Nicht alles, was glänzt, ist sauber
Nicht alles, was glänzt, ist sauber
© Kurier

Star Dreck

Star Dreck

Die digitale Welt ist ein Bereich jenseits des Stofflichen, unabhängig vom Abfall der althergebrachten, wirklichen Welt. (Manchmal schrecke ich aus Träumen hoch, in denen mein Desktop gepflastert ist mit verschiedenen Mülleimerchen zur digitalen Mülltrennung). Dreckige Technik scheint am ehesten in der Literatur zu Hause zu sein, in rostigen, schmadderigen Cyberpunk-Szenarios irgendwo zwischen „Blade Runner”, „Neuromancer” und speicheltriefenden Aliens. In Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis” stellt sich heraus, dass die Geschichte der Menschheit damit begonnen hat, dass einst ein Raumschiff voller Telefondesinfizierer vom Planeten Golgafrincham hier strandete. Und in den „Sterntagebüchern” von Stanislaw Lem schüttet ein betrunkener Außerirdischer vorschriftswidrig einen Eimer Dreck – nämlich Eiweißverbindungen – auf die jungfräuliche Erde, woraus sich danach alles Leben entwickelt. Der Computer, ein Kristall der Reinheit Als ich Kind war, hörten Computer gerade auf, Elektronengehirne zu heißen und bildeten eine wichtige Grundlage für zwei damals bedeutsame Ereignisfolgen: das amerikanische Mondlandeprogramm und die sieben Folgen der Fernsehserie „Raumpatrouille”. Vor allem der Bordcomputer des Patrouillenraumers Orion VIII, der aussah wie ein Oszilloskop im Chassis einer italienischen Espressomaschine, hatte es mir angetan – und wie die Einrichtung in dieser Zukunft aussah: polierte Oberflächen, Chrom, elegante Geometrien, und alles wie frisch ausgepackt. In mir erwuchs ein Eindruck vom Computer als einem Kristall der Klarheit und Reinheit. Ein Bereich, abgelöst von allem Stofflichen, unabhängig von den Unwägbarkeiten und dem Staub der wirklichen Welt. Der legendäre Bug Als früher in echten Rechenzentren noch sogenannte Großrechner standen, die mit konstant 21 Grad Celsius klimatisiert werden mußten, konnte jedes Mehr an Wärme gleichfalls zu Evolutions-Explosionen führen. „Von Schaben bis zu Schimmelpilzen war da so ziemlich alles zu finden", weiß der Sicherheitsexperte Jürgen Kupfrian über das grauenerregene Innenleben von Rechenanlagen zu berichten. Legende geworden ist eine Motte, die an einem heißen Augustnachmittag im Jahr 1945 von der Computerpionierin Grace Hopper in einem der allerersten Computer an der Harward University gefunden wurde. „Wir hatten keine Klimaanlage”, erinnert sich die spätere Konteradmiralin, „und die Fenster standen offen.” Im Protokollbuch des 4,5 Tonnen schweren, 17 Meter langen Computers MARK II ist neben einem Eintrag um 15.45 mit Klebstreifen eine Motte fixiert. Sie hatte einen Kurzschluß zwischen zwei Röhren ausgelöst. „Dann kam unser Vorgesetzter und fragte, ob wir wohl ordentlich Zahlen schaufeln würden. Von da an sagten wir immer, wenn der Computer gerade nicht lief, wir seien dabei, Bugs zu entfernen.” Mehr Keime als auf einer Klobrille Als der Mikrobiologe Dr. Charles Gerba an der Universität von Arizona verschiedene menschliche Lebensbereiche untersuchte, zeigte sich, dass an Computerarbeitsplätzen im Schnitt 400 mal mehr Keime zu finden sind als auf einer Klobrille. Das schmutzigste Objekt auf einem Schreibtisch ist das Telefon mit knapp 4000 Mikroben pro Quadratzentimeter. Die Tastatur liegt bei etwas über 500 Keimen pro Quadratzentimeter, gefolgt von Maus und Scanner. Solche Mikro-Schrecknisse lassen den menschlichen Erfindungsgeist nicht ruhen. So gibt es inzwischen beispielsweise eine Spezialversiegelung, mit der man dem grausigen Getümmel beherzt entgegentreten kann – eine damit überzogene Tastatur läßt sich mit Desinfektionsmittel besprühen, in Reiningungsflüssigkeit tauchen, unter einem Wasserstrahl säubern und anschließend trockenföhnen. Waschbare Lesegeräte für Smartcards und waschbare Mäuse sind auch schon zu haben. Dreck zum Aufsprühen Die amerikanische Firma Vioguard versucht sich an der Umkehrung einer Idee aus den Neunzigerjahren, als wuchtige SUVs als Statusobjekte im Großstadtverkehr auftauchten, denen aber etwas Entscheidendes fehlte: Dreck. Authentisch an Kühlergrill, Radkästen und Türen nach hinten schraffierter, angetrockneter Schlamm als Ausweis des großen Abenteuers. Wenn ich meine Geschäftsidee, Schlamm aus der Sprühdose zu verkaufen, auch tatsächlich umgesetzt hätte, wäre ich heute sicher Millionär. Vioguard jedenfalls verkauft eine Computertastatur [1], die auf Knopfdruck zur Dekontamination in einem Schubfach verschwindet. Dort wird sie einer UV-Dusche unterzogen und ist danach angeblich wieder keimfrei. Wenn sie eine Weile nicht benutzt wird, reinigt die Tastatur sich aus Langeweile von selbst. Vielleicht rettet sie sogar Ehen. In der ostdeutschen Stadt Sondershausen ließ sich eine Frau nach 15 Jahren Ehe von ihrem putzsüchtigen Mann scheiden, nachdem er eine Wand eingerissen und neu aufgebaut hatte – „weil sie schmutzig war”.

Die digitale Welt ist ein Bereich jenseits des Stofflichen, unabhängig vom Abfall der althergebrachten, wirklichen Welt. (Manchmal schrecke ich aus Träumen hoch, in denen mein Desktop gepflastert ist mit verschiedenen Mülleimerchen zur digitalen Mülltrennung).

Dreckige Technik scheint am ehesten in der Literatur zu Hause zu sein, in rostigen, schmadderigen Cyberpunk-Szenarios irgendwo zwischen „Blade Runner”, „Neuromancer” und speicheltriefenden Aliens. In Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis” stellt sich heraus, dass die Geschichte der Menschheit damit begonnen hat, dass einst ein Raumschiff voller Telefondesinfizierer vom Planeten Golgafrincham hier strandete. Und in den „Sterntagebüchern” von Stanislaw Lem schüttet ein betrunkener Außerirdischer vorschriftswidrig einen Eimer Dreck – nämlich Eiweißverbindungen – auf die jungfräuliche Erde, woraus sich danach alles Leben entwickelt.

Der Computer, ein Kristall der Reinheit

Als ich Kind war, hörten Computer gerade auf, Elektronengehirne zu heißen und bildeten eine wichtige Grundlage für zwei damals bedeutsame Ereignisfolgen: das amerikanische Mondlandeprogramm und die sieben Folgen der Fernsehserie „Raumpatrouille”. Vor allem der Bordcomputer des Patrouillenraumers Orion VIII, der aussah wie ein Oszilloskop im Chassis einer italienischen Espressomaschine, hatte es mir angetan – und wie die Einrichtung in dieser Zukunft aussah: polierte Oberflächen, Chrom, elegante Geometrien, und alles wie frisch ausgepackt. In mir erwuchs ein Eindruck vom Computer als einem Kristall der Klarheit und Reinheit. Ein Bereich, abgelöst von allem Stofflichen, unabhängig von den Unwägbarkeiten und dem Staub der wirklichen Welt.

Der legendäre Bug

Als früher in echten Rechenzentren noch sogenannte Großrechner standen, die mit konstant 21 Grad Celsius klimatisiert werden mussten, konnte jedes Mehr an Wärme gleichfalls zu Evolutions-Explosionen führen. „Von Schaben bis zu Schimmelpilzen war da so ziemlich alles zu finden", weiß der Sicherheitsexperte Jürgen Kupfrian über das grauenerregene Innenleben von Rechenanlagen zu berichten. Legende geworden ist eine Motte, die an einem heißen Augustnachmittag im Jahr 1945 von der Computerpionierin Grace Hopper in einem der allerersten Computer an der Harvard University gefunden wurde. „Wir hatten keine Klimaanlage”, erinnert sich die spätere Konteradmiralin, „und die Fenster standen offen.” Im Protokollbuch des 4,5 Tonnen schweren, 17 Meter langen Computers MARK II ist neben einem Eintrag um 15.45 mit Klebstreifen eine Motte fixiert. Sie hatte einen Kurzschluss zwischen zwei Röhren ausgelöst. „Dann kam unser Vorgesetzter und fragte, ob wir wohl ordentlich Zahlen schaufeln würden. Von da an sagten wir immer, wenn der Computer gerade nicht lief, wir seien dabei, Bugs zu entfernen.”

Mehr Keime als auf einer Klobrille

Als der Mikrobiologe Dr. Charles Gerba an der Universität von Arizona verschiedene menschliche Lebensbereiche untersuchte, zeigte sich, dass an Computerarbeitsplätzen im Schnitt 400 mal mehr Keime zu finden sind als auf einer Klobrille. Das schmutzigste Objekt auf einem Schreibtisch ist das Telefon mit knapp 4000 Mikroben pro Quadratzentimeter. Die Tastatur liegt bei etwas über 500 Keimen pro Quadratzentimeter, gefolgt von Maus und Scanner. Solche Mikro-Schrecknisse lassen den menschlichen Erfindungsgeist nicht ruhen. So gibt es inzwischen beispielsweise eine Spezialversiegelung, mit der man dem grausigen Getümmel beherzt entgegentreten kann – eine damit überzogene Tastatur lässt sich mit Desinfektionsmittel besprühen, in Reinigungsflüssigkeit tauchen, unter einem Wasserstrahl säubern und anschließend trockenföhnen. Waschbare Lesegeräte für Smartcards und waschbare Mäuse sind auch schon zu haben.

Dreck zum Aufsprühen

Die amerikanische Firma Vioguard versucht sich an der Umkehrung einer Idee aus den Neunzigerjahren, als wuchtige SUVs als Statusobjekte im Großstadtverkehr auftauchten, denen aber etwas Entscheidendes fehlte: Dreck. Authentisch an Kühlergrill, Radkästen und Türen nach hinten schraffierter, angetrockneter Schlamm als Ausweis des großen Abenteuers. Wenn ich meine Geschäftsidee, Schlamm aus der Sprühdose zu verkaufen, auch tatsächlich umgesetzt hätte, wäre ich heute sicher Millionär. Vioguard jedenfalls verkauft eine Computertastatur, die auf Knopfdruck zur Dekontamination in einem Schubfach verschwindet. Dort wird sie einer UV-Dusche unterzogen und ist danach angeblich wieder keimfrei. Wenn sie eine Weile nicht benutzt wird, reinigt die Tastatur sich aus Langeweile von selbst. Vielleicht rettet sie sogar Ehen. In der ostdeutschen Stadt Sondershausen ließ sich eine Frau nach 15 Jahren Ehe von ihrem putzsüchtigen Mann scheiden, nachdem er eine Wand eingerissen und neu aufgebaut hatte – „weil sie schmutzig war”.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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