© Jakob Steinschaden

E-HEALTH

Tablets und Smartphones werden spitalreif

Telemedizin, Retina-Implantate und Roboter-Anzüge für Menschen mit Handicap sind bereits Realität. Die nächste Revolution, die die Hightech-Medizin bereithält, ist viel trivialer. "Der Arzt wird in Zukunft mit einem mobilen Endgerät am Krankenbett auftauchen", sagt Oliver Bernecker (38), Chef der Grazer Firma Exthex. Smartphones oder Tablet-Computer, heute hauptsächlich zu Unterhaltungs- und Kommunikationszwecken im Einsatz, sollen in Zukunft Fixpunkt der Spitalsarbeit sein.

Das Revolutionäre daran sind aber nicht die Geräte selbst, sondern ist vielmehr die Software, die darauf installiert ist: "EMMA" (Excellent Mobile Medical Assistant) wurde als App für Apple- und Android-Geräte (iPad, iPhone, Galaxy Tab, etc.) entwickelt und könnte zum ultimativen Werkzeug für Ärzte und Krankenschwestern werden: Von der Erfassung von Vitalwerten über die Ortung von Demenzpatienten bis hin zum bei Doktoren beliebten Diktiergerät soll EMMA eine Vielzahl an Aufgaben übernehmen.

In der Kinderwunschklinik in Wels ist die Software bereits im testweisen Einsatz. "Als nächstes werden wir wahrscheinlich Windows Phone 7 angehen", so Bernecker. Für die Innovation, an der ein 14-köpfiges Team seit März 2010 arbeitet, wurde Exthex mit dem "World Summit Award" in Abu Dhabi in der Kategorie "eHealth" ausgezeichnet.

Ultimativer Sensor

EMMA soll medizinischem Personal etwa bei der Erfassung von Vitalwerten helfen. Anstatt Temperatur, Puls oder Blutdruck auf Papier zu notieren, können diese nun digital dokumentiert werden und sind dann auch von anderen befugten Personen - etwa der Nachtschwester - unkompliziert eingesehen werden. Auch die Kameras der Handys oder des Tablets "Galaxy Tab" findet neue Verwendung. "Bis dato werden Wunddokumentationen noch gar nicht einheitlich gemacht", so Bernecker, mit den eingebauten Cams könne man das aber jetzt sehr simpel handhaben.

Neue Möglichkeiten tun sich auch bei der Verschreibung von Medikamenten auf. Denn EMMA könnte in Zukunft mit so genannten UNIDOS-Systemen zusammenspielen, wie es sie schon im Wiener Kaiser-Franz-Joseph-Spital gibt. Vom Tablet schickt der Arzt einen Befehl an die Maschine, die dann vollautomatisch die gewünschte Dosis eines Mittels abpackt und, als Säckchen auf einem Ring aufgefädelt, ans Bett des Patienten liefern lässt. "Medikationsfehler werden dadurch weitgehend ausgeschlossen", sagt Bernecker.

Das vernetzte Krankenhaus
Online sind die neuen Geräte ständig via WLAN. "Zur Zeit bauen die Krankenhäuser flächendeckend ihre WLAN-Strukturen aus", so der Exthex-Chef. "Deswegen setzen wir auf diese Funktechnologie." Das erlaubt es EMMA auch, Krankenhausinventar (z.B. der Medikamentenbestand) oder Menschen, die mit Funk-Chips ausgerüstet sind (etwa Alzheimer-Patienten), auf eineinhalb Meter genau zu orten. Damit wird auch so genanntes "Baby-Tracking" möglich: Wird ein Kind unerlaubt aus der Geburtsstation entfernt, schlägt das System sofort Alarm. Durch die allumfassende Ortung ist das berühmte, bei der Operation verschwundene Tupfer Schnee von gestern. Meldung macht EMMA übrigens auch, wenn vom Labor kritische Patientenwerte festgestellt werden.

WLAN-Strahlung in der Krankenhausumgebung selbst sei kein Problem, so Bernecker. Eine neue Studie bescheinige dem Funksignal im 2,4-Gigahertz keine negativen Effekte, von der Österreichischen Gesundheitskommission gibt es diesbezüglich keine Warnung.

Gläserner Patient

Alle Patientendaten, die vom Personal erfasst werden, wandern auf zentrale Server. "Auf den Geräten selbst wird gar nichts abgespeichert", sagt Bernecker. "Wer sich in die Datenübertragung hineinhackt, bekommt nur digitalen Kauderwelsch zu sehen." Seine Firma Exthex hat bereits Erfahrung im eGovernment-Bereich, wo der höchste Sicherheitsstandard gilt. Das System XTP, auf dem EMMA basiert, wird etwa im Innenministerium oder im deutschen Bundeskanzleramt eingesetzt, um Dokumente mit einer elektronischen Signatur zu versehen. Sollte ein Gerät gestohlen werden, würde der Dieb keine Gesundheitsdaten von Privatpersonen darauf finden.

Dass sich die Patienten wie Versuchsobjekte vor der Handy-Kamera des Doktors fühlen, soll nicht passieren. "Man kann davon ausgehen, dass der Patient Zugriff auf die Daten haben wird", sagt Bernecker "EMMA ist theoretisch so weit, den Patienten mit Anmeldung über die Bürgerkarte auf seine Informationen zugreifen lassen könnten." Es werde aber noch einige Jahre dauern, bis die elektronische Gesundheitsakte (ELGA) so weit ist. Vorerst wird es eher so sein, dass der Patient sein Essen via EMMA bestellen oder das TV-Gerät fernsteuern wird.

Ein Stolperstein für EMMA: Grundvoraussetzung zur Nutzung des neuen Systems für den Einzelnen ist die Bürgerkarte bzw. die Handy-Signatur, die derzeit nur zögernd von der Bevölkerung angenommen wird. "Die Identität einer Person muss eindeutig festgestellt werden können", sagt Bernecker. Damit könne man auch den Missbrauch des Gesundheitswesens verhindern.

Aufrüsten

Um EMMA in den täglichen Betrieb integrieren zu können, müssen Spitäler mit Einstiegskosten von 30.000 Euro aufwärts rechnen. "Das ist billiger, als wenn das Krankenhaus neue PCs anschafft", sagt Bernecker. "Deswegen werden wir keine Probleme bei der Argumentation der Endgeräte haben." Zudem ergebe sich die Möglichkeit, dem Personal Smartphones und Tablets nicht nur als Arbeitsgeräte zu geben, sondern auch zur privaten Nutzung anzubieten. So könne man die Kosten aufteilen.

In Österreich wird EMMA aber noch ein Weilchen brauchen. "Vor 2012 wird es keine flächendeckende Möglichkeit geben, das System einzusetzen", so Bernecker. Bis dahin wolle man sich eher an Privatspitälern, insbesondere der Schönheitschirurgie, orientieren - etwa auch in Abu Dhabi. "Zur Zeit können wir mit EMMA außerhalb von Österreich mehr Business machen."

Mehr vom "WSA-mobile":

Wikitude: Preis für beste Tourismus-App
Konferenz: Handy-Apps als große Hoffnungsträger

(Jakob Steinschaden, Abu Dhabi)

WSA-mobile 2010

Beim "World Summit Award Mobile" (WSA) in Abu Dhabi dreht sich vom 5. bis 8. Dezember alles um die Welt der Apps und ist somit eine der ganz wenigen Veranstaltungen, die sich ausschließlich mit dem Thema Handy-Programme auseinandersetzt. Gekürt wurden bei der Veranstaltung auch die besten Apps des Jahres.

Aus mehr als 400 Einreichungen wurden 40 Entwickler aus der ganzen Welt ausgezeichnet. Neben den beiden österreichischen Preisträgern Exthex und Mobilizy wurde etwa "Angry Birds" zum besten Handy-Spiel des Jahres gewählt. Organisiert wird der WSA-mobile vom "International Center for New Media" mit Sitz in Salzburg.

Links:

WSA-mobile
Exthex
The International Center for New Media

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