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Warum die Ice-Bucket-Challenge nervt

Es geht vielen schon längst nicht mehr darum, auf ALS aufmerksam zu machen, sondern darum, ein möglichst ausgefallenes Kurzvideo online zu stellen, das von der Community viele „Likes“ erhält. Wer auf Facebook ist, wird regelrecht zugemüllt von diesen #‎IceBucketChallenge-Kurzvideos, es gibt leider keinen Filter, mit dem man diese Filmchen aufhalten kann. Und ein Video in meiner „Timeline“ hat mir schließlich gereicht: Statt einen Kübel mit Wasser und Eis zu verwenden, schüttete sich der Nominierte geschmolzenes Vanille-Speiseeis über den Kopf. Wenn er wenigstens geschmolzenes Schokoladeeis genommen hätte – das hätte optisch gleich ausgedrückt, was ich von Selbstdarstellern mittlerweile halte... Am Wochenende wurde per PR-Mail auf das erste 360-Grad-Video aufmerksam gemacht - Hallo, habt ihr schon dieses für mich beeindruckende interaktive 360°-Video von der Ice Bucket Challenge 2.0 gesehen (aus Vorarlberg/Westösterreich)? Das wär doch ein toller Beitrag (sic!) wert?! Heute wurde auf meiner Facebook-Seite dann noch ein Challenge-Filmchen angezeigt, in dem die Herausgeforderte in einer Tauchmontur antrat und in der Vorwoche hat das Samsung S5 das iPhone in der Ice Bucket Challenge gefordert.

Dafür steht ALS

Ich behaupte mal, dass nach wie vor die wenigsten wissen, wofür ALS steht – nämlich für Amyotrophe Lateralsklerose, und das ist eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. Es werden jene Nervenzellen irreversibel geschädigt, die für die Bewegung des Muskel-Apparats verantwortlich sind. Der wohl „berühmteste“ Patient ist Stephen Hawking, auch der verstorbene deutsche Maler Jörg Immendorff litt an ALS.

Bewusstseinsbildung als Ziel

Grundsätzlich ist ja nichts dagegen einzuwenden, dass auf ein Problem aufmerksam gemacht wird, wenn eine Aktion innerhalb weniger Monate eine globale Reichweite schafft und auch zur Bewusstseinsbildung beiträgt (die ALS Association hat die „Ice Bucket Challenge“ am 15. Juli 2014 gestartet). Ich habe aber etwas gegen Selbstdarstellungs-Versuche und eine „wer-schüttet-sich-den-Eiskübel-am-coolsten-über-den-Schädel“-Challenge. Es geht den meisten nur noch darum, das lustigste, schrägste und abnormalste Video zu präsentieren. Ich habe mittlerweile vor allen Respekt, die sich ohne einen Kübel Eiswasser über den Schädel zu schütten, spenden. Die grundsätzlichen Spielregeln lautet ja Eis über den Kopf oder spenden. Das "oder" ist mir bei weitem sympathischer und macht mehr Sinn.

Aktionistische Massenbewegung

Die Zahl derer, die sich von der Challenge, die zu einer regelrechten Massenbewegung mutiert, genervt fühlen, wächst, und mit jeder Stunde steigt die Gefahr, dass das Ziel – auf ALS aufmerksam zu machen – in weite Ferne rückt. ALS ist nur eine von vielen Krankheiten, in deren Heilung Medizin und Pharmaindustrie viel Geld stecken sollten; Alzheimer zum Beispiel – jeder dritte Mensch erkrankt mittlerweile daran, oder – höchst aktuell – Ebola. Zudem gibt es nicht nur todbringende Krankheiten auf dieser Welt, sondern generell viel Not und Leiden – im Irak oder in der Ukraine – von Wien aus ist die ukrainische Grenze nicht weiter entfernt als wenn man von Wien aus nach Vorarlberg reisen würde.

Was bleibt von der Challenge?

Die Frage ist, was wird aus der Ice-Bucket-Challenge und was bleibt? Ein Sammelsurium teils skurriler Videos, auf denen sich Prominente einen Kübel Eiswasser über ihr Haupt schütten oder auf denen das Über-den-Kopf-Schütten gehörig schief geht. Stimmt schon, die ALSA hätte nie so viel Spendengelder zusammen gebracht, wäre der Hype nicht von berühmten US-Bürgern wie Mark Zuckerberg oder Bill Gates verbreitet worden. Angeblich wurde heuer um das Fünfzigfache (angeblich bereits 75 Millionen Dollar) mehr gespendet als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, damals waren es 1,7 Millionen Dollar. Die Befürworter der Challenge bzw. Kritiker der Challenge-Kritiker vergessen aber, dass die wenigsten der Herausgeforderten tatsächlich auch spenden und dass denen wirklich die Heilung von ALS am Herzen liegt.

Das ist die echte Challenge

Es gibt (zu) viele Krankheiten, für deren Erforschung Spendengelder notwendig wären. Sinnvoll wäre eine Aktion, mit der ständig Geld in die Erforschung von Heilungsmethoden investiert werden könnten. Das ist die echte Challenge.

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