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Interview

"Die Science Fiction kann keine neuen Visionen entwickeln"

//Ich stelle zum Beginn einmal eine gewagte These auf: In der Science Fiction gibt es keine Visionen mehr. Selbst der letzte große Zukunfts-Entwurf "Avatar" von James Cameron ist mehr als zehn Jahre alt.//

Schätzing: Die Science Fiction der 50er und 60er hat unglaublich weit vorausgedacht. Wir waren lange zu glauben bereit, dass es 2001 die von Stanley Kubrick so schön in Szene gesetzte Weltraum-Odyssee gibt. Dann haben wir festgestellt, dass nichts von dem, was er uns versprochen hat, eingetroffen ist. Die Wirklichkeit hat nach wie vor damit zu tun, dieser alten Science Fiction nahezukommen. Deswegen kann die Science Fiction momentan gar keine neuen Visionen entwickeln, weil die alten ja noch nicht einmal eingelöst sind.

//Ihr neuester Roman "Limit" spielt im Jahr 2025. Welche Technologien gibt es dort, die uns aus heutiger Sicht futuristisch erscheinen?//

Schätzing: Natürlich der Weltraum-Fahrstuhl, eine übrigens gar nicht so neue Idee. Er transportiert einem per Seil in einen geostationären Orbit in 36.000 Kilometer Höhe. Das hat zur Folge, dass man wesentlich preiswerter hochkommt und in der Lage ist, große Mengen an Nutzlast ins All zu transportieren. So wird etwa die Industrialisierung des Mondes möglich. Das ist die große Neuerung im Buch, alles darüber hinaus sind Running Gags der Science Fiction, Extrapolationen von bereits Dagewesenem.

//Die Idee des Weltraum-Aufzugs gibt es auch bei John Scalzi ("Krieg der Klone"), der aber keine Erklärung dafür liefert, warum das Ding funktioniert.//

Schätzing: (lacht) Das hat er sich einfach gemacht...

//Warum funktioniert er denn bei Ihnen?//

Schätzing: Das, was ich beschrieben habe, entspricht der topaktuellen Forschung. Alle großen Weltraum-Agenturen arbeiten an dem Teil. Das Prinzip ist simpel: An einem aus Nano-Kohlenstoff geflochtenen Seil - das härteste Material, das wir kennen - klettert eine Kabine mit innwärts gedrehten Rollen hoch. Die Energie dafür liefern gigantische Laser, die Solarzellen an der Unterseite der Kabine bestrahlen.

"So unrealistisch ist das nicht"

//In "Limit" geht aus außerdem um den Abbau von Helium 3 auf dem Mond als Treibstoff der Zukunft. Diese Idee habe ich schon in den Space Operas von Peter F. Hamilton gefunden, wo das Helium 3 allerdings bei Gasriesen abgebaut wird.//

Schätzing: Den kannte ich noch nicht...aber klar, darüber denkt man natürlich auch nach. Um das zwischendurch zu sagen: Ich lese seit Jahrzehnten praktisch keine Science Fiction mehr. Ich habe aber zwei Jahrzehnte meines Lebens ausschließlich science Fiction gelesen, rauf und runter, Tag und Nacht. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, es kommt nichts Neues mehr nach.

//Wie realistisch ist die Sache mit dem Helium 3 denn?//

Schätzing: So unrealistisch ist das nicht, aber es müssen zwei Dinge dafür eingelöst werden: Einerseits Fusionsreaktoren, andererseits müssen wir Fördermaschinen zum Mond kriegen. Der Mond ist in einer Bodentiefe von vier bis fünf Metern komplett gesättigt mit dem Zeug. Es kommt seit Milliarden von Jahren mit dem Sonnenwind. Der Mond ist, weil er kein Magnetfeld und keine Atmosphäre hat, dem Beschuss mit Helium 3 unentwegt ausgesetzt.

//Ihre Hauptfigur Owen Jericho entwickelt eine emotionale Beziehung zu seinem Computer, den er "Diane" nennt. Ist das Ihre Kritik an unserer Technologie-Abhängigkeit?//

Schätzing: Nein, das ist keine Kritik. Wir leben ja mit Computern fantastisch zusammen, also warum nicht einmal ein Computer, mit dem man sich unterhalten kann, der auch mal nett zu einem ist und in der Früh fragt: Hast du gut geschlafen? Der Name "Diane" ist übrigens ein Insider-Gag: In der Kult-Serie "Twin Peaks" von David Lynch hat Agent Cooper immer ein Diktafon bei sich und nimmt immer Nachrichten für seine Sekretärin Diane auf.

//Sie sind also ein Lynch-Fan.//

Schätzing: Ja, die Serie war toll, ich mag David Lynch sehr.

"Treibe kein Schindluder mit Wissenschaft"

//Sie sind für Ihre akribische Recherche-Arbeit vor allem zu Ihrem Bestseller "Der Schwarm" bekannt. Welche Quellen zapfen Sie an?

Schätzing: Ganz unterschiedlich: Erst mal alles an Sachliteratur über Globalisierung, Weltwirtschaft, demografische Entwicklungen, aber natürlich auch über Weltraumtechnologien. Und dann natürlich Gespräche mit Fachleuten, Astronauten, Vertretern des Max-Planck-Instituts oder Experten des Fraunhofer-Instituts für virtuelle Realität.

//Wie begegnen solche Experten einem, der Science Fiction schreibt?//

Schätzing: Mit großer Freude! Durch "Der Schwarm" hatte ich so eine Art Kanzlerbonus, weil die Wissenschaftler wissen, dass ich kein Schindluder mit ihren Erkenntnissen treibe. Es ist ja auch ein symbiotisches Verhältnis: Sie versorgen mich mit Fakten, und ich verschaffe ihrem Fachgebiet eine breite Basis in der Öffentlichkeit.

//In "Der Schwarm" haben Sie eine fremdartige Meereslebensform, die die Menschheit bedroht, beschrieben. Wie weit darf man sich bei der Erfindung von extraterrestrischem Leben aus dem Fenster lehnen? Darf man die Naturgesetze außer Kraft setzen?//

Schätzing: Nein, weil dann schreibt man Fantasy. Für "Der Schwarm" hatte ich die Idee der Verschmelzung von Einzellern zu einem Super-Gehirn. Dann habe ich mich mit zwei Biochemikern zusammen gesetzt, und dann haben wir das bei ordentlich Kölsch (Biersorte aus Köln, Anm.) durchgeplant, bis das so einigermaßen funktioniert hat.

//Der Science-Fiction-Autor Dan Simmons...//

Schätzing: ...den kenn ich´ wieder nicht...mein Wissen über Science-Fiction-Autoren endet wahrscheinlich in den Achtzigern...(lacht)

//Simmons musste sich jedenfalls von einigen Lesern vorwerfen lassen, Flugzeiten von interstellaren Raumschiffen falsch berechnet zu haben. Wie schützen sie sich vor solchen "Freaks"?//

Schätzing: Der Experten-Check findet im Gespräch mit Fachleuten statt, in denen ich meine Ideen abklopfe. Aber ab einem gewissen Punkt ist ein Roman ein Roman. Es wird immer Leute geben, die knietief in der Materie stehen und sagen: Das geht ja überhaupt nicht, der Roman funktioniert so nicht! Ich habe zuletzt eine Zuschrift eines Lesers bekommen, der meinte, dass mein Fahrstuhl nicht so schnell wie beschrieben an dem Seil hochklettern könne, weil die Hitze das Seil beschädigen würde. Dann haben wir hin und her geemailt. Aber das ist interessant, weil nichts anderes tun Wissenschaftler auch.

//Werden Sie dem Science-Fiction-Genre treu bleiben?//

Schätzing: Die Antwort fällt schwer, weil ich noch nie einem Genre treu geblieben bin. Es wird aber sicherlich nicht der letzte Science-Fiction-Stoff gewesen sein.

//Nur für den Fall: Welche technologischen Themen sind zukunftsträchtig genug für einen Roman?//

Schätzing: Im Moment gibt es keine, sonst hätte ich schon eine Story entwickelt.eine Story entwickelt.

(Jakob Steinschaden)

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