bildschirme für Computer eingeführt wurden, wiesen sie diese Zumutung von sich. Was sollte man von Menschen halten, die keine Ahnung vom Lochkartenstanzen haben? Als in den Siebzigerjahren das Betriebssystem Unix seinen Siegeszug durch die akademisch-digitale Welt antrat, entstand eine neue Art von Gurutum. Unix war komplex und mächtig, und unter anderem unerläßlich, um ein Netzwerkprotokoll namens „Internet" zu bedienen. Zugleich gab es eine neue Art von blutigen Anfängern, die ihre Spielzeugcomputer („PC", „MacIntosh") mit fahrbaren Hilfetasten für Idioten bedienten („Maus").

Schwere narzisstische Kränkung
1993 dann der Schock: Marc Andressen programmierte den ersten visuellen Browser für`s Internet, den sogar ältere Damen mit Hut nach zehn Minuten bedienen konnten – ohne jemals etwas von Unix gehört haben zu müssen. Diese schwere narzisstische Kränkung führte bei manchem Guru-Nerd dazu, dass er sich auf die nächstunverständliche Seinsebene zurückzog (Linux) und von dort aus weiter gegen die Ahnungslosen wetterte.

Als Mitte der Neunziger AOL massenhaft neugierigen Modemneubesitzern Zugang zum Internet, vor allem den Debattenbereichen im Unsenet verschaffte, ließen die Alteingesessenen die Neuen ihren Missmut über das lästige demokratische Gedränge spüren – die „Newbies" wurden abgekanzelt, verhöhnt und für den Untergang des digitalen Abendlandes verantwortlich gemacht. Früher war alles besser.

Aber es ist kein Verdienst, schon ganz früh dabeigewesen zu sein. Nicht per se. Vieles ist bald nur noch Folklore. Auch wenn das für viele Neuland sein dürfte: Niemandem nützt es heute noch etwas, wenn er erfährt, wie man eine virtuelle Lochkartenstanze in einem IBM-Mainframe bedient oder wie man auf einem C64 ein Maschinenspracheprogramm startet. Als historisches Wissen fördert es das Verständnis, im Großen. Und das Wissen über die sich entwickelnde digitale Welt wird immer schneller historisch. Erinnert sich noch jemand an Second Life, die schärfste Erfindung seit dem tiefen Teller? An die Foursquare-jagden nach dem Bürgermeisteramt? Früher gab es einen Zustand, dann kam eine Veränderung, dann ein neuer Zustand. Jetzt ist Veränderung der Zustand. Neuland ist als provisorische Bezeichnung dafür ok.

Das „geheime elektronische Nachrichtendienst-Netzwerk"
Das vollständige Zitat von Angela Merkel lautet übrigens: „Das Internet ist für uns alle Neuland, und es ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung, mit völlig neuen Möglichkeiten und völlig neuen Herangehensweisen unsere Art zu leben in Gefahr zu bringen." Es war die Antwort auf eine Frage nach dem NSA-Überwachungsprogramm PRISM. Im Jahr 1975 hielt der US-Kongress eine Reihe von Anhörungen ab. Diskutiert wurde eine erschreckende neue Überwachungstechnologie, von der manche fürchteten, sie könne die Freiheit des Individuums einschränken.

„Technologische Entwicklungen erfolgen so schnell und verändern die Natur unserer Gesellschaft so grundlegend, dass wir Gefahr laufen, über unser eigenes Schicksal nicht mehr selbst bestimmen zu können", sagte der kalifornische Senator John Tunney zur Eröffnung der ersten Sitzung. Von Seiten der Legislative wurde die Befürchtung geäußert, das neue System könne es der Regierung ermöglichen, große Datenmengen über Privatpersonen zu sammeln und beispielsweise „Verkehrsverstöße und Steuererklärungen miteinander zu verknüpfen".

Was NBC News damals als „geheimes elektronisches Nachrichtendienst-Netzwerk", beschrieb, „das dem Weißen Haus, der CIA und dem Verteidigungsministerium Sofortzugriff auf Computerdateien über Millionen von Amerikanern gibt" war das Arpanet – ein gerade entstandenes Computernetzwerk der Forschungsabteilung des Pentagon, aus dem später das heutige Internet hervorging...

Den richtigen Moment erwischen
Auch diese frühe Sorge hatte keine besondere Qualität, nur weil sie früh geäußert wurde. Bei vielen Dingen geht es nicht darum, Erster zu sein, sondern den richtigen Moment zu erwischen. Marc Andreessen mit dem Netscape-Browser hat den richtigen Moment erwischt. Linus Torwalds mit Linux. Brin und Page mit Google. Und es gibt den richtigen, dan heißt: wirkungsmächtigen Moment, über die größte und permanente Abhöraktion der Geschichte zu reden (aber ich bin nicht sicher, ob er schon gekommn ist).

Jednfalls - wenn wir möchten, dass alle so von Technologie begeistert sind wie die Enthusiasten unter uns, müssen wir dafür sorgen, dass auch alle an dieser interessanten Reise in die Zukunft teilhaben können. Es ist ein weltweites soziales, kulturelles und ökonomisches Experiment, das nun im Internet stattfindet – und ein Experimentierfeld für Geheimdienste und das Militär, das schon an seiner Entstehung beteiligt war.

Überall auf der Welt versuchen Menschen zu lernen, wie man online miteinander umgehen kann. Wie man im Internet leben kann. Hohn ist der falsche Ton, vor allem denen gegenüber, die tatsächlich noch nicht mit dabei sind. Wir sollten alle einladen in diesen neuen Weltteil, der vielen von uns so wichtig ist.

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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