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Freiwillige Netzsperren: Täterwarnung als Selbstläufer

Freiwillige Netzsperren statt verpflichtender Netzsperren - für manche ist dies ein Teilerfolg und Grund zum Aufatmen. Seit die "Netzsperren gegen Kinderpornographie" als verpflichtende Maßnahme durch eine Richtlinie eingeführt werden sollten, fürchteten viele eine ähnliche Situation wie bei der Vorratsdatenspeicherung. Nun aber mehren sich die Anzeichen dafür, dass die EU es den Mitgliedsstaaten überlässt, ob sie diese Maßnahme gesetzlich verankern wollen oder nicht.

Wer die Situation in Deutschland beobachtet, der weiß, dass Deutschland bereits ein "Zugangserschwerungsgesetz" verabschiedet hat. Dieses Gesetz stellt ein Novum dar. Es ist das erste Gesetz, das legitim verabschiedet, vom Bundespräsidenten unterzeichnet, verkündet und dann durch eine Dienstanweisung vorübergehend teilweise außer Kraft gesetzt wurde. Eine Vorgehensweise, die Straf- und Verfassungsrechtler ungläubig den Kopf schütteln lässt. Deutschland gehört zu den eifrigsten Verfechtern der Netzsperren und wird auch bei einer EU-Richtlinie, die keine Verpflichtung bedeutet, von dieser Linie kaum abrücken, insbesondere nicht, wenn das entsprechende Gesetz bereits in der Warteschleife hängt.

Die Argumentation bleibt dabei stets die gleiche: Da Seiten mit kinderpornographischem Inhalt nicht schnell gelöscht werden, müssen Netzsperren solange aktiviert werden bis eine Löschung erfolgte. "Sperren und Löschen" heißt denn auch die Devise der Befürworter und damit haben sie eine Vielzahl der Kritiker erfolgreich ausmanövriert, denn wer will sich schon mit dem Kommentar, dass die Seiten eben bis Abschluss der Ermittlungen online und verfügbar bleiben müssen, aus dem Fenster lehnen, wohwissend, dass ihm mit der Würde der Opfer und deren "erneutem Missbrauch durch die Konsumenten" gekontert wird?

Wenig überraschend ist daher auch, dass der Evaluierungsbericht des Bundeskriminalamtes (BKA) in Deutschland erneut aufzeigt, dass etliche der gemeldeten Seiten auch nach einer Woche nach online sind. Was das BKA und die Netzsperren-Befürworter als Problem sehen, ist in einer komplett unterschiedlichen Ansicht von Inaktivität der Strafverfolger zu sehen.

Aktive Inaktivität
Die US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden haben andere Befugnisse als das deutsche BKA und können auch Lockvögel(angebote) nutzen. Dies wird gerade im Bereich Kinderpornographie auch praktiziert, wie aus entsprechenden Unterlagen hervorgeht. In den Unterlagen wird erläutert, wie das FBI auf ein Messageboard aufmerksam wurde, in dem offensichtlich Kinderpornographie beworben oder gepostet wurde. Statt nun aber die Seite zu löschen oder zu sperren, schleuste das FBI einen Lockvogel in das Messageboard ein und ließ diesen einen Link zu (vermeintlicher) Kinderpornographie posten. Der Link führte jedoch nicht etwa zum gewünschten Material, sondern wies auf einen vom FBI beobachteten Server. Die IP-Adressen derjenigen, die auf den Link klickten, wurden gespeichert und die Besitzer der entsprechenden Anschlüsse ausfindig gemacht, einige Monate später kam es zu Hausdurchsuchungen. Während dieser Zeit blieb das Angebot selbstverständlich online da andernfalls ja zum einen keine IP-Adressen hätten abgegriffen werden können, zum anderen auch eine Sperrung oder Löschung die Betroffenen gewarnt hätte. Die Gefahr, dass auf diese Weise die Betroffenen Beweismittel vernichten, ist groß und gerade bei der Thematik Kinderpornographie ist es wichtig, dass nicht nur ein einmaliger Zugriff auf ein kinderpornographisches Angebot als Indiz fungiert, sondern konfiszierte Datenträger Aufschluss über weiteres Material oder gar Vertriebswege geben. Das FBI stellte in seinem Schreiben an die entsprechenden europäischen Strafverfolgungsbehörden klar, dass jeglicher Hinweis auf die Operation zu unterlassen und der Zeitplan (die anberaumte Hausdurchsuchung sollte im Febuar 2007 stattfinden - ganze vier Monate nachdem das FBI seinen Köder ausgelegt hatte) einzuhalten sei.

So heißt es in dem vorliegenden Schreiben:
"Es darf absolut keine Polizeiaktion, d.h. keine Hausdurchsuchungen, Nachschauen, Gespräche oder Einvernahmen anderer Verdächtiger, vor dem 28.02.2007 stattfinden, da dies andere Verdächtige warnen könnte."

Eine Netzsperre oder gar ein Löschen der Seiten hätte in diesem Fall die Betroffenen warnen können, weshalb die US-amerikanischen Behörden auch von frühzeitiger Löschung oder gar Sperrung absehen. Hinter der vermeintlichen Inaktivität steht also eine sehr aktive Ermittlungstätigkeit, welche aber von den deutschen Strafverfolgern nicht wahrgenommen wird.

Dazu kommt ein äußerst heikler Punkt: Bereits bei der "Operation Himmel" waren frühzeitig Informationen über die Operation und anstehende Hausdurchsuchungen in den Medien aufgetaucht. Der umstrittene Ex-Oberstaatsanwalt Peter Vogt und das Byerische LKA gerieten sich bei der Frage, wie denn die Informationen an die Medien gerieten, in die Haare . Doch das gerade auch von Peter Vogt vorgeführte medienbegeisterte Verhalten etlicher Staatsanwaltschaften führt in den USA zu Verunsicherung und zu vorsichtigem Verhalten, so dass über Ermittlungen nicht mehr berichtet wird, sondern erst dann, wenn Hausdurchsuchungen auch in Europa anstehen sollten, entsprechende informiert wird.

Täterwarnung frei Haus
Durch die in der EU vorangetriebene Idee der Netzsperren wird diese Vorsicht der US-amerikanischen Behörden wirkungslos. Informieren sie die europäischen Behörden, so müssen sie befürchten, dass erneut Informationen durchsickern; informieren sie sie nicht, werden die Seiten gesperrt, was natürlich auch von den entsprechenden Tätern wahrgenommen wird. Das Ergebnis sind unzureichende oder gar keine Beweismittel und noch schneller wechselnde Angebotsseiten, die wiederum zu neuen Sperrungen führen werden. Dies alles führt in den Statistiken der europäischen Strafverfolger wieder zu dem Punkt, dass die Seiten entweder nicht gelöscht wurden oder keine Täter ermittelt werden konnten - womit wieder Netzsperren und Rufe nach mehr Befugnissen begründet werden.

Von diesen unterschiedlichen Meinungen, was Inaktivität und den Sinn oder Unsinn von Netzsperren angeht, profitieren letztendlich die Konsumenten und Hintermänner der entsprechenden kinderpornographischen Seiten, die sich sicher sein können, dass sie durch die Netzsperren eine Warnung frei haus darüber erhalten, dass ihnen die Strafverfolgung auf der Spur ist. So pfuscht dann die europäische Strafverfolgung den US-amerikanischen Kollegen ins Handwerk und definiert dieses Versagen in das Versagen der USA um. Bisher ist kaum anzunehmen, dass die Frage, wann innerhalb eines Verfahrens eine Löschung erfolgt, eine Rolle bei der Debatte um die Netzsperren spielen wird, zu überzeugt ist man davon, dass die Netzsperren notwendig sind.

(Bettina Winsemann)

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