EURO: Verschärfte Überwachung der Fußball-Fans

EURO: Verschärfte Überwachung der Fußball-Fans

Zur Fußball-WM 2006 erregten beispielsweise Eintrittskarten Aufsehen, die mit RFID-Chips versehen waren und die theoretisch eine individuelle, namentliche Kontrolle der Fans über bestimmte Distanzen hinweg hätten ermöglichen können. Für die diesjährige Europameisterschaft war ein Testlauf des umstrittenen Forschungsprojekts INDECT angedacht – Überwachung in sozialen Netzwerken wie Facebook kombiniert mit avancierter Videoüberwachung und Drohneneinsätzen. Doch seitdem die polnische Polizei im April aus dem Projekt ausgestiegen ist, ist davon keine Rede mehr.

Härtere RegelnDie Sicherheitsbehörden in Polen und der Ukraine setzen vor allem auf verschärfte gesetzliche Regelungen und klassische Repressionsmaßnahmen, die mit fortschrittlicher Technik kombiniert werden. Für die Wochen der EM wird Polen trotz des Schengen-Abkommens wieder Grenzkontrollen einführen. Die europäische Grenzbehörde Frontex kündigte an anlässlich der Spiele eine „Joint Operation Eurocup 2012“ durchführen, um nicht nur Fans zu kontrollieren, sondern auch „andere Formen der grenzüberschreitenden Kriminalität“ zu verfolgen. Das geht aus einer Antwort (PDF) der deutschen Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage (PDF) hervor. Für die linke Politikern Ulla Jelpke überzieht Frontext damit ihr Mandat ist „auf dem besten Weg zu einer gesamteuropäischen Polizeitruppe.“

Schon im Vorfeld glich die polnische Polizei mit anderen europäischen Sicherheitsbehörden Daten über mögliche Gewalttäter ab. So wird beispielsweise die deutsche Polizei die personenbezogenen Daten der Datei „Gewalttäter Sport“ zur Verfügung stellen, obgleich nicht jeder, der in dieser Datei geführt wird, auch tatsächlich ein Gewalttäter ist. Die Ukraine wird sie allerdings nicht erhalten. Bestimmte Personen können daher schon an der Grenze zurückgeschickt oder nach der Einreise verstärkt überwacht werden.

Scharfe Gesetze in PolenHinzu kommen scharfe gesetzliche Regelungen: Wer in Polen gegen die „öffentliche Ordnung“ oder das Versammlungsrecht verstößt kann mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden, bei einer Schlägerei drohen bis zu drei Jahren Haft. In Strafsachen genügt seit kurzem ein einfaches Verfahren ohne Hauptverhandlung, doch gegen den Strafbefehl ist Einspruch möglich.

In der Ukraine kann bei Ordnungswidrigkeiten bereits drei Stunden nach der Festnahme eine Entscheidung durch den Leiter des Milizkommandos oder einen Richter erfolgen, wobei meistens eine Geldbuße ausgesprochen wird. In schwereren Fällen werden die diplomatischen Vertretungen unmittelbar benachrichtigt. Festgesetzte Hooligans sollen in der Ukraine im Übrigen nicht reguläre Haftanstalten gebracht, sondern in provisorischen Arrestzellen festgehalten werden.

Technische AufrüstungWährend des Eröffnungsspiels und des Halbfinales in Warschau sollen zwei Awacs-Aufklärungsflugzeuge den polnischen Luftraum überwachen. Bei Bedarf sollen auch weitere Einsätze geflogen werden. Feuerwerks- oder gar Sprengkörper sollen in polnischen Stadien mit Spezialscannern bereits am Eingang entdeckt werden. Außerdem werden nach Recherchen der „Kleinen Zeitung“ nicht nur die Arenen, sondern auch Zufahrtswege sowie Stadtzentren mit modernen Überwachungskameras ausgestattet, die nicht nur einen 360-Grad-Radius verfügen, sondern auch mit 35-facher Vergrößerung Brennpunkte heranzoomen können. Angeblich sollen sogar Scharfschützen in den Stadien stationiert werden.

Während die polnische Polizei vor allem unsichtbar agieren will und Spezialkräfte etwa in den Katakomben der Stadien verstecken will, setzt die Ukraine auf Abschreckung durch massive Präsenz. Anders als in Polen ist die Gefahrenlage auch anders: Ende April wurden in Dnjepropetrowsk mehrere Bomben gezündet, die Täter sind bis heute noch nicht gefasst.

Schleichwege für futuristische ÜberwachungstechnikenElektronische Fußfesseln oder biometrische Einlasskontrollen kommen auf der Europameisterschaft jedenfalls nicht zum Einsatz, obwohl sie jetzt schon wieder von einzelnen Politikern verlangt werden. Möglicherweise jedoch wird dennoch die eine oder andere Technik im Geheimen ausprobiert.

So wurde vor einiger Zeit etwa im Düsseldorfer Fußballstadion das vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik entwickelte Videoüberwachungssystem „Smart Eyes“ heimlich getestet, das Menschenbewegungen automatisch analysiert und bewertet. Fan-Verbände sehen darin „eine Kulisse der Einschüchterung“ und eine „weitere Entrechtung der Fußballfans“, weil sie bei normalen Handlungen erfasst und bereits in bestimmte Gefahrenstufen eingeordnet werden.

Trend zu mehr DatenfusionDie Konzentration auf das berühmt-berüchtigte Überwachungsprojekt INDECT könnte die Aufmerksamkeit von kleineren, aber für die Grundrechte nicht weniger problematischen Pilotprojekten oder behördlichen Kompetenzüberschreitungen ablenken. Denn INDECT ist lediglich der Versuch, verschiedene avancierte Techniken zusammenzuführen. Eine Fusion diverser Techniken und Systeme findet auch jetzt auf der Meisterschaft ohne das INDECT-Label statt – mit Frontex, der Gewalttäter-Datei und diversen Videoüberwachungssystemen.

Außerdem fordern die Polizeien europaweit schon seit längerem einen weniger beschränkten Zugriff auf Daten wie die künftige europäische Flugpassagierdatenbank oder der Fingerabdruck-Datenbank EURODAC, obwohl eine Studie für die EU-Kommission feststellte, dass „keine neuen Instrumente für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch eingeführt werden müssen“.

GesichtserkennungUnd die private wie öffentliche Forschung beeilt sich mit neuen Projekten zu assistieren: Neben der Gesichtserkennung in Fußballstadien gehören dazu etwa Projekte wie ADIS (PDF) (Automatisierte Detektion interventionsbedürftiger Situationen durch Klassifizierung visueller Muster) oder CamInSens (Verteilte, vernetzte Kamerasysteme zur in situ-Erkennung personeninduzierter Gefahrensituationen).

Deutsche Datenschützer forderten daher erst im März, zumindest bei öffentlich geförderten Forschungsprojekten die Datenschutzbehörden frühzeitig zu informieren, um ihre Stellungnahmen in die Konzeptionierung und Entwicklung solcher Systeme einbeziehen zu können. Bei INDECT, so viel ist sicher, wurde das bislang trotz einer Ethikkommission und diverser Kontakte zu Kritikern versäumt.

 

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Christiane Schulzki-Haddouti

Christiane Schulzki-Haddouti berichtet seit 1996 als freie IT- und Medienjournalistin über das Leben in der Informationsgesellschaft. Wie digitale Bürgerrechte bewahrt werden können, ist ihr Hauptthema. Die europäische Perspektive ist ihr wichtig – da alle wichtigen Entscheidungen in Sachen Internet in Brüssel fallen.

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