Klarnamen-Politik bremst Hass-Postings nicht
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Wenn es nach den führenden Internet-Konzernen geht, dann sind Nicknames wie “hasimaus68” und “dercoolemax” bald ein Relikt der Internet-Vergangenheit: Bei Facebook besteht die Klarnamenpflicht sowieso seit jeher (auch wenn
sind), und Google liebäugelt ebenfalls mit einer ähnlichen Lösung. Bei Google+ sind Pseudonyme und Spitznamen nur in Verbindung mit der Angabe des echten Namens erlaubt, bei YouTube fragt man die Nutzer seit kurzem, doch
.
Selbst der Kurznachrichten-Dienst Twitter, wegen der freien Wahl des Nutzernamens sogar bei den Anonymous-Aktivisten beliebt, hadert mit mit Pseudonymen. So meinte Twitter-CEO Dick Costolo kürzlich in einem Interview mit der Financial Times, dass es frustrierend sei, wie die gebotene Anonymität auf erschreckende Weise missbraucht werden würde. Jüngstes Beispiel: Die britischen Olympioniken Tom Daley und Zoe Smith wurden von Twitter-Trollen
. Mit schlauen Algorithmen will Twitter künftig Hassbotschaften verstecken.
Echte PersonenangabenDie eindeutige Identifizierung von Nutzern, die online kommentieren und Inhalte veröffentlichen, wird oft als Lösung für das Problem der Hass-Postings, Pöbeleien und Internet-Trolle angesehen. Denn Kommentare, die etwa den Tatbestand der üblen Nachrede oder Verleumdung erfüllen, sind dann schnell einer Person zuzuordnen. "Auf Facebook vernetzen sich die Menschen mit ihren wirklichen Personenangaben. Diese Kultur sorgt für Berechenbarkeit und schafft Vertrauen und Sicherheit für alle. Sich als andere Person auszugeben, mehrere Konten zu erstellen oder eine Organisation falsch darzustellen untergräbt die Gemeinschaft und ist ein Verstoß gegen Facebooks Nutzungsbedingungen", heißt es etwa in den Community-Standards des Online-Netzwerks.
Facebook bietet deswegen auch ein eigenes Kommentar-System an, dass sich unter Online-Artikeln einblenden lässt und ausschließlich Kommentare von angemeldeten Facebook-Mitgliedern erlaubt. Der Hightech-Blog Techcrunch verbaute es etwa in seiner Webseite - seither sollen die Trolle weniger und die Qualität der Postings höher geworden sein.
Die brutale RealitätWas in der Theorie plausibel klingt, scheitert aber offenbar an der Praxis. Wirft man etwa einen schnellen Blick auf die Facebook-Seite von HC Strache, finden sich folgende Postings, die allesamt unter Realnamen abgegeben wurden und nicht unter dem Schutzmantel der Anonymität:
“Ihr seit´s alle so lächerlich hahaha xD die ganze fpö/fpk ist einfach nur ein riesengroßer haufen SCHEISSE!!!!”
“Der Faymann ist ein richtiger falscher Sack und linke Drecksack dem könnte ich Stundenlang in die Goschen eine hauen das falsche lachen und das dreckige benehmen”
“du hurnkind oesterreicher ich toete ganz oesterrteich”
Ähnliche Erfahrungen hat man auch in Südkorea gemacht. Dort wurde 2007 eine Klarnamen-Pflicht für Webseiten mit mehr als 100.000 Nutzern eingeführt - was aber lediglich zu 0,09 Prozent weniger beleidigenden Online-Kommentaren führte und die Regel wieder fallen gelassen wurde.
"Ungefilterte Wahrheit"Dem Berliner Internet-Soziologen Stephan Humer (www.internetsoziologie.de) zufolge sei es ein Irrglaube, dass echte Online-Identitäten zu weniger Trollen und einer gesitteteren Diskussion führen würden. Der Wert von Anonymität würde vielmehr unterschätzt werden. So erst könne sich die “ungefilterte Wahrheit” zeigen, “man sieht viel eher den echten Menschen, weil er sich nicht mehr bemühen muss, die Regeln, die seine echte Identität verlangen würde, zu erfüllen”, so Humer zur futurezone. Notwendig seien Klarnamen gar nicht: “Wenn jemand Unsinn sagt, dann bleibt es Unsinn, egal unter welchen Namen er geschrieben wurde. Wichtiger ist, dass es in einem Forum Menschen gibt, die die Diskussion wieder in geregelte Bahnen lenken.”
Das Drängen der Nutzer auf die Verwendung von Klarnamen, um die Qualität der Postings zu verbessern, hält auch Humer für ein fadenscheiniges Argument. “Twitter und Facebook ist es ja eigentlich wurscht, was man diskutiert, Hauptsache, man verbringt viel Zeit bei ihnen.”
Der wahre GrundWarum Internetnutzer immer stärker zu Klarnamen, wie sie auch genant werden, gedrängt werden, hat vor allem wirtschaftliche Gründe. Facebook tanzt der Internet-Branche vor, wie sich echte Identitäten an Werber verkaufen lassen (der Umsatz stieg im 2. Quartal 2012 auf 1,18 Milliarden US-Dollar, die
). Twitter und YouTube halten sich mit Aussagen über ihre Werbeeinnahmen derweil stark zurück, was nicht unbedingt auf Rekordumsätze schließen lässt.
Auch viele andere Webseiten setzen verstärkt auf die Identifizierung ihrer Nutzer. Neben Facebook selbst gibt es Firmen wie Gigya, Disqus, IntenseDebate oder Livefyre die sich auf so genannte “soziale Kommentar-Systeme” spezialisiert haben. Ihre Plugins können relativ einfach unterhalb von Online-Artikeln, Blogeinträgen (z.B. Wordpress, Tumblr, etc.) eingebettet werden und erlauben dem Nutzer, mit seinem Facebook-, Twitter oder Google-Namen Kommentare zu schreiben.
Das Versprechen: Die Nutzer müssen sich keinen neuen Account bei der Webseite zulegen, können sich leichter einloggen, bleiben länger, bringen mehr Seitenzugriffe und der Webseite in Folge mehr Werbeumsätze.Plädoyer für PseudonymeBei Disqus, deren Kommentarsystem in mehr als einer Million Webseiten integriert ist (z.B. CNN.com, RollingStone.com, Wired.com), ist man zu überraschenden Ergebnissen beim Nutzerverhalten gekommen. “Wir haben herausgefunden, dass Nutzer mit Pseudonymen bzw. Nicknames qualitativere Inhalte schreiben als komplett anonyme User oder User mit Realnamen”, so Disqus-Manager Ro Guptra zur futurezone. Erlauben Webseiten Pseudonyme, würde sich das für sie auszahlen. Denn diese Kategorie würde für 6,5 Mal mehr Kommentare als anonyme Nutzer sorgen und 4,7 Mal mehr Kommentare als Facebook-Nutzer sorgen, wie eine Analyse von 60 Millionen Internet-Usern und mehr als einer halben Milliarde Kommentaren gezeigt hätte.
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