TomTom: Echtzeitdaten gegen Gratis-Navis
TomTom: Echtzeitdaten gegen Gratis-Navis
© Jakob Steinschaden

TomTom: Echtzeitdaten gegen Gratis-Navis

TomTom: Echtzeitdaten gegen Gratis-Navis

80-Euro-Geräte aus dem Supermarkt, Apps für Smartphones um 1,59 Euro und Gratis-Navigation auf allen Google-Handys: Auch Europas Navi-Marktführer TomTom (67 Prozent Marktanteil) bekam zuletzt den Druck der Billigkonkurrenz zu spüren und musste Gewinn- und Umsatzeinbußen hinnehmen.

Die Routentechnologie “HD Traffic” soll dem lahmenden Geschäft neuen Schwung verleihen. In Kooperation mit A1 bringt der niederländische Hersteller das neue GPS-GerätTomTom GO LIVE 1000” nach Österreich (siehe Test), dass mit “HD Traffic” Echtzeitdaten über die Verkehrssituation auf den Touchscreen bringt. Wie bei Garmins kostenpflichtigem nüLink-Dienst kann das TomTom-Navi auf aktuelle Verkehrsinformationen zugreifen, Staus identifizieren und eine alternative Route vorschlagen.

“Früher lotsten uns Navis zu Zielen in fremden Gegenden. Unsere neuen Geräte sollen helfen, die Wege, die wir täglich fahren,  zu erleichtern “, sagt Marketing-Chef Alain Pakiry zum KURIER. “Das ist ein fundamentaler Wandel.” Spielereien wie TV-Empfang oder Musik-Player im GPS-Gerät lässt TomTom links liegen, die Konzentration aufs Kerngeschäft - bessere Navigation - sollen die Kunden von den hochpreisigen Geräten überzeugen.

Vogelperspektive Die Verkehrsinformationen, die die neuen Navis über eine eingebaute SIM-Karte via Mobilfunk empfangen, kommen von den Großrechnern im Amsterdamer “Traffic Control Center” von TomTom. Hier laufen Bewegungsdaten von mehr als 1,5 Millionen GPS-Geräten zusammen, die auf den Straßen Europas unterwegs sind. Denn die SIM-Karten empfangen nicht nur, sondern senden im Zwei-Minuten-Takt Positionsdaten an die TomTom-Server. Schneller UMTS-Empfang ist dazu nicht notwendig - die Daten werden so komprimiert, dass sie auch bei schwachem GSM-Signal umgehend übermittelt werden können. Das Resultat: Andere TomTom-Nutzer werden sofort über neu entstehende Staus informiert.

Die Nutzer können aber nicht nur passiv - sie haben ein TomTom-Navi im Auto - sondern auch aktiv zu “HD Traffic” beitragen. Umgedrehte Einbahnen, Baustellen oder zeitweise Straßensperren können direkt über das Navi an das “Traffic Control Center” gemeldet werden. Diese Meldungen werden dann von TomTom-Mitarbeitern vor Ort überprüft, oder - wenn viele Mitteilungen gleichzeitig eingehen - sofort in das Kartenmaterial eingearbeitet.

Angst, dass TomTom so ständig weiß, wo sich die Besitzer der GPS-Geräte aufhalten, braucht man nicht haben. Die Bewegungsdaten werden anonymisiert - nicht einmal die Polizei könnte nach derzeitiger Rechtslage zu Fahndungszwecken auf die Informationen zugreifen. Firmen haben schon länger die Möglichkeit, das SIM-Karten-Tracking für ihre Wagenflotten freizuschalten, um Fahrtwege zu kontrollieren. Sie bekommen aber nur Zugriff auf die genauen Positionsdaten, wenn der Betriebsrat zustimmt.

Zukunftswege Mit der Online-Anbindung der TomTom-Geräte hält auch die Google-Suche Einzug am Display. Weitere Web-Dienste wie Facebook könnten folgen. “Wir arbeiten daran”, sagt Produkt-Managerin Josette Udo. Dann wäre etwa möglich, sich den Weg zu einem Bekannten weisen zu lassen, indem man dem Navi einfach einen Namen ansagt anstatt einer Adresse.

Der neuen Technologie “Augmented Reality” (AR) steht man bei TomTom skeptisch gegenüber. Von kürzlich auf den Markt gebrachten AR-Navi der österreichischen Firma Wikitude oder des Schweizers Anbieters Route 66, die anstatt einer abstrakten Kartenansicht die Straße vor dem Auto abfilmen und virtuelle Symbole darüberlegen, zeigt man sich wenig beeindruckt. “Die Konsumenten finden Augmented Reality zwar interessant, brauchen sie aber nicht wirklich”, sagt Produkt-Managerin Josette Udo. Das Sicherheitsargument - der Fahrer behält die Augen auf der Straße - zähle nicht, da die Aufmerksamkeit wechsle. “Sprachangaben sind viel sicherer als Instruktionen auf einem Bildschirm oder selbst auf der Windschutzscheibe.”

Noch wird mehr als 80 Prozent des Umsatzes mit GPS-Geräten gemacht, dem wachsenden Geschäft mit Navigations-Apps für Smartphones steht TomTom jedochaufgeschlossen gegenüber. Nach der iPhone-Software wird 2011 eine App für Android-Handys veröffentlicht. Zudem drängt der niederländische Hersteller ins geschäft mit Einbau-Navis. So hat man etwa mit Renault einen Deal geschlossen, der TomTom-Navigation fix ins Amaturenbrett itnegriert. Zusätzliches Geschäft erwartet sich die Firma auch aus der Weiterverwertung von “HD Traffic”: Denn die sehr präzisen Verkehrsinformationen sind nicht nur für die Besitzer der dafür gerüsteten GPS-Geräte, sondern auch für Radiosender interessant.

Verstopfte Straßen Bei einer einstündigen Fahrt durch Amsterdam konnte der KURIER das neue TomTom-Gerät “GO LIVE 1000” (300 Euro, Karten für 45 europäische Länder) bereits testen. Wichtigste Funktion des 4,3-Zoll-Geräts ist “HD Traffic”: Im Zwei-Minuten-Takt holt sich das Navi Daten via Mobilfunk von TomTom-Servern und kann so stockenden Verkehr (gelbe Streckenabschnitte) oder Staus (rot) abschätzen. Dabei wird nicht die Länge des Staus angegeben, wie man es aus dem Radio kennt, sondern die dadurch entstehende Verzögerung errechnet. Das ist zunächst ungewohnt, macht aber Sinn. Denn so kann man den Zeitverlust mit der Alternativroute, die das GPS-Gerät vorschlägt, vergleichen.

Beim Autofahren im Ausland macht sich die integrierte Google-Suche nützlich, die Sehenswürdigkeiten wie das Anne-Frank-Museum in Sekundenschnelle aufstöbert. Für Adleraugen interessant ist die Funktion, Radarkameras markieren zu können - mit zwei Klicks kann man so andere TomTom-Live-Nutzer darauf aufmerksam machen. Noch verbesserungswürdig sind die Sprach-Funktionen des Navis: Sowohl Sprachsteuerung als auch Sprachausgabe (bei gekoppeltem Handy werden SMS vorgelesen) sind noch nicht sehr präzise.

Die “LIVE”-Dienste - also Datennutzung via integrierte SIM-Karte - können im ersten Jahr gratis gentutz werden. Danach kostet das Service 50 Euro/Monat, Roamingkosten in 33 europäischen Ländern sind damit gedeckt, was die sorgenfreie Nutzung in vielen beliebten Urlaubsländern erlaubt. In anderen Staaten funktioniert die Internetverbindung nicht.

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Jakob Steinschaden

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