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Kritik

Holland führt Videoüberwachung an Grenzen ein

Mit der umstrittenen Maßnahme weiten die Niederlande ihr inländisches Überwachungssystem der Fernstraßen und Autobahnen auf die Grenzen aus. Nach Angaben der National- und Grenzpolizei erfassen die Kameras nicht nur die Nummernschildern, sondern auch die Insassen. Zurzeit wird bereits ein Kontrollsystem an zwei Autobahn-Übergängen getestet.

Die Kameras erfassen die Autokennzeichen und gleichen sie mit der Kriminalitäts- und Verkehrsünderdatei ab. Von einem biometrischen Abgleich der erfassten Insassen mit biometrischen Bildern ist bislang nichts bekannt. Die niederländische Polizei will mit dem automatischen Nummernabgleich aber nicht nur grenzüberschreitende Parksünder erwischen, die sich bislang davor drückten, Strafzettel zu zahlen, sondern auch Drogenhandel und illegale Einwanderer effektiver bekämpfen.

Zweifel an Verhältnismäßigkeit
Ausgerechnet die Niederlande führen damit wieder den Schlagbaum ein. Elektronisch zwar und für die Reisenden erst einmal zeitunkritisch. Doch sie, die zu den ersten fünf europäischen Ländern gehörten, die 1985 dem Schengen-Abkommen beitraten, drehen damit die Uhr wieder zurück. Wie auch die Dänen, die seit dem Sommer wieder den Ausweis sehen wollen. Oder die Briten, die die Passdaten sämtlicher Flugpassagiere vorab haben wollen. In Dänemark wie den Niederlanden gelten die Rechtspopulisten als treibende Kräfte hinter den Verschärfungen.

Der nordrhein-westfälische Landesdatenschützer kritisierte die Überwachungspläne der Niederländer jedenfalls als „undenkbar“ in Deutschland. Eine Sprecherin wies auf Anfrage der futurezone darauf hin, dass eine ähnliche automatische Kennzeichen-Erfassung in Hessen vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2008 gestoppt wurde, da eine breite Erfassung von Unverdächtigen ausgeschlossen werden muss. In der Europäische Union gebe es jedoch noch keine vergleiche Rechtsprechung, die Vorgaben der europäischen Grundwerte entsprechend bewerte.

Kritik seitens Europaparlamentarier
Jan Philipp Albrecht, grüner Abgeordnete des Europaparlaments, sagt im Gespräch mit der futurezone: „Meiner Meinung nach ist das nicht vereinbar mit dem bestehenden Rechtsrahmen, da es nicht der EU-Grundrechtecharta entspricht.“ Auf der europäischen Ebene dürften Daten nur dann erhoben werden, wenn es absolut notwendig ist. Auch sei die Maßnahme nicht mit dem Schengen-Abkommen vereinbar, das lediglich stichprobenartige Überprüfungen zulässt.

Der liberale Europaparlaments-Abgeordnete Alexander Alvaro zeigt sich ebenfalls entsetzt: „Hier wird eine neue Form der Vorratsdatenspeicherung eingeführt, die jeden Bürger, der die Niederlande betritt, unter Generalverdacht stellt.“ Die Niederlande sollten sich aufgrund des rechtspopulistischen Druckes nicht von den gemeinsamen europäischen Grundwerten verabschieden, meint Alvaro.

Großbritannien durchleuchtet Flugreisende
Die Niederländer sind nicht die einzigen, die auf einen digitalen Schlagbaum setzen. Die Briten fordern für inländische Flüge von alle Reisenden die Passdaten. Diese Art der umfassenden präventiven Datenerhebung für die Kriminalitätsbekämpfung wird bislang von der Europäischen Kommission nicht hinterfragt. Alvaro sagt daher: „Wir erwarten von der Kommission, dass sie rasch die niederländischen Pläne überprüft und die Einhaltung bestehender EU-Gesetze durchsetzt.“

Michele Cercone, Sprecher der für die Innere Sicherheit zuständigen Kommissarin Cecilia Malmström, sagte gegenüber der futurezone, dass die Kommission über die Pläne der niederländischen Behörde informiert worden sei. Ob es mit den Schengen-Regeln vereinbar sei, hänge davon ab, wie das Videoüberwachungssystem in der Praxis implementiert werde. Die Reise- und Bewegungsfreiheit sei ein Grundprinzip der Europäischen Union und das Reisen ohne Grenzkontrolle sei zentral wichtig für den Erfolg des Binnenmarkts.

Niederländische Behörden müssen Europäischer Kommission berichten
Die Kommission habe vergangene Woche in einem Brief die niederländischen Behörden aufgefordert, weitere Informationen über den Zweck und die geplante Umsetzung des Systems mitzuteilen. Die Behörden haben nun zehn Wochen Zeit für eine Antwort – die Inbetriebnahme des Systems wird die Kommission damit nicht mehr verhindern können.

Die Antwort der Niederländer wird jedoch mit einem anderen wichtigen Termin zusammenfallen: Ende Januar will die Kommission einen Entwurf für eine Richtlinie präsentieren, die den Datenschutz für Belange der Inneren Sicherheit regeln soll. Dann sollte klar sein, ob eine anlassunabhängige Datenerfassung unverdächtiger Reisende mit europäischen Grundwerten zu vereinbaren ist.

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Christiane Schulzki-Haddouti

Christiane Schulzki-Haddouti berichtet seit 1996 als freie IT- und Medienjournalistin über das Leben in der Informationsgesellschaft. Wie digitale Bürgerrechte bewahrt werden können, ist ihr Hauptthema. Die europäische Perspektive ist ihr wichtig – da alle wichtigen Entscheidungen in Sachen Internet in Brüssel fallen.

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