Peter Glaser: Zukunftsreich

Untragbar: Das Grobe am Computer

Ich hab mich schon wieder dabei erwischt. Vor mir auf dem Tisch steht eine Festplatte, Hubraum ein Terabyte, sie ist kaum größer als ein Buch. Mein Rechner, der etwa das Format eines Schulatlas hat, ist leistungsfähiger als ein Rechenzentrum in den achtziger Jahren. Und ich, was mache ich? Ich notiere mir eine Idee, indem ich einen leeren Ordner auf dem Desktop anlege und die als Minibildunterschrift erscheinende Ordnerbezeichnung als Notizzettel benutze.

Die notierte Idee ist ganz winzig. Dafür eigens ein Dokument in einem meiner Schreibprogramme (man beachte die Mehrzahl) zu öffnen und zu benennen, erscheint mir unangemessen und übertrieben. Der Verwaltungs-Overhead ist angesichts einer solchen kleinen Idee überdimensioniert. Mit den Bildschirmnotizzetteln, die aussehen wie Post-its, wäre es nicht anders. Tut mir leid, das alles ist nicht einfach genug, liebe Softwarekonstrukteure. Auch wenn Steve Jobs mit dem Macintosh seinerzeit erklärt hat, er wolle den Computer so bequem wie ein Wohnzimmer machen und so praktisch wie ein Schweizer Taschenmesser.

Wunderbare digitale Weltneugestaltung
Manchmal fehlt mir ein selbstverständlicher Grad an Kleinheit und Feinheit am Rechner, der mir in einer fernen Zeit, als ich noch auf einer sogenannten Schreibmaschine geschrieben habe (eure Eltern können euch sowas mal auf dem Flohmarkt zeigen, sieht aus wie eine souffléartig aufgequollene Tastatur) – na, der mir jedenfalls in einer weit zurückliegenden Zeit schon mal verfügbar war. In Momenten wie dem mit der kleinen Idee, die notiert werden möchte, sehe ich nicht, wo der Fortschritt liegt in der ganzen sonst so wunderbaren digitalen Weltneugestaltung. Ich vermisse etwas. Ich sitze vor meinem vor Rechenleistung schimmernden, tragbaren Gerät und finde etwas an ihm untragbar. Eine fehlende Bereitschaft, auf Kleinigkeiten einzugehen.

Wer schon mal mit Computerhilfe ein neues Klingelschild beschriften wollte, weiß vielleicht, was ich meine. Früher hat man ein passendes Streifchen Pappe aus dem Deckel einer Zigarettenschachtel geschnitten, es in die Schreibmaschine eingespannt, den Namen getippt, fertig. Heute kann ich dafür zwar aus einem Konvolut von Fonts wählen, aber ich muss ein ganzes A4-Blatt vergeuden, um mein gedrucktes Klingelschild ausschneiden zu können. Ein so kleines Streifchen Papier läßt sich nicht in den Drucker einspannen. Ich bin ein Papierbenutzungsfetischist. Bei mir wandert ein Blatt erst in den Abfall, wenn es auf beiden Seiten beschrieben ist. Nur wegen eines kleinen Streifchens ein ganzes Blatt zu vergeuden, widerstrebt mir zutiefst, vor allem, wenn mich mein Computer-Equipment dazu zwingt.

Die Klingelschild-Datenmenge
Es wird einem wieder deutlich, woher Computer ursprünglich kommen, nämlich aus dem Büro - aus Kryptographie- und Ingenieurbüros, aus den Buchhaltungen großer Unternehmen, jedenfalls aus dem Bedarf nach schneller Abarbeitung großer Datenmengen. Die kleine, persönliche Klingelschild-Datenmenge fällt dabei durch den Rost, nach wie vor, obwohl man uns seit fast drei Jahrzehnten etwas vom persönlichen Computer erzählt.

Das Geheimnis der runden Ecke
Es ist paradox, denn es gibt, beispielweise, so einzigartige Winzigkeiten wie die runde Ecke bei Apple. Sie ist ein Statement, ein ästhetischer Luxus, für den man in Softwareform ohne zu zögern bereit ist, ein paar Pixel Bildschirmfläche zu opfern. Am PC sind Ecken eckig, das kann jeder. Die ausschließlich eckige Ecke ist Ausdruck bornierter Exaktheit. Im Mai 1981 war diese elegante Winzigkeit von Bill Atkinson programmiert worden, dem der spätere Macintosh seine Grafikbibliothek verdankt. Steve Jobs hatte Atkinson bedrängt und darauf hingewiesen, dass man praktisch überall auf Vierecke mit runden Ecken stieße, an Tischen und Flipcharts ebenso wie an Verkehrsinseln. Jobs schleppte Atkinson nach draußen, und nach zwei Runden (Ecken) um den Block gab er seinen Widerstand auf und schrieb eine erstklassige Routine, die zur Grundlage dieses winzigen, stilprägenden Gestaltungselements wurde. Aber auch die runde Ecke ist vom Fortschritt bedroht. Seit OS X Leopard ist dieses unverkennbare Merkmal aus den Winkeln des Desktops verschwunden.

Ich schaute auf den hellblauen Ordner mit der Unterzeile, in die ich meine Idee geschrieben hatte. Es gibt Dinge, die man jahrelang jeden Tag vor Augen hat und die man gar nicht mehr richtig wahrnimmt. Ich schaute genau hin und sah die winzigen runden Ecken an dem Ordner.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Kommentare