© Bild: Gerd Leonhard

MUSIKWIRTSCHAFT

"Zugang zu Musik wichtiger als die Kopie"

Rund 8.000 Branchenvertreter werden in den kommenden Tagen zur Musikmesse Midem in Cannes erwartet. Bei der 45. Ausgabe des Branchentreffs stehen Gegenwart und Zukunft der Musikwirtschaft zur Diskussion. Der begleitende Kongress MidemNet widmet sich der "Musik im digitalen Zeitalter." Dort sind unter anderem EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier und der französische DJ und Produzent David Guetta zu Gast. Auch der Schweizer Medienfuturist und Berater Gerd Leonhard wird auf der MidemNet referieren.

Die FUTUREZONE hat mit Leonhard, der das Beratungsunternehmen The Future Agency leitet und zahlreiche namhafte Unternehmen aus der Medien- und Technologiebranche berät, über aktuelle und zukünftige Entwicklungen in der Musikwirtschaft gesprochen.

FUTUREZONE: Der CD-Verkauf geht weiter zurück - das Wachstum von Downloads hat sich verlangsamt - und stagniert etwa in den USA fast. Wie lange wird es denn die Tonträgerindustrie noch geben?

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Leonhard: Die Tonträgerindustrie hat das Problem, dass sich der Musikkonsum von der Kopie zum Zugang entwickelt. Streamingangebote wie Spotify oder Youtube werden vermehrt genutzt. Den Songdownload brauchen viele eigentlich nicht mehr. Die Wachstumsmöglichkeiten liegen nicht mehr in der Bezahlung pro Song, sondern in der Bezahlung des Zugangs mit Flatrates oder über Werbung. Der Musikkonsum wird vor allem auf mobilen Geräten stark wachsen.

Da kommen auch neue Player ins Spiel. Etwa die Gerätehersteller. Aber auch Soziale Netzwerke wie Facebook. Facebook ist heute der größte Sender. Die Künstler müssen darauf achten, dass sie diese Netzwerke auch zum Promoten und Vermarkten von Musik nutzen.

Es wird auch nicht so sein, dass der Konsument dafür bezahlen wird. Es gibt reges Interesse von Werbern. Werbefinanzierte Dienste werden einen Großteil des Angebots ausmachen. Auch Fernsehen und Radio werden großteils über Werbung finanziert, dass wird im Internet noch drastischer werden. Die Nutzer generieren eine Menge Daten für die Werber, die sehr viel Geld wert sind. Dadurch werden Inhalte gratis, das ist aber auch beim kommerziellen Fernsehen und beim Radio so. Die Logik des Bezahlens pro Song ist nicht durchsetzbar, wenn ich 95 Prozent der Konsumenten erreichen will.

Die Tonträgerindustrie macht für ihre Umsatzrückgänge nicht autorisierte Downloads im Netz verantwortlich.

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Sie werden sich damit abfinden müssen, dass der Zugang zu Musik wichtiger wird als die Kopie. Das Geschäftsmodell verändert sich. Künftig werden Zusatzdienstleistungen verkauft werden, etwa Webcasts von Live-Konzerten oder Songs in besserer Tonqualität und Merchandising-Artikel. Wenn man nicht mehr darauf beharrt, dass man nur die Kopie verkaufen kann, ergeben sich viele Möglichkeiten.

Welche weiteren Szenarien sehen sie beim Musikverkauf?

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Musik wird verstärkt im Paket verkauft, zusammen mit dem Handyvertrag oder der Internet-Verbindung. Künftig werden wohl alle großen Telekoms Musik mit ihren Anschlüssen zusammenpacken und auch dafür bezahlen. Wir werden auch von allen großen Internet-Unternehmen Musikangebote sehen, weil Musik einfach zum Grundbedarf gehört. Finanziert werden diese Dienste über Werbung oder Zusatzangebote.

Bei Nokia ist eine solche Strategie aber schief gegangen. Der Handykonzern hat vor kurzem angekündigt, seinen Dienst "Comes with Music", bei dem der Zugang zu Musik gemeinsam mit dem Handy verkauft wird, in vielen Ländern einzustellen.

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Die Idee des Bundlings ist grundsätzlich richtig. Nokia hat aber den Musikkonsum auf das Handy beschränkt. Der Gedanke ist falsch und für viele Konsumenten nicht nachvollziehbar. Musik gehört nicht nur auf ein Gerät, sondern ins Netzwerk. Sie gehört in die Wolke, wo sie immer und überall verfügbar ist und von vielen Geräten aus abgerufen werden kann.

Viele Cloud-Musik- und Streaming-Anbieter haben mit Widerständen der Tonträgerindustrie und lizenzrechtlichen Barrieren zu kämpfen und sind deshalb in vielen Ländern nicht verfügbar.

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Die Musikbranche nutzt ihre Rechte um enormen finanziellen Druck auszuüben. Das ist zwar verständlich, aber es ist nicht richtig. Diese Art von Politik führt dazu, dass viele dieser Unternehmen bankrott gehen. Es gibt eigentlich außer Apple kein einziges Unternehmen, das im Musikbereich erfolgreich ist. Der Hebel, den die Musikbranche ansetzt, ist ungesund. Es müsste eine öffentliche Lizenzstruktur entstehen, ähnlich wie beim Radio. Dazu braucht es Richtlinien. Die Rechtestruktur, die wir haben ist veraltet und für das Internet nicht angemessen.

Ein weiteres Thema bei der Midem werden Sync-Rechte sein - die Lizenzierung von Musik für Werbung, Computerspiele, TV und Filme. Welche Rolle wird diese Verwertungsform für Musiker künftig spielen?

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Die Zweitverwertung wird eine große Einnahmequelle darstellen. Musik in Werbung, Spielen und TV wird immer wichtiger. Aber auch hier müssen die Mechanismen vereinfacht werden. Die Transaktionskosten für den Erwerb der Lizenzen sind oft höher als die Lizenzgebühren. Die Werke müssen einfacher zur Verfügung stehen.

Sie werden auf der MidemNet darüber sprechen, wie sich die Musikwirtschaft Innovationen aus anderen Branchen zu nutze machen kann. Was und von wem kann die Musikbranche lernen?

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Es gibt sehr viele Parallelen zu anderen Branchen, in denen durch das Internet alte Geschäftsmodelle in Frage gestellt wurden. Etwa bei Reisebüros. Die haben früher Reisebuchungen monopolartig kontrolliert. Heute setzen sie auf Zusatzleistungen und persönliche Beratung. Sie bieten ihren Kunden Mehrwert an. Die Musikwirtschaft muss auch offener werden, die Technologie umarmen und den Nutzern mehr erlauben.

Viele Nutzungsweisen von Musik sind nach traditionellem Verständnis Urheberrechtsverstöße. Die Politik scheint aber eher auf die Bockgesänge der Tonträgerindustrie zu hören, anstatt das Urheberrecht gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen.

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Die Künstler müssen sich auch fragen, ob diese Art von Urheberrecht noch gut für sie ist. Das Internet ist eine Kopiermaschine. Wenn das Gesetz sagt, jede Kopie muss bezahlt werden, führt das dazu, dass ein Rahmen vorgegeben wird, in dem zwar alles verboten ist, aber jeder macht es. Das kann nicht sein.

Wir müssen neue Mechanismen finden, diese Nutzungsweisen in Einnahmen umzuwandeln. Es wird sicherlich nie mehr so sein, wie vor 20 Jahren. Wir brauchen eine erweiterte Lizenz, die Nutzern mehr Rechte einräumt. Nur so kann ein funktionierendes System geschaffen werden, in dem kreative Leistung auch bezahlt wird.

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(Patrick Dax)

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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