Kontroll-Instrument

Russland: Offene Daten suggerieren Wahl-Betrug

Wie viele Stimmen eine Partei in einem russischen Wahllokal erhielt, das lässt sich dank zahlreicher offizieller Websites nachvollziehen, die über die Website der Zentralen Wahlkommission verlinkt sind. So lassen sich die „angeblichen“ Wahlfälschungen mit statistischen Methoden untersuchen und belegen. Russische Blogger und Statistikexperten haben die Zahlen heruntergeladen und analysiert – und ihre Ergebnisse zeigen einige ungewöhnliche Abweichungen, die auf Wahlbetrug hinweisen.

Ungereimtheiten
Einige zentrale Ergebnisse präsentiert Antonni Kolenko, ein Exilrusse in Finnland, in seinem englischsprachigen Blog. Im Fokus der Analyse steht die Wahlbeteiligung in den einzelnen Wahlkreisen. Sie sollte eigentlich eine Gauß`sche Normalverteilung zeigen, doch tatsächlich sieht sie anders aus: Den Höhepunkt zeigt sie bei 55 Prozent, doch anstatt langsam gegen Null zu sinken, zeigt sie hohe Ausschläge bei einer Wahlbeteiligung zwischen 97 und 100 Prozent.

Dass die Anomalitäten sich vor allem auf eine Partei, nämlich auf die Regierungspartei "Einiges Russland" konzentrieren, zeigt eine weitere Auswertung von Moskauer Wahlkommissionen. Auf der Y-Achse findet sich die Zahl der Wahllokale, auf der X-Achse wird die Wahlbeteiligung für die einzelnen Parteien angezeigt. Bei allen, außer der Regierungspartei, nähert sich die Kurve der erwarteten Normalverteilung an, wobei die jeweiligen Spitzen auf das spätere Wahlergebnis hinweisen.

Allein der braune Graph der Regierungspartei zeigt nach einem ersten Gipfel von etwa 25 Prozent zahlreiche weitere Ausschläge nach oben. Nach einer weiteren Spitze von etwa 55 Prozent gehen die einzelnen Spitzen langsam zurück. Für Antonni Kolenko weist dies darauf hin, dass das tatsächliche Wahlergebnis bei etwa 25 Prozent liegen könnte und das durch Wahlfälschung zu erzielende bei rund 55 Prozent. Tatsächlich lag das amtliche Wahlergebnis bei 49 Prozent.

Eine weitere Auswertung aus der südrussischen Magnitogorsk zeigt, wie sich die Wahlbeteiligung der Bevölkerung in einer einzelnen Stadt in Bezug auf die Regierungspartei sogar aufsplitten kann – als ob es zwei unterschiedlich agierende Bevölkerungsgruppen gäbe.

Hohe Wahlbeteiligung zweifelhaft
Wie die Wahlbeteiligung sich in Bezug auf die Regierungspartei und die Kommunistische Partei für das gesamte Land aufteilt, zeigten Analytiker des Blogs „Samarcand Analytics“. Auch hier konnte die Regierungspartei eine außerordentlich hohe Wahlbeteiligung erzielen. Auffallend die hohe Zahl von über 7.000 Wahllokalen, die eine Wahlbeteiligung von 97 Prozent und höher aufweisen.

Erklären lässt sich das nicht nur mit einer mutmaßlich höheren Mobilisierung der Wähler, sondern auch mit Augenzeugenberichten. Diese schilderten, wie Leiter von Wahllokalen selbst massenhaft Wahlzettel ausfüllten. Oder auch damit, dass die Regierungspartei vor allem in Krisenregionen wie Inguschetien und Tschetschenien, die unabhängigen Wahlbeobachtern kaum zugänglich sind, 91 bzw. 99 Prozent der Stimmen erzielen konnte.

Entlarvende Statistiken
Amtliche Statistiken können – die richtigen Analysemethoden vorausgesetzt – durchaus entlarvende Zahlen enthalten. Ein möglicher Wahlbetrug wurde in Kroatien bereits im Vorfeld der Wahlen durch das Open-Data-Projekt Pollitika aufgedeckt: So stellte 2009 die kroatische Wähler-Datenbank Pollitika zwei Monate vor den Lokalwahlen fest, dass in Kroatien mehr Wähler als Einwohner registriert waren. Ein Grund für die Diskrepanz bestand darin, dass sich die Einwohner sowohl in Kroatien, als auch im benachbarten Bosnien und Serbien registriert hatten, um Sozialhilfe zu erhalten. Die Behörden ahndeten diese Praxis nicht, vermutete Pollitiko-Initiator Marko Rakar, weil sie durch die wundersam vermehrten Stimmen mehr Spielraum für Wahlmanipulationen erhielten.

Open Data spielte auch während den kenianischen Wahlen 2007 eine große Rolle. Die kenianische Rechtsanwältin Ory Okolloh startete damals einen Wahlbeobachtungsblog, aus dem später die Entwicklung der Software Ushahidi hervorging. Ushahidi heißt auf Swahili „Zeuge“. Jeder Bürger kann mit seinem Handy Informationen auf die Plattform einspeisen. Die Daten werden dann in verschiedene Kategorien wie etwa “Vertrauenswürdige Berichte” oder “Gefahrenzone” eingeordnet. So kann ein minutiöser Überblick über die Entwicklung behalten werden – und unter Umständen auch schnell Hilfe organisiert werden.

Transparancy Network
Das Technology for Transparency Network dokumentiert weltweit, wie neue Technologien von Bürgern eingesetzt werden, um mehr Transparenz zu erzwingen. Für Russland finden sich gleich fünf Projekte, darunter Golos.org, das sich als Wahlbeobachtungplattform sieht. Golos pflegt jetzt eine Karte, für die wie bei Ushahidi Meldungen über Wahlmanipulationen gesammelt und angezeigt werden. Auch hier werden die Meldungen in verschiedene Kategorien einsortiert – etwa in „Verletzungen von Kandidatenrechten“, „Behördendruck auf Wähler“ oder „Wählerbestechung“.

Deutlich wird aus der globalen Perspektive, wie sich zivilgesellschaftliche Akteure über das Internet vernetzen, um die jeweils effektivsten Methoden zu übernehmen. Open Data ist dabei das Mittel, mit dem nicht nur Beobachtungen und Analysen durchgeführt werden können, sondern auch neue Werkzeuge entwickelt werden können, die die Willkür staatlicher Behörden durch mehr Transparenz einschränken.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Christiane Schulzki-Haddouti

Christiane Schulzki-Haddouti berichtet seit 1996 als freie IT- und Medienjournalistin über das Leben in der Informationsgesellschaft. Wie digitale Bürgerrechte bewahrt werden können, ist ihr Hauptthema. Die europäische Perspektive ist ihr wichtig – da alle wichtigen Entscheidungen in Sachen Internet in Brüssel fallen.

mehr lesen
Christiane Schulzki-Haddouti

Kommentare