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Interview

"Der Mobilfunk rasselt runter"

FUTUREZONE: Finden Sie die Euphorie des Festnetz-Revivals gerechtfertigt?

Wenn ich in der Position von Telekom Austria-Generaldirektor Hannes Ametsreiter wäre, würde ich es genau so machen, man muss sich ja Mut zusprechen. Man muss anerkennend feststellen, dass die TA es geschafft hat, eine defacto Monopolisierung herzustellen. Genau genommen, gibt es eine Duopolisierung - wenn man UPC dazu rechnet, aber die UPC ist auf ihre erschlossenen Gebiete beschränkt. Der eigentliche Konkurrent für das Festnetz sind die Mobilfunker, weil dort die Faktoren Mobilität, Convenience und das niedrigere Preisniveau zählen.

Aber das Festnetz ist schneller?

Die einzige Chance, das Festnetz zu stabilisieren ist, mit höheren Datenübertragungsraten einen Qualitätsunterschied zu den Mobilfunkern darzustellen. Das versucht die TA derzeit mit Gewalt. Obwohl : Ich wohne in Rauchenwarth, und das liegt nicht im Niemandsland, sondern 20 Minuten von Wien entfernt. Ich habe einen DSL-Anschluss der TA gekündigt, weil er nicht mehr als 1,5 Mbit/Sekunden geschafft hat. Mein Orange-Mobilfunknetz bringt dort zwischen vier und 6 Megabit/Sekunde zusammen.

Vielleicht deshalb, weil Sie sich eine eigene Station haben errichten lassen?

Nein, die war schon dort, bevor ich gekommen bin und es haben auch alle anderen Mobilfunkbetreiber eine HSPA-Mobilfunkstation.

Ich habe hier ein iPad bei mir. Wenn ich eine App downloaden will, die größer ist als 10 MB werde ich auf ein WLAN verwiesen. Wie macht das Michael Krammer ohne Festnetz daheim?

Ich habe mir einen WLAN-Router hingestellt mit einer SIM-Karte drinnen. Und das iPad kennt ja nur WLAN und nicht, welche Technologie dahinter arbeitet. Ich lade mir alle meine Apps über WLAN herunter, aber dahinter ist Mobilfunk.

Das heißt, Sie würden jedem empfehlen, verzichtet auf ein Festnetz, kauft lieber einen WLAN-Router auf SIM-Karten-Basis.

Es ist zumindest dort eine Alternative, wo das Festnetz nicht in der Lage ist, vergleichbare Leistungen zu erbringen. Ganz ehrlich, ich würde einem UPC-Kunden in Wien nicht raten, er soll auf Mobilfunk umsteigen, wenn er 100 Mbit hat, das ist in der Tat was anderes. So fair muss man sein. Aber davon ist die TA in manchen Gebieten noch sehr weit entfernt davon.

100 Mbit wird ein Mobilfunknetz nicht so leicht erreichen. Auch nicht in der LTE-Ära.

Richtig. Die Frage ist nur, was braucht man tatsächlich, was ist der Unterschied zwischen 10, 30, 50 und 100 Mbit/Sekunde. Wahrscheinlich würden wir beide, wenn wir nicht HD-fernsehen, oder 3D-fernsehen, den Unterschied gar nicht so wirklich merken. Das ist so wie die Diskussion, ob ein Auto 250 oder 300 km/h geht, aber ich darf ohnehin nur 130 auf der Autobahn fahren. Natürlich gibt es trotzdem Leute, die sich das - aus eigener Erfahrung wissend - die sich das schnellere Auto kaufen, obwohl man es nicht fahren kann, fahren darf oder fahren muss. Wenn man jetzt 500 Kbit oder 3 Mbit hast - das macht einen großen Unterschied. Zwischen 3 und 5 Megabit ist nicht mehr so viel Unterschied in der Wahrnehmung, weil die Applikationen, die auf iPad, iPhone stattfinden, den Unterschied nicht mehr bemerkbar machen.

T-Mobile-Chef Chvatal wäre an UPC sehr interessiert, es gibt auch Gerüchte, dass Orange UPC gerne hätte. Was ist dran?

Wir sind jener Mobilfunkbetreiber, der mit UPC eine Kooperation laufen hat, und zwar schon seit ONE-Zeiten, Take2 -sehr erfolgreich, diese Kooperation hält bis heute an. Die UPC verkauft ja diese Produkte immer noch. Natürlich wäre die Kombination aus einem Mobilfunkbetreiber und einem Kabelnetzbetreiber eine interessante, sowohl aus unternehmerischer als auch aus Kundensicht.

Hat es Gespräche gegeben?
Wir reden immer wieder über verschiedene Dinge. Aber in Verkaufsgespräche sind wir nie eingetreten.

Bleiben wir bei den Gerüchten. Es gibt eines, wonach die France Telecom bei Orange aussteigen will?
Das hat Olaf Swantee (Orange-Chef international, Anm./Bild unten links) vor einigen Tagen widerlegt. "Wir wollen in Österreich Wurzeln schlagen, wir haben keine Pläne, aus Österreich auszusteigen."

Sie machen sich in der Mobilfunkbranche die größten Sorgen wegen des Preisverfalls in der Branche.

Vielleicht bin ich der einzige, der unternehmerisch denkt. Drei arbeitet ja jenseits jeder Betriebswirtschaftlichkeit. Im vergangenen Sommer haben wir, so wie vor dem Markenwechsel, eine Studie der Mobilfunknutzer gemacht - mit psychologischem Hintergrund. Ergebnis: Die Leute sind der Meinung, Was die Mobilfunker anbieten, ist nichts mehr wert. Man bekommt 1000e Minuten, 1000e SMS, Daten. Das ist gefährlich für eine Branche, wenn die Kunden das Gefühl haben, dass das, was wir mit viel Aufwand produzieren, nichts mehr wert ist. Schauen Sie sich die Preisindizes von 2002 bis heute an. Wenn man davon ausgeht, dass man 2002 bei 100 Prozent war, ist man heute im Mobilfunk bei 40 Prozent. Der Strompreis liegt bei 130 Prozent, die Löhne bei 120 und der allgemeine Verbraucherindex bei 117 Prozent. Überall geht’s rauf, der Mobilfunk rasselt runter.

Wie kann man den Preisverfall stoppen?

In anderen Ländern konnte mit den Datenumsätzen der Voice-Preisverfall kompensiert werden. Bei uns nicht. Aber manche Datentarife drücken weder die Wertigkeit noch die Produktionskosten aus. Man kann heute kein Gigabyte um weniger als einen Euro produzieren.

Das heißt, wenn jemand 19 GB um 15 Euro anbietet, so wie Drei, macht er ein Defizit.

Dann muss er damit spekulieren, dass es viele Kunden gibt, die das nicht ausnutzen. Im Jahr 2006 hat ein Gigabyte 28/29 Euro gekostet im besten Tarif. Jetzt sind wir deutlich unter 1 Euro. Vor zwei Jahren war der Top-Tarif 3 GB 9 Euro. Heute 9 GB 9 Euro. Und 19 GB 15 Euro. Jetzt können Sie sich ausmalen: Wenn nun alle von einem Tarif in einen anderen, günstigeren wechseln, kann man sich ausrechnen, wie viele zusätzliche Kunden man benötigt, damit man noch stabil bleibt.

Aber wenn künftig jeder Flat-TV connected ist, Mediacenter im Web hängen, Smartphones, Tablets etc. Ich habe allein in meinem Haus zehn Datenverbraucher im Netz hängen.

Ich glaube auch, dass Fernsehen künftig eine Relevanz haben wird, aber heute haben 70 Prozent der Haushalte Satellitenanschluss, gratis. 50 deutschsprachige Kanäle. Warum soll heute einer, der gratis fernsehen kann, künftig was zahlen dafür, damit er drei Kanäle mehr hat.

Da geht’s nicht um das Mehr an Kanälen, da geht es um HD, da geht es um hbbTV etwa.

Mit meinem Digital-Satelliten hab ich alles, warum soll ich zusätzlich für eine Access-Leitung zahlen.

Weil der TV im Netz hängt und mir die Verbindung zur Online-Videothek herstellt? Dann macht das Sinn.

Aber dann muss man sagen, fehlt es uns noch fest an Infrastruktur in Österreich.

Und jetzt freut sich TA-Chef Hannes Ametsreiter, der sagt: genau deshalb und dafür brauchen wir das Glasfasernetz in Österreich.

Das ist schon richtig, aber das muss man erst einmal finanzieren. Da rede ich nicht von Wien, Graz und die großen Städte, weil dort werden sich schon zwei, drei finden, die das machen. UPC, TA - aber sobald die Bevölkerungsdichte abnimmt - wie soll sich denn das rechnen? Flächendeckend würde das jenseits der drei, vier Milliarden Euro kosten.

T-Mobile-Chef Robert Chvatal meint, es gebe nur zwei Betreiber, die sich um die Mobilfunkzukunft sorgen - das ist T-Mobile und A1Telekom Austria, nur diese beiden hätten LTE im Visier.

Mich erinnert das schon wieder an die Anfangszeiten von UMTS, wo man sich überschlagen hat, wer hat schneller die 50 Prozent ausgebaut. Kein Mensch hats genutzt. Wenn man es fünf Jahre später gebaut hätte, wäre man immer noch zeitig genug dran gewesen. Es hat keine Endgeräte gegeben, keine Services.

So wie heute bei LTE.

LTE ist derzeit nur auf der Frequenz 2,6 GHz möglich. Keine andere Frequenz ist für LTE gewidmet. Das heißt, ich habe eine Frequenz mit einer ganz schlechten Ausbreitung und kann sie daher sinnvoll nur in städtischen Bereichen einsetzen. Wer ist aller in städtischen Gebieten mit Breitbanddiensten? Jeder. Telekom Austria, UPC, sogar die Tele2, alle haben dort etwas. Jetzt kann man sagen, ja, ich bin ganz vorne dabei und hau mich mitten ins Getümmel mit meinen LTE-Angeboten und gib mein ganzes Geld für den LTE-Ausbau in den Städten aus oder ich warte, bis das Refarming kommt.

Sie wollen auf einer Frequenz alle Technologien anbieten, 2G bis 4G?
Wir Betreiber müssen die Möglichkeit bekommen, auch auf unserer Hauptfrequenz, bei uns 1800 MHz, LTE anzubieten. Wir wollen alle Frequenzen, mit denen wir Österreich abdecken, für LTE nutzen können.

Ist das technisch möglich?
Es gibt heute Equipment, mit dem man auf einer Frequenz
Multitechnologie anbieten kann. Du kannst auf einer Frequenz, 2G, 3G und 4G nutzen. Eine Antenne und unten ein Kastl mit drei Einschüben. Wenn man nun auf 1800 2G, auf 2100 3G und auf 2600 4G hat, hat man drei
Antennen oben und drei Kästen unten stehen. Das macht wirtschaftlich wenig Sinn. Die Technik ist ausgereift. Aber der Regulator verbietet uns das.

Auch die EU?
Es gibt eine klare Entscheidung der Europäischen Union, Refarming zu ermöglichen. Wir werden einen Antrag für Refarming 1800 an die Regulierungsbehörde stellen. Auch A1 und T-Mobile haben ein Interesse, ihre 900er- und 1800er-Frequenzen refarmen zu dürfen, ansonsten ist die
Zukunft des Mobilfunks gefährdet.

Warum brauchen die Handy-Betreiber überhaupt die Digitale Dividende, in Wien können die Frequenzen wegen der Interferenzen, die slowakische und ungarische Sender hervorrufen, ohnehin bis 2015 nicht genutzt werden.

Die Digitale Dividende nutze ich sofort, draußen am Land. Wie ich sie habe, beginne ich mit dem Ausbau am Land und nicht im Großraum Wien.

Könnten Sie sich vorstellen, der ORS die Frequenzen der Digitalen Dividende zumindest bis 2015 in Wien zur Verfügung zu stellen, damit sie DVB-T2 testen können?

Nein. Sicher nicht, weil ich dann wegen des Grenzbereichs Niederösterreich/Wien streite? Ich zahle was für diese Frequenz. Sollten sie diese Frequenz mitnutzen dürfen, dann ist diese Frequenz massiv entwertet, dann wird auch kein Mensch etwas bezahlen.

Robert Chvatal macht sich für kostenlose LTE-Lizenzen stark? Sind Sie auch dafür?

Ja, das habe ich auch beim FMK-Forum gesagt. Man muss sich als Gesetzgeber und als Finanzminister überlegen, was ich will: Will ich kurzfristig Geld verdienen, mit einem möglichst hohen Versteigerungserlös oder will ich die Frequenzen vergeben, damit nachher möglichst schnell investiert wird in den Ausbau, damit durch die Investitionen Wertschöpfung entsteht und damit auch der Wirtschaftsstandort attraktiver gemacht wird. Man muss sich nur anschauen, welche Länder eine Vorreiterrolle haben. All jene, in denen die Lizenzen kostenlos vergeben worden sind. Die skandinavischen Länder.

Aber die 2,6GHz-Frequenzen für LTE haben ja auch etwas gekostet.

TA und T-Mobile haben je 11 Millionen für vier Frequenzpakete bezahlt, wir haben für zwei Pakete vier Millionen bezahlt.

Also werden die LTE-Frequenzen aus der Digitalen Dividende auch nicht so teuer sein.

Eine Versteigerung birgt das Risiko, dass der Preis sehr hoch geht. Und wenn ein Preis sehr hoch geht, dauert es lange, bis mit dem Ausbau begonnen wird.

Glauben Sie wirklich, dass um die Frequenzen der Digitalen Dividende ein Gerangel ausbricht?

Das wird sehr davon abhängen, wie die Lizenzbedingungen gestaltet werden. Ob das Problem mit den Kabelbetreibern, also den Schwarzfahrern auf dieser Frequenz, gelöst wird, wie das Problem mit der ORS gelöst wird und wie die Ausbaubedingungen aussehen. Für den Wirtschaftsstandort wäre es gescheiter, die Frequenzen zu vergeben.

Wann wird es ein flächendeckendes LTE-Netz von Orange geben? Wann Echtbetrieb?

Wenn das Thema Frequenz-Refarming gelöst ist und wir die Möglichkeit bekommen, auch auf unserer Hauptfrequenz, nämlich der 1800er-Frequenz, LTE zu machen, dann kann das sehr sehr schnell gehen. Das muss das Ziel der Politik und der Regulierung sein, das zu ermöglichen, denn jede neue Frequenz erfordert einen anderen Grid, eine Netzarchitektur. Man braucht für 900 einen neuen Grid wie für 2,6 GHz oder 1800. Es kann nicht im Interesse der Öffentlichkeit sein, dass wir wieder neue Masten bauen.

Ich möchte noch über Datenroaming reden. Immerhin hat Orange als eines der ersten den Europa-Tarif gelauncht.

Unsere Europa-Tarife haben automatisch den 1:1-Tarif dabei, 1 MB ein Euro. Wenn man ein Smartphone benutzt, und wir haben da viele Beispiele ausprobiert - Urlaubsnutzung etc - man kommt kaum in einer Woche Urlaub auf über 50 MB. Man ruft eMails ab, schaut auf Google Maps nach, man schaut sich die Sehenswürdigkeiten an. Das sind 30 bis 50 Euro. Das ist im Europa-Tarif automatisch aktiviert. Wir würden gerne mehr tun, aber wenn wir im Einkaufspreis 85 Cent zahlen netto für ein MB in der EU, ist nicht mehr möglich.

Was zahlt man in Russland?
Ein Vermögen. 10 Euro pro MB durchschnittlicher Einkaufspreis. 15 Euro/MB Spitzenpreis. Exklusive Steuern. Aber man hat null Einfluss darauf. Als Österreicher mit maximal acht Millionen Kunden hat man eine schlechte Verhandlungsposition.

Aber als Orange-Konzern, weltweit betrachtet, hätte man wieder eine bessere.

Wir arbeiten an etwas, aber wir werden unsere Vorreiterrolle in Sachen Roaming weiter ausbauen, das ist unser Ziel.

Früher war es doch so, dass der Handy-Betreiber das Netz geliefert hat, das Handy und die Services, Portal auch noch dazu. In der App-Ära mutiert der Betreiber nur noch zum Netz und Handy-Lieferanten, da der Kunde selbst seine Gestaltung übernimmt.

Das ist definitiv so. Wir haben jetzt 15-20 Jahre in der Branche herumprobiert, von den erfolglosen Versuchen mit WAP, Musikservices, alles mögliche haben wir gehabt, aber alles ist bescheiden im Erfolg geblieben. Das können wir einfach nicht. Wir können zwei Dinge gut, und darauf werden wir uns konzentrieren. Das eine ist das richtige leistungsfähige Netz zur Verfügung zu stellen und wir sind diejenigen, die den Kunden diese Dienste auch näher bringen. Wir sind Netzbetreiber und eine Vertriebs- und Service-Organisation. Das sind unsere zwei Standbeine.

Ist das ein komplettes Verabschieden von Diensten und Apps?

Wir entwickeln nicht mehr selber, wenn, dann sind das Auftrags-Entwicklungen. Dort, wo es Service-Komponenten betrifft, werden wir es weiter tun. Eine Service-App etwa, wo es Sinn macht, wo wir die Kommunikation mit dem Kunden unterstützen. Unsere Service-App kostet 79 Cent und wurde bereits von 30 Prozent unserer iPhone-Usern downgeloadet.

(Gerald Reischl)

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