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Peter Glaser: Zukunftsreich

Speicherdüfte

Als Anfang der Neunzigerjahre das Internet vom Himmel fiel, wurde der Sieg der Distanz offenkundig. Die Dinge, die weiter weg waren, gewannen an Wichtigkeit gegenüber den Dingen in unmittelbarer Nähe. Die Nahwelt begann zu verblassen, das Netz leuchtete hell und heller. Und die digitale Technologie erlaubte es, so weit voneinander entfernt miteinander in Kontakt zu treten, dass man unmöglich mehr wahrnehmen konnte, wie es am anderen Ende riecht.

Folgt man dem Klischee, dass Nerds nicht nur dicke Brillen tragen, unsportlich und pickelig sind, sondern manchmal auch merkwürdig riechen, war das vielleicht eine von dieser Bevölkerungsgruppe unbewußt in die digitale Technologie eingeschleuste Maßnahme. Der Obernerd Bill Gates etwa war in frühen Jahren dafür bekannt, dass es in seinem braunen Mercedes Turbodiesel oft nach saurer Milch stank, da Gates die leeren Packungen einfach in den Fonds schmiß.

Vor allem aber tat sich durch das einseitige Aufblühen der distanzüberwindenden Verfahren eine technologische Lücke auf. Während das ganze Spektrum der Distanzsinne längst und immer raffinierter in technische Gerätschaft umgewandelt wurde (alles, was mit Tele- anfängt), blieben die Intimsinne Geruch und Geschmack als Innovationsmauerblümchen zurück. Jetzt aber gibt es endlich USB-Sticks, die riechen. Niemand weiß, warum, aber wie bei vielen anderen Produkten ist allein schon die Tatsache, dass es sie gibt, irgendwie interessant.

Ein Geruch eröffnet eine Informationsdichte, die sich immer noch der technischen Beherrschbarkeit entzieht. Vorstöße wie Riechfilme im Kino, etwa der 1981 uraufgeführte Film „Polyester” von John Waters, sind Kuriosa geblieben. Waters hatte mit numerierten Duftfleckchen bedruckte Eintrittskarten ausgeben lassen, die von den Zuschauern abgerubbelt werden mußten, sobald an bestimmten Stellen im Film eine der Nummern erschien.

Ein Vierteljahrhundert später versuchte sich 20th Century Fox mit einer „Innovation im Kinomarkt" und zeigte den Trailer zu der romantischen Komödie „27 Dresses" geruchsbegleitet mit einem „frischen und blumigen Duft im Saal, der parallel zur Bildpräsentation über die Klimaanlage in den Kinosaal gelangt und zum Ende des Trailers rasch wieder verfliegt".

Alle Ansätze, Gerüche technisch zu zähmen, sind bisher aber mehr oder minder gescheitert. Auch Duft-CD-Player und ähnliches sind nicht viel mehr als Promotion-Gags geblieben. Firmen wie das deutsche Unternehmen Aerome („Scent is our mission“), die Duftkioske, riechende Getränkeautomaten und ganze Duft-Synthesizer herstellen, bedienen einen im wahrsten Sinn des Wortes flüchtigen Markt.

Die Grals-Herausforderungen der Technik

Die Intimsinne Geruch und Geschmack gehören zu den Grals-Herausforderungen der Technik. Sogar unser mächtigstes Medium, die Sprache, mit ihrem universalen und flexiblen Reservoir an Bedeutungen und Kombinationen, stößt da schnell an seine Grenzen, wenn es darum geht, derlei klar und allgemeinverständlich zu beschreiben. Nicht ohne Grund nehmen Werbetexte für Parfums meist den vagen Charakter von Mysterien und aufwendigen Bildpoesien an. Parfumeure und Weinexperten haben Fachsprachen entwickelt, die nicht so sehr an nüchterne Beschreibungen als vielmehr an Lyrik erinnern.

Nun ist aber leider erst einmal zu befürchten, dass sich weder Duft- noch Durstfachleute mit den USB-Duftsticks befassen werden, denn es gibt sie nur in drei Riechrichtungen: Creamsicle (Wassereis), Jelly donut (Berliner) und Cola. Es sind sozusagen die Autorückspiegelduftbäumchen unter den Speichersticks. Man sieht förmlich Menschen in Büros, die einen Augenblick gedankenverlorenen Sinnierens nutzen, um mit dem Kopf immer tiefer an den Rechner heranzuriechen und sich vom informatischen Zusatznutzen amerikanisch duftender vier Gigabytes betören zu lassen.

Jeder der Sticks läßt sich auch an einem Schlüsselbund befestigen, was immerhin bedeutet, dass man künftig auch duftende Schlüssel haben kann. Und schließlich lösen die kleinen Flash-Drives noch eine durch keinerlei Kapazitätsgrenze eingeengte Begeisterung durch aufgedruckte, kleine Smiley-Gesichter aus. Wir wittern eine wenn nicht große, so immerhin grinsende Zukunft.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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