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Kritik

DLD: "Wir müssen die Venture-Kapitalisten loswerden"

"Wir erwarten uns zuviel von der Technik", sagt Morozov bei seiner Rede am Dienstag auf der DLD-Konferenz in München. "Wir glauben, dass Apps jedes Problem lösen können." Das sei bedenklich, denn dadurch verliere die Gesellschaft die Fähigkeit Probleme tatsächlich anzugehen. Er sei kein Technologieskeptiker, auch wenn er öfters als solcher bezeichnet werde, sagte Morozov: "Ich mache mir aber Sorgen in welche Richtung sich unsere Demokratie entwickelt und über die Rolle, die Technologieunternehmen dabei spielen."

"Probleme delegiert"

Anstatt strukturelle Probleme zu lösen, würden sie mittels Technik an den Einzelnen delegiert, kritisierte der an der Stanford University lehrende Publizist. So würden etwa nicht die Lebensmittelindustrie reguliert oder das Gesundheitssystem verbessert, sondern Bürger mittels Apps dazu angehalten, ihre Körperfunktionen mit Apps zu überwachen. Unternehmen und Lobbyisten hätten die Politik unterwandert, konstatierte Morozov. "Indem wir uns auf die Technik verlassen, verlieren wir die Fähigkeit, Probleme anzugehen."

Auch die US-Regierung bekämpfe Terrorismus, indem sie sich auf Informationen aus Smartphones, Blogs und dem Internet verlasse. Die Frage, warum Kinder im Jemen radikalisere würden, werde jedoch nicht gestellt. "Vielleicht liegt es daran, dass US-Drohnen dort auf ihre Familien schießen", sagte Morozov.

"Wichtige Fragen nicht gestellt"

Mit Werkzeugen zum Schutz der Privatsphäre werde nun auch der Datenschutz kommerzialisiert, den es davor gratis gegeben habe. "Das ist nur eine Antwort und keine Lösung", meinte Morozov zum Boom von datenschutzsensitiven Programmen nach den Enthüllungen über die Internet-Überwachung durch die US- und andere Geheimdienste. Auch von Politikern in der EU vorgeschlagene europäische Cloudlösungen würden nur ein Übel durch ein anderes ersetzen. "Wir müssen mehr tun als nur den Cloud-Betreiber zu wechseln. Wir können uns nicht auf zentralisierte, kommerzielle Modell verlassen, sonst werden wir in Europa bald dasselbe haben wie in den USA."

Viele wichtige Fragen würden nicht gestellt, meinte Morozov. Persönliche Daten seien heute die neue Bezahlung für Dienstleistungen von Internet-Unternehmen. "Wir werden ähnliche Modelle auch bald bei vernetzten Haushaltsgeräten sehen", warnte Morozov. "Wenn Nutzer bereit sind, mit ihren Daten zu bezahlen, wird in fünf bis zehn Jahren die Hälfte unsere Haushaltsgeräte von der IT-Industrie subventioniert."

"Google und Facebook bald im Versicherungsgeschäft"

Es sei deshalb nur eine Frage der Zeit bis Google und Facebook ins Bank- und Versicherungsgeschäft einsteigen würden. "Sie haben die besseren Daten und bekommen sie von vernetzten Feuermeldern und selbstfahrenden Autos."

Es werde bald Apps am iPhone geben, die in Echtzeit mit unseren Daten handeln, meinte Morozov. "Es gibt Unternehmen, die sich dafür interessieren, wie lange ihre Kühlschranktür offen steht. Vielleicht ist es der Hersteller der Milchflasche."

Mit dem vernetzten Heim und dem Internet der Dinge werde die Internet-Logik der vergangenen Jahre nahtlos fortgesetzt. "Wir müssen Möglichkeiten finden, kollektiv damit umzugehen." Wachstum und Effizienz dürften nicht die einzigen Paradigmen der Informationsökonomie bleiben, forderte Morozov, der das Publikum auf der DLD sichtlich irritierte. Auf die Frage eines Besuchers, ob wir unsere Smartphones nun wegwerfen sollen, antwortete Morozov: "Die Smartphones sind nicht das Problem, wir müssen die Venture-Kapitalisten loswerden."

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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