Sascha Lobo während der Diskussionsveranstaltung in Wien
Sascha Lobo während der Diskussionsveranstaltung in Wien
© Raiffeisen NÖ-Wien

Digitalisierung

Sascha Lobo: "Wir müssen die Geheimdienste stärken"

Der Internet-Guru Sascha Lobo und der FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Ihre Ansichten über den Einfluss der Digitalisierung auf die Gesellschaft liegen aber erstaunlich nahe zusammen, wie sich am Montag bei einer von der Raiffeisen-Bank organisierten Diskussion in Wien gezeigt hat. Ein wichtiges Thema für beide Medien-Stars ist der Überwachungsskandal, der durch die Snowden Enthüllungen ins Rollen gebracht wurde. Als "Irrsinn" bezeichnen sowohl Schirrmacher als auch Lobo das Ausmaß, das die Kontrolle der Bürger im Netz erreicht hat.

Die Lösungsansätze, die während der Debatte vorgeschlagen wurden, waren teilweise überraschend. "Für eine Abschaffung der Nachrichtendienste einzutreten, wäre blauäugig. Im Gegenteil: Wir müssen die Geheimdienste auf europäischer Ebene stärken, um ein Gegengewicht zu den USA zu schaffen - natürlich unter strenger demokratischer Kontrolle. Dasselbe gilt für die Netz-Infrastruktur", so Lobo im Gespräch mit der futurezone. Der Datenschutz-Verfechter Lobo zeigt sich ungewohnt pragmatisch.

Überwachung und Kommerzialisierung

Stanen
"Früher hätte ich noch gesagt, das Internet sei die größte Veranstaltung in der Geschichte der Menschheit. Das glaube ich immer noch, aber mit Einschränkungen. Die Snowden-Enthüllungen zeigen, dass das Netz eben auch ein Überwachungsinstrument ist. Jetzt müssen wir dafür kämpfen, dass dieser Kontrollwahn im Zaum gehalten wird und die Überwachung unbescholtener Bürger auf Verdacht aufhört", so Lobo.

Auch Schirrmacher sieht in den Überwachungs-Enthüllungen der vergangenen Monate einen Wendepunkt. "Selbst Experten in Deutschland waren überrascht, wie viel Geld die USA in die Netz-Überwachung investieren. Der Hauptangriff ist dabei auf die Wirtschaft gerichtet. Anders als etwa der Buchdruck wird das Internet als Technologie nach Einläuten einer kurzen Phase der Freiheit jetzt verstärkt zur Überwachung und Kommerzialisierung verwendet. Sicher ist mittlerweile, dass wir die Geister, die wir gerufen haben, nicht mehr los werden", erklärt Schirrmacher.

Freiwillige Datenpreisgabe

Die Überwachung durch die Geheimdienste ist aber nicht das einzige Problem, das die beiden Redner ausmachen. "Wir haben kein Orwell-Problem. Die neuen Systeme werden uns nicht aufgezwungen, wir geben viele Informationen im Austausch für nützliche Services freiwillig preis", so Schirrmacher. Die Datenspur, die jeder Nutzer hinterlässt, wird zudem ständig breiter. "Das Internet der Dinge, die nächste Stufe der Datenauswertung, steht schon vor der Tür. In Zukunft werden elektrische Zahnbürsten der Krankenkasse sagen, ob ich meine Zähne regelmäßig putze. Die Möglichkeiten, eine Gesellschaft zu kontrollieren, nehmen zu", sagt der FAZ-Mitherausgeber.

Auch Lobo sieht diesen Kontrollwahn als größten Feind der Freiheit. "Die Menschen füttern soziale Netzwerke mit Begeisterung mit ihren Daten. Die Grundidee ist großartig, aber die Überwachungs-Affäre hat gezeigt, dass wir nicht nur die Vorteile sehen dürfen. Wir müssen den Überwachungsapparat, der hier entstanden ist - es geht bei weitem nicht nur um die USA und ihre Geheimdienste - an die Kette legen", führt Lobo aus. Dabei setzt der Digital-Experte, wie auch Schirrmacher, große Hoffnungen in die Europäische Union, die - hier sind sich die beiden einig - in diesem Bereich eine Führungsrolle einnehmen könnte.

Wissen ist Macht

Lobo Schirrmacher Diskussionsveranstaltung
Geschützt werden müssen laut Schirrmacher längst nicht nur faktische Informationen wie Geburtsdaten oder Adressen. "Algorithmen analysieren heute jede Äußerung im Netz. Die Muster, die daraus abgeleitet werden, erlauben Schlüsse über zukünftiges Verhalten. Das ist bei Amazons Produktempfehlungen noch praktisch, wenn es um Menschen geht, wird es aber riskant", so Schirrmacher. Durch die zunehmende Auswertung von digitaler Inforamtion bestehe die Gefahr, dass das virtuelle Ich einer Person wichtiger werde, als das reale.

Defätismus sei aber nicht angebracht, sind sich Lobo und Schirrmacher einig. "Die Informationen, die im Netz über Personen zu finden sind, können positiv oder negativ genutzt werden", sagt Lobo. Dass Daten verwendet werden können, um Menschen zu manipulieren, ist wohl die größte Gefahr, die von der Datensammelwut von Behörden und Konzernen ausgeht - und gleichzeitig das beste Argument gegen den vielzitierten Satz "ich habe eh nichts zu verbergen". "Obama hat die letzte Wahl gewonnen, weil ein Dutzend Physiker die sozialen Medien ausgewertet haben und ihm gesagt haben, dass ein Auftritt mit George Clooney oder eine Sympathiebekundung für Schokolade ihm Stimmen bringen", gibt Schirrmacher zu bedenken.

Kein Facebook ist auch keine Lösung

Ein Verzicht auf soziale Medien hilft besorgten Nutzern kaum. "Die Zeit kann man nicht zurückdrehen. Die Menschen müssen sich ihre Werkzeuge mit einem gesunden Maß an Begeisterung, Skepsis und Kritik zurückerobern", gibt Lobo als Devise aus. Bis dahin ist es aber ein langer, steiniger Weg. "Heute entscheiden Algorithmen, ob Menschen einen Kredit bekommen. Diese Systeme an sich sind nicht das Problem. Wichtig wäre, dass am Ende ein Mensch die Entscheidung trifft. Automatismen erziehen uns die Intuition ab", argumentiert Schirrmacher. Durch neue Unterrichts-Projekte müsse den Menschen erst wieder beigebracht werden, ihrem Bauchgefühl zu trauen. "Wir brauchen zudem juristische Rahmenbedingungen, die Personen, die solche wichtigen Entscheidungen treffen, schützen", so der Vorschlag des FAZ-Mitherausgebers.

Dass Computer Entscheidungen für uns treffen, sei Ausdruck des grassierenden Kontrollwahns, meint Schirrmacher auch im Gespräch mit der futurezone: "Das war ein Mitgrund für den Börsencrash. Auch an den Finanzplätzen sollte die Rolle der Menschen wieder gestärkt werden. Eine Reduzierung der Geschwindigkeit im Handel, um Platz für die Vernunft zu schaffen, wäre ein Schritt nach vorn."

Österreich als Negativbeispiel

"Es gibt rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Österreich etwa ist meiner Meinung nach eine davon. Hier müssen die Bürger dafür sorgen, dass ein Schritt zurück gemacht wird", so Lobo gegenüber der futurezone. Dazu ist es aber wichtig, dass das gesamte Ausmaß der Überwachung bekannt wird. "Die Snowden-Affäre kann ein Weckruf sein. Wenn der Chief Technology Officer der CIA sagt, dass seine Organisation alles, was möglich ist, mitschneidet, speichert und nie wieder hergibt, zeigt das, wie tief wir schon drinstecken", so Schirrmacher.

Für den Schutz der Privatsphäre sorgen könne am Ende nur die Politik sorgen, ist Lobo überzeugt. "Transparenz ist der Feind der Überwachung. Gerade in Österreich wäre auch die Entflechtung von Wirtschaft und Staat eine wichtige Voraussetzung, damit die Kontrolle funktionieren kann. Wir müssen daran glauben, dass demokratische Kontrolle möglich und auch wirksam ist, sonst haben wir schon verloren", so der Medien-Punk.

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Markus Keßler

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