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Intifada 2.0

Profilfotos von "Märtyrern" und Selfies mit Tränengas

Videoaufnahmen von Messerangriffen auf Israelis oder Steinwürfen auf Soldaten - unter palästinensischen Jugendlichen finden diese Bilder eine rasend schnelle Verbreitung und tragen zur Mobilisierung neuer gewaltbereiter Aktivisten bei. Das mit dem Hashtag, der Raute, versehene Schlagwort #IntifadaGestartet findet sich auf Arabisch auf allen Demonstrationsaufrufen und vielen Facebookseiten. Das Kampagnenlogo zeigt einen vermummten Steinewerfer mit einem Heiligenschein in den Farben der Palästinenserfahne. Auch der Hashtag #JerusalemIntifada ist derzeit hochpopulär.

Kurz nachdem im September ein 21-Jähriger nahe Hebron beim geplanten Angriff auf einen Militärjeep von seinem selbstgebauten Sprengsatz getötet wurde, machte der 19-jährige Mohammad Halabi das Gesicht des Toten zu seinem Profilfoto auf Facebook. Dazu schrieb er: "Die Dritte Intifada hat begonnen." Am vergangenen Samstag fuhr Halabi von Hebron nach Jerusalem und erstach in der Altstadt zwei Juden, bevor er erschossen wurde.

Öl ins Feuer

Im Zeitalter der Smartphones und Live-Tweets gehen Fotos und Videoaufnahmen von Anschlägen binnen Minuten online und werden massenhaft geteilt. Die virale Verbreitung dieser Botschaften heizt die seit Wochen eskalierende Gewaltspirale zwischen Israelis und Palästinensern immer weiter an.

Die extremistische Palästinensergruppe Islamischer Jihad erklärte, Halabi sei ihr Aktivist gewesen. Kurz darauf veröffentlichte ihr bewaffneter Arm, die Al-Kuds-Brigaden, einen beklemmend professionell gemachten Propagandaclip, der unter dem Titel "Brief Nummer eins" Selbstmordanschläge im Stil der Zweiten Intifada (2000 bis 2005) verherrlichte. Mehr als 40.000 Mal wurde das Drohvideo schon heruntergeladen. Ein Clip zum Gedenken an Fadi Allun, ebenfalls 19 Jahre alt, wurde über 100.000 Mal angeschaut. Er war am frühen Sonntagmorgen kurz nach einem Messerangriff auf einen israelischen Jugendlichen auf der Flucht von Polizisten erschossen worden.

Keine Perspektive

Die in den sozialen Netzwerken wimmelnden Bilder haben eine starke Wirkung auf palästinensische Jugendliche, die ihr eigenes Leben für völlig perspektivlos halten. "Jeden Tag ein neuer Märtyrer - das mindeste, was wir da tun können, ist, aus Solidarität unsere Profilfotos und Hintergrundbilder auf Facebook zu ändern und die Videos zu teilen", sagt eine demonstrierende Studentin in Ramallah im Westjordanland, die ihren Namen nicht nennen will. Beliebt sind inzwischen auch Selfies beim Steinewerfen, am besten mit brennenden Reifen oder Tränengasschwaden im Hintergrund.

Bei der übergroßen Mehrzahl der Aktivisten, die sich an den Straßenschlachten mit der israelischen Polizei und Armeeposten beteiligen, handelt es sich um Jugendliche, teils sind sie sogar noch im Kindesalter. Sie begeben sich in unkalkulierbare Gefahr, sagt der Psychologe Najah al-Khatib: "Sie haben nicht das gleiche Gespür für Risiken und die nötige Wachsamkeit wie wir Erwachsenen." Zudem sei die Psyche der Kinder und Heranwachsenden viel "durchlässiger für die Bilder in den Medien". Für sie seien die "Märtyrer", vor allem die jungen, die neuen "Idole", sagt er.

Kaputte Leben

So sagt etwa der zehnjährige Mustafa mit Piepsstimme, er werfe "gerne Steine auf Soldaten, wie die anderen Jugendlichen". Großtuerisch verkündet der Bub: "Ich will auch als Märtyrer sterben." Am Rande von gewaltsamen Protesten im Westjordanland waren am Montag ein 13-Jähriger und ein 18-Jähriger von Soldaten erschossen worden.

Die Generation Mustafas hat den zweiten Palästinenseraufstand mit seinem schlimmem Blutzoll nicht miterlebt. Aber sie ist überzeugt, dass es ihre Pflicht ist, "Palästina zu befreien". Der 16-jährige Ahmed pflichtet bei: "Seit unserer Geburt erleben wir so schlimme Sachen, dass wir die israelische Besatzung nicht mehr ertragen können. Sie macht unser Leben kaputt."

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