Kultur im Wandel

Theater der Zukunft: Das Web wird zur Bühne

Beim Theaterstück "Antigone 2.0" wurden Leinwände auf Theaterbühnen installiert, damit die Zuseher per Handy Kurznachrichten schicken konnten, auf die die Schauspieler reagieren mussten. Die Zuschauer schlüpften gleichsam in die Rolle des antiken Chores und konnten das Bühnengeschehen per Live-Chat kommentieren. Die deutsche Theatergruppe Antigone 2.0 produziert und inszeniert seit 2007 Theater in Berlin und lässt dabei die antike griechische Tragödie mit den neuen Kommunikationstechnologien verschmelzen.

"Die Handlung wurde dadurch chorisch begleitet und das Publikum ist in der Lage zu kritisieren, agitieren oder anzuklagen", so Benedict Roeser. Der deutsche Regisseur brachte 2009 mit "Ödipedia" das erste von Web-Nutzern geschriebene Stück im Kulturhaus Spandau in Berlin auf die Bühne. Vier Monate lang (August bis November 2008) konnte man auf Ödipedia.de in Wikipedia-Manier am Text mitschreiben, ihn verändern, neue Rollen einfügen etc.

Blogbeiträge werden zu Theaterstücken
2008 gab es das Projekt "Bloggt das Theater", ein grenzüberschreitendes Kooperationsprojekt an dem sich neben dem Schauspielhaus Graz auch Theater in Ungarn, Polen, Rumänien und Italien beteiligt hatten. Blogscouts aus jedem Land haben sich auf den nationalen Blogs umgesehen, in denen vor allem die jungen Blogger ihre Einstellung zum Leben publizierten.

Junge Autoren wählten aus diesen jene Beiträge aus, die die verschiedenen Einstellungen zum Leben am deutlichsten widerspiegelten und machten daraus Theatertexte, die junge Direktoren inszenierten. Bei einem anschließenden Festival in Graz im Mai 2008 wurden die Stücke aufgeführt - 14 Uraufführungen in drei Tagen. Ziel des von der EU geförderten Projekts war, die sozialen Trends der Internetgeneration auf die Bühne zu bringen.

Theater wird getwittert

Am umgekehrten Weg - nicht die Gedanken der Web-Gemeinde ins Theater, sondern das Theater ins Web zu bringen, versuchen sich die Festspiele Reichenau. "Es ist ganz wichtig, dass die Menschen vor den Bildschirmen auch am Theater teilhaben", sagt der Intendant der Festspiele Reichenau, Peter Loidolt. Aber das echte Theater, in dem quasi in 3-D Liebe, Hass, Boshaftigkeiten und die menschlichen Seiten dargestellt werden, sei nicht zu ersetzen. Durch die Live-Komponente via Twitter werde jedoch eine Brücke geschlagen, denn die Twitterer machen 3-D, machen das menschliche Theater fühlbar.

In der vergangenen Festspielsaison hat Loidolt einen Versuch gewagt und die Aufführung von Daniel Kehlmanns "Ruhm" von zehn Twitterern ins Web übertragen lassen. Eine Novität in der Theaterwelt, von der Loidolt so begeistert war, dass in dieser Festspielsaison zu jeder Generalprobe der vier Stücke am Spielplan ("Fräulein Else"/Schnitzler, "Spion Oberst Redl"/Nicolaus Hagg, "Drei Schwestern"/Tschechow, "Der Rosenkavalier/Hofmannsthal) Twitterer eingeladen werden. Loidolt: "Die Sprache des Web sprechen wir nicht, daher brauchen wir Vermittler bzw. Übersetzer."

Handyroman
Die nicht mehr ganz so neuen "Neuen Medien" und das Mitmach-Web sind eine Spielwiese für Kulturschaffende geworden. Das beste Beispiel ist der "Keitai shosetsu", der Handyroman, wie er auf Japanisch heißt. Der Keitai shosetsu hat in Japan Tradition. Die - meist trivialen - Inhalte sind auf das Handy zugeschnitten und werden von jenen gelesen, die in Japan mit der (U-)Bahn unterwegs sind. Das japanische Medienhaus Ascii Media Works hat auf seinem Portal Millionen teils unfertige Handy-Romane, eines der weiteren erfolgreichen Handy-Roman-Portale ist Goma-Books.

Im Jahr 2000 bemerkte man bei den Vorbereitungen für den Relaunch der Seite, dass sich die User auf ihren Blogs literarisch betätigten und Kurzgeschichten verfassten. Daraufhin wurde eine eigene Handy-Roman-Software entwickelt, mit der das Schreiben von Romanen leichter wurde. Diese konnten andere User günstig kaufen, Verlage wiederum konnten von den Autoren die Werke erwerben und sie abdrucken. Seither sind Handy-Romane ständig auf den Bestseller-Listen zu finden, im Schnitt ist jeder zweite Bestseller in Japan ein Handy-Roman, der bekannteste ist einer der ersten Bestseller "Deep Love", von dem es von 2002-2003 gleich vier Bände gab.

Europa: Texte für mobile Geräte

An Europa ist dieser Trend vorbei gegangen, hierzulande geht man den umgekehrten Weg - Texte werden für mobile Endgeräte - Smartphones, Tablets oder eBooks/eReader aufbereitet. Dafür ist Europa "Trendsetter", wenn es um Web 2.0-Projekte geht. Ende 2010 wurde der weltweit erste Facebook-Roman gestartet. Bei "Zwirbler" handelt es sich um einen - wie es auf der Webseite heißt - "gehaltvollen Fortsetzungsroman", der sich aus einzelnen Facebook-Nachrichten, die systembedingt nicht länger als 420 Anschläge sein dürfen, zusammensetzt. Der Autor von Zwirbler - ein Roman für Jugendliche ab 17 und Erwachsene - schreibt diesen ausschließlich für das soziale Netzwerk.

"Literatur entsteht direkt und in der Sekunde des Postens auf Facebook." Wer Zwirbler lesen will, kann dies auf Facebook/Zwirbler.Roman - jede Statusmeldung (beinahe täglich verfasst der Autor TG einen Romanteil) beginnt mit Zwirbler, alle Statusmeldung aneinander gereiht, ergeben die Geschichte. Wann sie fertig ist, ist ungewiss.

Die Idee, in einem Sozialen Netzwerk einen Roman zu schreiben, ist so revolutionär nicht. Der deutsche Autor Marcel Magis veröffentlichte mit "Im Schatten des Flügelschlags" einen deutschsprachigen Roman per Twitter. Magis’ Roman wurde in Einzelgeschichten zerlegt, täglich von 9 bis 19 Uhr hat er im Stundentakt ein 140-Zeichen-Häppchen - länger können Twitter-Nachrichten nicht sein - ins Internet gestellt. Magis hat den Roman nicht auf Twitter und für Twitter verfasst, sondern sich wohl in einer neuen Marketing-Idee versucht. Magis’ romanhaftem Kurznachrichtendienst folgten auf Twitter gerade einmal 284 Nutzer. Seit 19. Dezember 2010 ist der 2698-teilige Roman zu "Ende".

Mehr zum Thema:

FUTUREZONE-Serie "Kultur im Wandel"

(Gerald Reischl)

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