Peter Glaser: Zukunftsreich

Technik-Voodoo

So wie es Büstenheben gibt, gibt es auch Gefühlsheben. Die Gefühlshebe hebt das Gefühl, dass es einem besser geht, wenn man sie benutzt. Und wie bei der Büstenhebe gibt es Menschen, die gar nicht wissen wollen, wie der Effekt zustandekommt und sich mit einem scheinbar reizvollen Geheimnis zufriedengeben.

Kim Dandurand ist ein Mann, der eine Auswahl von bemerkenswerten Gefühlsheben im Angebot hat. Auf ihn gestoßen bin ich, nachdem ich zufällig über seinen Aulterra Whole House Plug Neutralizer gestolpert war. Es handelt sich dabei um einen Stecker, der, in eine Steckdose appliziert, den Menschen gegen die schädlichen Auswirkungen elektromagnetischer Felder schützen soll, die, so die Produktbeschreibung, „erwiesenermaßen eine Reihe von Krankheiten im Körper verursachen können.“ Welche Krankheiten das sein sollen, steht nicht dabei. Dandurand verkauft diffuse Gefühle, die sich als Vernunft verkleidet haben. Der Stecker ist im Übrigen wirklich nur ein Stecker, ohne Kabel, es gibt ihn zum Trost aber in verschiedenen Farben.

Ein Exemplar reicht laut Herstellerangabe zur Entstrahlung von knapp 500 Quadratmetern Wohn- oder Bürofläche. Der Neutralizer soll, für läppische 50 Dollar das Stück, die krankmachende - wie auch von außen ankommende - Strahlung in der Hausverkabelung „neutralisieren“. Wie genau das funktionieren soll, bleibt im Dunklen.

Ein Amazon-Kunde schreibt über das Gerätewunder, das er von seinen Eltern geschenkt bekommen hat: „Ich nahm es gleich mal auseinander, musste ziemlich herumhebeln und es in der Mitte durchsägen, da der Hersteller es mit Epoxidharz gefüllt hat, um genau das zu verhindern, was ich da tat. Und wißt ihr was? Da ist nichts drin! Es ist das leere Äußere eines gewöhnlichen Steckers aus dem Baumarkt.“

Das aber ist, wie jeder halbwegs gebildete und nicht so engstirnige Mensch weiß, nur die grobstoffliche Ebene des Seins. Um das Grobstoffliche mit dem feinstofflich Neutralisierenden zu verbinden und auf dem Weg dorthin weder Wissenschaftlichkeit noch Rendite aus den Augen zu verlieren, hat Dandurand die Strahlung, die von elektromagnetischen Feldern ausgeht (EMF, er spricht irrtümlich von elektromagnetischen Frequenzen), „zu studieren“ begonnen. Das war 1996, zu einer Zeit, „als Handies und Computer zu Hause selbstverständlich wurden“ und er „gesundheitliche Veränderungen“ bei seinen Kindern beobachtet haben will, die er aber gleichfalls nicht näher beschreibt. Sorge und Angst zu schüren, reicht ihm. Er hat ein Mittel dagegen.

„Unermüdlich“ arbeitete er in den folgenden Jahren daran, den angeblich alarmierenden Effekten, wenn man längere Zeit EMF-emittierende Geräten ausgesetzt ist, etwas entgegenzusetzen. „15 Jahre Forschung gipfelten in der Entwicklung des Neutralizers.“

Würde das Ding wirklich funktionieren, wäre es ein wahrhaftes Wunder, denn einerseits soll es die elektromagnetische Abstrahlung neutralisieren – gleichzeitig fließt der Strom aber weiter (produziert also weiter elektromagnetische Abstrahlung) und alle Geräte laufen wie gehabt! Man muß sich den Neutralizer möglicherweise als eine Art geistigen Stromdompteur vorstellen – die Elektrizität wird durch einen funktionslosen Plastikstecker angewiesen, sich nur dort aufzuhalten, wo es ihr erlaubt ist.

Dandurands Firma Aulterra International Inc. ist in dem Städtchen Hayden im Norden von Idaho ansässig. Am benachbarten Hayden Lake befand sich bis 2001 ein von bewaffneten Wachleuten und Hunden gesichertes, KZ-artiges Gelände der Aryan Nations, einer weißen neonazistischen Gruppe christlicher Separatisten, die dort Kongresse und Konzerte veranstaltete und eine „Akademie“ für Jugendliche betrieb.

Aulterra logiert in einem großen Wohnhaus in einer Gegend von Hayden, in der keine armen Leute wohnen. Strahlung „umzustimmen“, wie Dandurand es nennt, scheint ein gutes Geschäft zu sein. Das „-terra“ im Firmennamen steht - wieder angeblich - für eine spezielle Art der Seltenen Erden (die nicht wirklich selten sind; der Name kommt daher, dass sie früher in seltenen Mineralien gefunden wurden), die paramagnetisch sind. Zusammen mit einem homöopathisch wirksamen Steinpulver sollen sie die Wirksubstanz des Neutralizers bilden. Ein Hauch davon soll sich, in Kunststoff eingebettet, in dem Stecker befinden.

Die Wirksamkeit seiner Erfindung sei wissenschaftlich erwiesen, betont Dandurand. Sie würde die menschliche DNA vor den verhängnisvollen „elektromagnetischen Frequenzen“ bewahren. Als Beweise angeführt werden Untersuchungen des „Bioelektromagnetismus-Forschers" Glen Rein und seiner Partnerin, der Psychologin Maria Syldona. In ihrem Lebenslauf führt Syldona als Stationen unter anderem die Stony Brook University, ein Quantum Biology Research Lab (QBRL) und die University of Rhode Island an. Das liest sich, als sei das zwischen die beiden Universitäten gereihte Forschungslabor eine akademische Stätte. In Wirklichkeit ist es der Name der Firma ihres Freunds Glen Rein, eine Postfachadresse in Ridgway, Colorado.

Eine dünne Studie über Veränderungen in der DNA, in der Glen Rein als Quellen vor allem eigene Artikel anführt, wird von Fachautoren so umschrieben: „Der Text imitiert vordergründig den Stil wissenschaftlicher Arbeiten, wird einem wissenschaftlichen Standard jedoch in keiner Weise gerecht: Experimente werden unzureichend beschrieben, Fachbegriffe werden falsch benutzt und mit erfundenen gemischt, zitiert werden fast nur esoterische und pseudowissenschaftliche Quellen."

In einer gleichfalls von Aulterra Inc. verbreiteten „Studie“ von Maria Syldona heißt es, dass die Strahlung eines Mobiltelefons bei 94 MHz durch den Neutralizer stark verringert werden konnte. Die Frequenz 94 MHz liegt aber im UKW-Rundfunkband und hat nichts mit der Sende- und Empfangsfrequenz von Mobiltelefonen zu tun (die üblicherweise bei 900 oder 1.800 MHz liegt). Der Text zeigt zudem, dass der Autor die verwendete Messtechnik und die Messgrößen nicht verstanden hat und mit unsinnigen Zahlen operiert. „Diese Messungen“, heißt es in dem Aufklärungs-Wiki Psiram lakonisch, „werden auch (und ebenfalls falsch) in der Patentschrift zum Neutralizer dargestellt.“

Offenbar gibt es Menschen, die etwas wissen wollen und erst, wenn es nichts mehr zu wissen gibt, ans Glauben denken. Und es gibt Menschen, die nicht wissen wollen, sondern gleich glauben. Dazwischen gibt es ein paar Menschen, die etwas wissen, aber so tun, als würden sie an etwas anderes glauben, um denen, die gern gleich glauben das Geld aus der Tasche zu ziehen. Bauernfänger nannte man das früher.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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