© Tim Wu / David Wentworth

Interview

Tim Wu: "Unternehmen agieren wie Diktatoren"

futurezone: Sie schauen immer voraus, immer in die Zukunft. Ihr Buch, „Der Master Switch", ist ein ausführlicher Blick in die Vergangenheit. Warum das?
Tim Wu: Ich habe früher im Silicon Valley gelebt. Dort verhielten sich alle bemerkenswert geschichtslos. Als ob sie historische Prozesse nichts angingen. Als ob die Zeit, in der sie lebten, ganz einzigartig und einmalig und noch nie dagewesen sei. Und ich dachte mir: Da kann etwas nicht stimmen. Ich begann nachzulesen, was Leute sich in den 1920er-Jahren übers Radio gedacht haben. Und da wurde mir klar: Sie dachten damals über das Radio auf die gleiche Art und Weise, wie man in den 1990er-Jahren übers Internet gedacht hat.

Sie glauben also, man kann aus der Geschichte lernen?
Ich hab mir Radio, das Telefon, das Fernsehen und die Filmindustrie angeschaut. Die Entwicklung läuft überall nach dem gleichen zyklischen Muster ab: Amateure und Hobbyisten treiben ein neues Medium voran. Dann folgt die Phase der Konsolidierung, die in Monopolen endet. Die werden entweder vom Staat zerschlagen oder deshalb obsolet, weil etwas Neues kommt. Und der Zykus beginnt von Neuem. Wenn wir also wissen wollen, wo es mit dem Internet hingeht, sollten wir verstehen, was mit anderen Medien passiert ist.

Um auf das Radio zurückzukommen: Warum ist es eine besonders passende Parallele zum Internet?
Schon allein die Faszination mit dem Medium damals. Radio wurde wie ein Wunder empfunden. Dass man jemandes Stimme, der weit weg ist, im eigenen Wohnzimmer hören kann, war für die Menschen einfach unglaublich. Es gab kühne Vorhersagen: Es wird keine Schulen, keine Universitäten mehr geben, hieß es. Denn wozu sollte man das Haus verlassen? Man konnte ja alles daheim lernen.

Und über welchen Zeitraum erfolgt die Konsolidierung?
Im Fall vom Radio ging das sehr schnell. Anfang der 1920er-Jahre gab es tausende kleine Stationen in den USA. Dann stieg AT&T mit der Idee des Networks ein: Ein Programm wurde auf vielen Stationen gespielt. Daraus wurde später NBC. Und AT&T hatte außerdem den Vorteil der Kontrolle übers Telefonnetz. Das ließ sich auch fürs Radio nutzen. In den 1930er-Jahren war es jedenfalls mit der bunten Vielfalt vorbei.

Apropos AT&T: Dessen Geschichte ist ja an sich schon ein Lehrstück über die Folgen totaler Kontrolle einer Industrie.
AT&T war das größte Kommunikationsimperium in der Geschichte der Menschheit.  Ein gigantisches Unternehmen, das mehr als eine Million Menschen beschäftigte. Ganze 70 Jahre lang hatte AT&T absolute Kontrolle über den Telefonmarkt in den USA.  Und zwar auf so vollkommene Weise, dass man es sich heute kaum vorstellen kann. Ihnen gehörte das lokale und regionale Telefonnetz, das Ferngesprächsnetz, jedes Kabel. AT&T hat über Jahrzehnte Innovationen blockiert.

Zum Beispiel?
Den Telefonanrufbeantworter. Der wurde schon in den 1930er Jahren in den hauseigenen Bell Labs entwickelt. Aber das Unternehmen fürchtete, wenn Leute Anrufe aufzeichnen können, würden sie dann weniger telefonieren. 50 Jahre lang legte sich das Unternehmen dagegen quer. AT&T sträubte sich auch gegen die Verbilligung von Ferngesprächen. Und das Internet wollte das Unternehmen überhaupt blockieren. Schließlich musste der Staat das Internet finanzieren.

Was steckt dahinter, wenn Unternehmen so agieren? Arroganz?
Wenn man es psychologisch interpretiert, würde ich sagen: Ab einem bestimmten Punkt wollen sie die Macht nicht aufgeben. Das ist so, wie wenn in Afrika ein neuer Diktator an die Macht kommt: Anfangs glauben alle, er werde alles besser machen. Zehn, 20 Jahre später merken die Leute, dass es weit und breit keine Alternativen, keine Herausforderer gibt. Manchmal kommen mir Unternehmen wie Diktatoren vor: Am Anfang machen sie ihre Sache gut. Aber wenn sie allein auf weiter Flur dastehen, brauchen sie nicht besser zu werden.

Gegen AT&T schritt der Staat mit einem Antitrust-Prozess ein, der 1984 in der Zerschlagung des Monopols endete. Ist das die Aufgabe des Staates?
Wenn eine Industrie stagniert und Innovation nicht aufkommen lässt, muss der Staat eingreifen. Dann ist es Zeit zum Rebooten.

Auch zur Netzneutralität gibt es in den USA seit 2010 staatliche Vorschriften. Wie klappt das Ihrer Meinung nach?
Das ist kein so schlechtes Modell: Man stellt eine Regel auf, nämlich dass Diskriminierung verboten ist, aber man überprüft das nicht tagtäglich oder schreibt Anbietern die Preisgebarung vor. Man belässt es bei einfachen Grundregeln und mischt sich sonst nicht ein. Aber: Wenn sich jemand über Verstöße eines Anbieters beklagt, bestraft man ihn. Es sollte so ablaufen, wie die Polizei die allgemeine Sicherheit überwacht: Sie schläft nicht, aber man hat auch nicht das Gefühl, dass sie einem jeden Tag ins Haus kommt.

Wer sind nun die Thronanwärter für die Dominanz übers Internet?
Also ob ein Unternehmen jemals wieder so mächtig wird wie AT&T es war, das ist fraglich. Jeden Aspekt des Internets zu kontrollieren, ist keine einfache Sache. Aber Konsolidierung zeichnet sich schon ab, keine Frage. Das sieht man am Merger von NBC mit ComcastGoogle ist ein starkes Unternehmen. Und Apple hat in den letzten Jahren enorm an Dominanz zugelegt. Ich habe das schon vor fünf Jahren prophezeit, aber keiner hat es mir geglaubt. Apple wendet die gleichen Strategien an, wie das die Telefongesellschaften und Hollywood-Studios praktiziert haben.

Mit despotischen Ansätzen?
Ein bisschen schon. Denken Sie an die jüngste Kontroverse um Google Maps. Apple hat gesagt: Wir machen jetzt Apple Maps.  Aber der Apple-Kartendienst taugt nichts. Wenn der Apple-Kunde lieber Google Maps mag - so der Apple-Standpunkt - hat er eben Pech gehabt. Hier geht`s vergleichsweise um eine Kleinigkeit. Das ist nicht das Ende der Welt. Doch wenn Firmen groß und mächtig werden und sich kontrollierend verhalten, werden sie meistens nicht besser.

Man sollte meinen, dass der Konsument, der Nutzer da ein Wörtchen mitzureden hat, oder?
Der Konsument ist am Trend zur Monopolisierung mitbeteiligt. Weil er nämlich ein ordentliches, gut funktionierendes Produkt haben will. Die Pionierphasen sind aufregend, weil viel erfunden und ausprobiert wird. Aber was dabei herauskommt, ist qualitativ nicht unbedingt hochwertig. Nach einer Weile hat der Konsument genug davon und will etwas Ordentliches für sein Geld. Es war das Publikum, das bei der Konsolidierung der Hollywood-Studios mitbeteiligt war. Es hat sich lieber professionelle Big-Budget-Movies wie „King Kong" angeschaut. Manchmal fürchte ich, das Internet entwickelt sich in die standardisierte Richtung, wie das beim Fernsehen passiert ist. Noch ist es nicht so weit. Wir leben wahrlich in einem goldenen Zeitalter an Vielfalt. Blogs sind super. Auch Twitter und Youtube. Es liegt an uns, dass wir uns das bewahren.

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