Anton Pelinka
Anton Pelinka
© Martin Gnedt

Österreich 2050

Österreichs Bildungssystem ist suboptimal

Österreichs Zukunft wird mehr und mehr von Europa bestimmt. Das gilt auch im Bereich der Bildung. Durch die allmähliche Aufhebung der wirtschaftlichen, politischen, kulturellen Grenzen innerhalb Europas wird sich die österreichische Gesellschaft immer stärker europäisieren. Das bedeutet eine allmähliche Angleichung an europäische Standards.

Die Europäisierung

Dieser Prozess der Europäisierung bringt für Österreich nicht nur Vorteile – aber auch nicht nur Nachteile. Mittelfristig wird Österreich viele der spezifischen Züge verlieren, die bisher seine Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ausgezeichnet haben. Das politische System wird immer weniger durch Verhaltensmuster bestimmt werden, die so lange als „typisch österreichisch“ gegolten haben. Da der europäische Binnenmarkt – Kernstück der Integration – die Freizügigkeit von Arbeit und Kapital bedeutet, werden immer mehr Investitionen die österreichische Wirtschaft beeinflussen, die nicht aus Österreich kommen – wie auch immer mehr Kapital aus Österreich anderswo in Europa mitbestimmend sein wird. Und immer mehr Menschen aus den anderen EU-Staaten werden nach Österreich kommen – wie auch immer mehr Menschen aus Österreich in den EU-Raum ziehen werden.

Abschied von der "Insel der Seligen"

Der Abschied von den Sonderwegen des Landes, dem einmal der Status einer „Insel der Seligen“ zugesprochen wurde, wird sich auch auf das gesamte Bildungssystem auswirken. Österreichs Bildungspolitik wird sich – bestimmt vom Eigeninteresse der österreichischen Gesellschaft – in den nächsten Jahrzehnten wesentlich verändern. Die Richtung ist grundsätzlich vorgegeben: Die kritischen Anmerkungen der OECD zu den Defiziten der österreichischen Bildungslandschaft machen deutlich, was sich ändern muss, will Österreich nicht im europäischen Wettbewerb zurückfallen.

Österreicher nutzen ihr Potenzial nicht

Seit Jahren wird Österreich vorgehalten, dass der Anteil der Österreicherinnen und Österreicher eines Jahrganges, die einen höheren Bildungsabschluss erreichen, hinter dem sozioökonomischen Potential des Landes zurückbleibt. Vor allem die nordeuropäischen Länder, aber auch Frankreich und Deutschland nützen ihre Begabungsreserven viel besser. Das österreichische Bildungssystem lässt zu, dass sich die Leistungsmöglichkeiten nicht voll entwickeln.

Wenn davon auszugehen ist, dass Menschen in Österreich grundsätzlich dieselben Fähigkeiten besitzen wie Menschen etwa in Finnland, dann ist der signifikante Unterschied zwischen den Resultaten des finnischen und den des österreichischen Bildungssystems auf einen strukturellen Unterschied zurückzuführen: Österreichs Bildungseinrichtungen sind suboptimal aufgestellt.

Das zeigt sich auch darin, dass der Zugang zur höheren Bildung in Österreich nach wie vor sehr stark von der sozialen Herkunft bestimmt wird. Verglichen mit anderen europäischen Staaten wird der Zugang zur höheren Bildung in erheblich größerem Maß de facto vererbt.

Individuelle Begabungen sind entscheidend

Da es nicht im Interesse Österreichs liegen kann, dass Leistungsreserven des Landes ungenützt bleiben, muss sich Österreich an Europa orientieren – und nicht (etwa mit dem Hinweis auf das angeblich so bewährte Gymnasium) zulassen, dass jungen Menschen zu einem Zeitpunkt ihres Lebens Bildungschancen verwehr werden, in dem nicht ihre individuellen Begabungen, sondern der soziale Status ihrer Eltern entscheidet.

Das alles ist natürlich auch in Verbindung mit der Zukunft Europas zu sehen. Wenn sich in den nächsten Jahrzehnten die Europäische Union weiter vertieft, wenn also der Abbau der verschiedenen Trennlinien innerhalb Europas weiter fortschreitet, wird auch Österreichs Bildungssystem sich rascher und weiter öffnen müssen. Derzeit sind die Bildungssysteme der EU-Mitgliedsstaaten noch weitgehend von nationaler Politik bestimmt. Doch indirekt ist schon jetzt die Folge der Europäisierung deutlich – etwa durch die gebotene Gleichbehandlung Studierender aus allen EU-Staaten in Österreich.

Ein vergemeinschaftetes EU-Bildungssystem

Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich die Europäische Union – um Europa global wettbewerbsfähig zu halten – verstärkt um eine Vergemeinschaftung der nationalen Bildungssysteme bemühen wird. Für Österreichs Schulen heißt dies, dass sie sich etwa nicht am k.k. Gymnasium des Jahres 1900, sondern am finnischen Schulsystem von 2050 orientieren müssen. Der postsekundäre Bereich – also Universitäten und Fachhochschulen – müssen massiv ausgebaut werden, um der Gesellschaft die optimal ausgebildeten Menschen zur Verfügung zu stellen, die vermehr gesucht werden – um Österreich intellektuell, technisch, wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu machen; und um einen österreichischen Beitrag zu leisten, damit Europa im Jahr 2050 wettbewerbsfähig ist: im friedlichen Wettstreit mit den Gesellschaften außerhalb Europas.

Ein solches Szenario ist das Optimum, das Österreichs Bildungssystem zu erwarten hat. Ein Rückfall in nationale Souveränitätsphantasien – etwa nach dem Motto „Wir Österreicher wissen besser als alle anderen, welche Bildungsmöglichkeiten wir den nächsten Generationen eröffnen wollen“ – bedeutet Isolierung, und das heißt ökonomische und intellektuelle Verarmung.

Anton Pelinka (72) ist einer der renommiertesten Politikwissenschafter im deutschsprachigen Raum. Er ist seit September 2006 Professor für Politikwissenschaft und Nationalismusstudien an der Central European University in Budapest und war davor seit 1975 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck.

Zwei Dutzend österreichischer Wissenschafter haben sich Gedanken gemacht, wie Österreich im Jahr 2050 aussehen könnte. Die Publikation „Österreich 2050" beleuchtet unsere Zukunft aus unterschiedlichen Blickwinkeln, von Bildung über Forschung bis Innovation. Das Buch „Österreich 2050" ist im Holzhausen-Verlag erschienen und kostet 17.30 Euro.

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