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Peter Glaser: Zukunftsreich

Peter Glaser: Der fahrbare Tele-Besenstiel

Ein Freund von mir ist ein bißchen schwerhörig. Eigentlich ist er fast so taub wie Beethoven, aber ich will das nicht überbetonen. Er ist eine Art Reporter und hat aberwitzige Ideen, um an tolle Stories ranzukommen. Einmal war er in Los Angeles und hat sich drei Wochen lang durch Bars gesoffen, weil er sicher war, dass ihm der Zufall in die Hände spielen und er dem Stiefzwilling von Stephen Spielbergs Chauffeur begegnen würde, der ihm dann Zugang zu Spielberg verschaffen sollte. Wie immer versagte die Methode. Ich sollte noch erwähnen, dass mein Freund aus Eitelkeit kein Hörgerät trägt.

Kurz vor seiner Rückreise kam der Zufall, wie ihm jeder Mathematiker hätte sagen können, aus einer völlig unerwarteten Ecke: Sean Connery gab eines seiner sehr seltenen Interviews, und man konnte sich dafür akkreditieren lassen. Massen von Journalisten saßen vor einer Großleinwand, von der Connery herablächelte, der von Marbella aus zugeschaltet war. Man durfte Fragen stellen, aber meinem Freund fiel keine ein. Am Ende durften alle eine Aufzeichnung der Telekonferenz mitnehmen.

Auskunft, bis die Wand umfällt
Mein Freund flog zurück nach Europa, kam zu mir, drückte mir die CD in die Hand und strahlte mich an: „Kannst du mir sagen, was er sagt?" Ich habe damals das erste Mal ausprobiert, bis zu welcher Maximallautstärke sich die Lautsprecher an meinem Rechner aufdrehen lassen. Aber meinen Freund hat gar nicht interessiert, was Sean Connery da in einer Lautstärke von sich gab, von der ich dachte, dass jetzt gleich die Zimmerwand rausfällt. Er hat meine Zusammenfassung abgewartet, ist damit los und hat sein Interview geschrieben. Ich war sein Aggregator. Ich erzähle die Geschichte, weil sie zeigt, was Telepräsenz früher bedeutet hat.

Roboter als Partygäste
Heute läuft das so, dass man beispielsweise eingeladen wird, an einer Veranstaltung der Firma Willow Garage teilzunehmen, einem Hersteller von „persönlichen Robotern" (PR) im kalifornischen Menlo Park. Man muß nun nicht mehr mühsam seine volle Leiblichkeit hinüber ins Kalifornische bewegen, sondern kann dazu die Hilfe eines Telepräsenz-Roboters in Anspruch nehmen. Ein Roboter, der (in Maßen) so tut als sei er ich. Wie bei einer Kampfdrohne sitzt man bequem an dem Cockpit in seinem Tötungsbüro oder zu Hause vor dem Bildschirm und steuert sich durch den Lauf der Ereignisse.

Die Parkuhr kann sprechen
Der Repräsentator von Willow Garage heißt Texai und sieht ein bißchen aus wie eine fahrbare Parkuhr, mit dem Unterschied, dass oben am Stiel statt der Uhrenskala ein Flachbildschirm angebracht ist, von dem man lächelt oder plaudert. Über eine Kamera kann man sich ansehen, wer einen ansieht und bei Bedarf mit ihm kommunizieren. Das Verfahren heißt Telepräsenz, weil sich das vornehmer anhört als "Hey, man kann dich in einem Fernseher auf einem fahrbaren Besenstiel sehen!"

Es ist eine Status-Angelegenheit. Jonathan Knowles, einer der Cheftechnologen der Firma Autodesk, tauchte in Form eines Texai-Telepräsenzroboters auf einer X-Prize-Party auf und plauderte mit Robin Williams (hier ein Video des denkwürdigen Ereignisses). John Markoff von der New York Times war damit in New York und zugleich auf einer Willow Garage-Party in Menlo Park, auf der noch eine Reihe anderer Reporter herumrollten. Der Texai ist schwierig zu navigieren – man stelle sich eine Party mit beschwipsten Robotern vor.

„Darf ich Sie anfassen?"
Markoff, genauer gesagt: sein maschinenrepräsentierte Form, wurde von einer Frau angesprochen. Sie fragte, ob sie ihn anfassen dürfe und informierte ihn dann darüber, dass er sich warm anfühle. Gelegentlich kollabierte das Skype-Soundsystem. „Es war nicht klar, ob irgendjemand irgendetwas von dem, was ich sagte, hören konnte", berichtete Markoff, und ich mußte an meinen schwerhörigen Freund denken. Einer der Willow Garage-Mitarbeiter flüsterte der John-Markoff-Maschine zu, er möchte doch ein Stück beiseiterollen, weil er sonst von einem der vorbeifahrenden PR2-Modelle übergemangelt würde. Der Personal Robot 2, ein Forschungs- und Innovations-Roboter, ist das Flaggschiff von Willow Garage. Man kann ihn für 285.000 Dollar mit einem Arm kaufen, mit zwei Armen kostet er 400.000 Dollar. Es war inzwischen Abend geworden und John Markoff konnte seine Räder nicht mehr sehen.

Die Leute von Willow Garage wollten den Markt für mobile Telekonferenzsysteme aufrollen. Gründer der Firma ist Scott Hassan, einer der allerersten Mitarbeiter von Google. Google hat ihn reich gemacht, der Ausflug in die Roboterwelt nicht. Die Firma Willow Garage heißt übrigens so, weil Google in einer Garage an der Willow Road in Menlo Park gegründet wurde und das die Straße ist, in der Willow Garage nun ansässig ist. Ein Wissenschaftsmagazin berichtete, die Firma solle dichtgemacht werden. Die Firma werde lediglich neu strukturiert, heißt es dagenen aus dem Unternehmen.

John Markoff erzählt noch, wie er via Texai einer enthusiastischen Rede von Hassan zu lauschen versucht, aber der Sound ist einfach zu lausig. Wahrscheinlich war es etwas Leidenschaftliches über unsere robotische Zukunft. Ich muß an meinen schwerhörigen Freund denken und bin sicher, dass irgendwann ein Telepräsenz-Roboter vor meiner Tür stehen wird, und mein Freund lächelt mich vom Bildschirm an und sagt: „Kannst du mir sagen, was er gesagt hat?"

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Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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