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Bücher der Zukunft

Erweiterte Lesewelten

Noch sind die allermeisten E-Books identisch mit den gedruckten Werken. Doch E-Books können entsprechend ihrer elektronischen Ausgabegeräte auch Töne, Sprache oder Filme von sich geben. Werden sie über ein Smartphone oder ein Tablet-Computer gelesen, können sie auch Bewegungen, Spracheingaben und Kompassfunktionen als Inputs berücksichtigen. Um digitale Bücher entsprechend weiterzuentwickeln, arbeiten Autoren heute schon mit Designern, Spieleentwicklern und Komponisten zusammen. Sie wollen ihre digitalen Bücher mit Videos und anderen Medienformaten "anreichern".

Illustrative Erweiterungen
Vorreiter für diese so multimedialen E-Books sind die Fachbuchverlage aus dem natur- und geisteswissenschaftlichen Bereich. Für das iPad etwa hat das amerikanische Start-up Inkling Biologie-Lehrbücher illustrativ mit Tabellen, Fotos und interaktiven Medien aufbereitet. Studierende müssen nicht das gesamte Werk für 80 Dollar kaufen, sondern können auch einzelne Kapitel für 3 Dollar erwerben. Jährliche Updates sollen angeboten werden. Der amerikanische Verlag Scribner/Simon & Schuster Digital brachte kürzlich das Buch Nixonland von Rick Perlstein als "enhanced e-book" in Apples iBookstore heraus: Es enthält ein Interview mit dem Autor sowie historische Videos von CBS News, die in den Originaltext des bereits vor zwei Jahren erschienenen Buches eingebettet sind.

Multimedial blättern
Illustrierte Bücher eignen sich wie kaum ein anderes Medium für multimediale Umsetzungen. Insbesondere Kinderbücher sind ideale Vorlagen für Computerspiele, Hörbücher und seit neuestem auch für mobile Apps. Sämtliche medialen Möglichkeiten lotet zurzeit das englischsprachige Buch The Future is Wild aus: Es zeigt nicht nur in Text und Bild, wie die Erde in künftigen Zeitaltern aussehen könnte. Über Karten sowie ein bedrucktes T-Shirt lassen sich dreidimensionale Augmented-Reality-Animationen auf dem Computerbildschirm anzeigen. Die Leser müssen die Karten zu Tieren bzw. ihr T-Shirt mit einem Lebenswelt-Motiv lediglich in eine Webkamera halte, damit diese weitere Informationen zu bestimmten Themen anzeigt. Und eine Fernsehserie zum Thema wurde auch bereits umgesetzt.

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Bücher mit Augmented Reality
In naher Zukunft dürfte Augmented Reality eine größere Rolle spielen: Man druckt ein Logo-artiges Zeichen auf ein Stück Papier und hält es vor eine Webkamera. Aufgrund dieses Zeichens erhält eine auf dem Rechner installierte Software den Impuls, mit diesem Informationsanker verknüpfte Daten anzuzeigen. Die Realität wird so mit weiteren Informationen angereichert.
Das niederländische Start-up Layar etwa hat für Smartphones einen Augmented-Reality-Browser entwickelt: Der Browser blendet in die von der Kamera aufgenommene Wirklichkeit virtuelle Ebenen unterschiedlicher Bedeutung ein. Die niederländische Architektur-Plattform Mimoa hat eine eigene Layar-Anwendung entwickelt, mit dem sich Nutzer direkt vor Ort Architekturinformationen anzeigen lassen und diese mit eigenen Informationen ergänzen können. Mimoa verknüpft dies geschickt mit einem E-Book-Konzept: Nutzer können sich nämlich auf Basis der Mimoa-Datenbank einen eigenen, personalisierten Architekturführer als E-Book erstellen und ausdrucken.

Dass sich traditionelle Verlage auch bereits in diese Richtung entwickeln, zeigt ein Projekt des Regensburger Verlags für Kunst- und Kulturgeschichte Schnell & Steiner. Er hat eine umfangreiche Kunstführerreihe für das iPhone entwickelt, die durch die architektonischen Sehenswürdigkeiten Europas führt. Die App enthält nicht nur ein E-Book, sondern auch ein Audiobook sowie diverse interaktive Elemente.

Hintergründige Romane
Belletristikverlage zögerten in den vergangenen Jahren mit multimedialen Experimenten, doch seit einigen Monaten feilen sie an eigenen Konzepten. Zur Frankfurter Buchmesse stellte der Bastei Lübbe Verlag Ken Folletts Sturz der Titanen als erweitertes E-Book für das iPhone und iPad vor. Es enthält Glossarhinweise, die sich in den Text einblenden lassen, Videos und Landkarten. Der Rowohlt Verlag präsentiert gleich eine neue Reihe namens Digitalbuch Plus, die Bücher für das iPhone und iPad mit elektronischen Extras versieht. Der Auto Johannes Wickert beispielsweise ergänzt seine Biographie des Physikers Albert Einstein mit kaum bekannten Dokumentarfilmen und Tonaufnahmen. Der Comedian Bernhard Hoëcker hingegen erweitert seinen Abenteuerbericht über die "verrücktesten Rallye der Welt", die ihn vom Allgäu in die jordanische Wüste führte, mit allerlei skurrilen Videoszenen.

Neue Formate, neue Plattformen
Um die E-Books herum entsteht auch ein neuer Markt für IT-Dienstleister. Wegweisend dürfte die Entwicklung des Autors Jürgen Neffe sein. Er investierte selbst in die Entwicklung eines neuen E-Book-Formats namens Libroid, das er künftig auch anderen Autoren zur Verfügung stellen will. Es zeigt für das iPad im Hochformat den Text, im Querformat in zusätzlichen Spalten links und rechts Hintergrundmaterialien, Fotos, Videos oder Anmerkungen an. Das erste E-Book im Libroid-Format ist Neffes Buch über Charles Darwin. Neffe will Libroid bald auch für Android herausbringen.
Im englischsprachigen Raum bietet die Plattform Vook für das iPhone und das iPad multimedial erweiterte digitale Bücher. Sie enthalten Videos und Social-Media-Links zu den Autoren. Fast 60 Bücher, unter anderem von Marketing-Guru Seth Godin, werden bereits über den Vook-Store vertrieben.

Noch immer Avantgarde
Noch steht der Markt in Deutschland am Anfang: Einer aktuellen Umfrage unter Mitgliedsverlagen im Börsenverein des Deutschen Buchhandels zufolge haben die Verlage im vergangenen Jahr rund 1,8 Prozent ihres Umsatzes mit E-Books gemacht. Das Angebot an deutschsprachigen E-Books ist im internationalen Vergleich klein: 30.000 aktuelle Titel sind derzeit über Libreka, der E-Book-Plattform der deutschen Verlage, lieferbar. Gleichwohl sind bereits rund ein Drittel aller Neuerscheinungen in Deutschland als E-Book erhältlich und erscheinen ausschließlich digital oder zusätzlich zum Print-Produkt.

Ändern könnte sich das, wenn Amazon Anfang 2011 auch in den deutschsprachigen Markt einsteigt. Noch listet der Amazon Kindle Store nämlich überwiegend englischsprachige Bücher. Auch Google will zum Jahresanfang mit seinem Projekt "Google Editions" an den Start gehen: So sollen in Europa 9.000 Partner über 600.000 Titel zur Verfügung stellen. Google will die Verlage wie Apple mit 70 Prozent an den Erlösen beteiligen. Es wird aber auch bereits zum Start über 2 Mio. gemeinfreie Werke geben, deren Urheberrechte bereits erloschen sind und die deshalb kostenlos verfügbar sind. Vielleicht ist das der Grund, warum Libreka sich nun vom Endkundengeschäft abwendet und künftig nur noch E-Book-Portale beliefern will.

(Christiane Schulzki-Haddouti)

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