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ÖBB-Strategiechef Reinhold

„Beamen stellt Mobilitäts-Systeme auf den Kopf"

Tom Reinhold hat viele alte Bücher gelesen. Von Jules Verne und anderen Autoren, die die Mobilität der Zukunft beschrieben haben. „Manches, was uns die Zukunft gebracht hat, hat keiner erwartet, manches ist nicht gekommen, wie etwa fliegende Autos oder fliegende Züge", so Reinhold. Er ist seit einigen Monaten Chefstratege bei den Österreichischen Bundesbahnen und war davor schon bei der Deutschen Bahn mit der Mobilität der Zukunft beschäftigt.

Beam me up Scotty
„Wie die Zukunft aussieht, hängt davon ab, wie weit wir nach vorne schauen", so Reinhold im futurezone-Interview. „Mittelfristig schauen wir fünf Jahre in die Zukunft, weil das eine typische Zeitspanne ist, in der Unternehmen Investitionen planen." Es mache aber auch Sinn, bis zu 20 Jahre in die Zukunft zu sehen, weil man davon ausgehen könne, dass es keine Trendbrüche geben wird. Dazwischen, 2025, werden in Österreich einige Infrastrukturprojekte fertig sein.

Die technische Entwicklung der Bahn kann der Stratege gut abschätzen, nur: „Wenn das Beamen käme, würde das die gesamte physische Mobilität umwandeln. Beamen wäre ein extremer Trendbruch und würde natürlich die Mobilitätssysteme auf den Kopf stellen.

Stabile Reisezeit
Freilich kann man auch generell in die Zukunft schauen, denn in 30 bis 50 Jahren passieren mitunter absurde Sachen, freilich auch technische Revolutionen." Aber die Grundfunktionalität der Bahn ist seit Bestehen im wesentlichen gleich geblieben. „Es gab Züge und da saßen Leute drinnen und die sind von A nach B gefahren. Die Züge waren pünktlich und auch benutzbar. Jetzt sind sie besser klimatisiert, komfortabler und schneller und das Service ist besser. Aber es war ein Zug und er fuhr auf Schienen."

„Es wird auch künftig ein Zug auf Schienen sein", so Reinhold. „Er wird nicht fliegen und nicht auf Magnettechnik basieren und auch in keinen Vakuum-Röhren fahren– das passiert alles nicht in den kommenden 30 Jahren." Im Nachsatz: „Ich glaube auch nicht an eine große Änderung der physischen Mobilität. Menschen wollen physisch mobil sein." Selbst wenn es 3D-Hologramme gäbe, würde sich die Mobilität der Menschen nicht reduzieren. Das würden viele Studien seit Jahrzehnten schon belegen. Die Reisezeit bleibt stabil. Fährt man weniger im Beruf, fährt man dafür mehr in der Freizeit und umgekehrt. Wird ein Verkehrsmittel beschleunigt, fährt man größere Distanzen, aber nicht weniger.

Die Bahn entwickelt sich weltweit in recht stabiler Form weiter, pro Jahr um zwei Prozent mehr Passagiere und – abhängig von der Wirtschaftslage – bis zu 7 Prozent plus beim Güterverkehr, aus dem aber – wie die Weltwirtschaftskrise gezeigt hat – gleich 15 Prozent minus werden können. Die Fahrzeuge leben 40, die Infrastruktur 100 Jahre. Reinhold: „In der Branche ändert sich nicht von heute auf morgen etwas."

Die bessere CO2-Bilanz
Das Ziel der Bahn ist aber vorgegeben – es sollen immer mehr Menschen vom Umstieg auf die Bahn überzeugt werden. Freilich wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Bahnfahren ökologischer ist und eine bessere CO2-Bilanz hat. Ein Pkw verursacht 10x, ein Lkw 22x so viel CO2. Die ÖBB sind stolz auf 3,4 Mio. Tonnen CO2-Einsparung pro Jahr. Selbst die Postbusse sind mit Bordcomputer ausgestattet, die dem Fahrer anzeigen, wie spritfahrend er unterwegs ist, und im eigenen Fuhrpark gibt es auch e-Fahrzeuge.

Projekt eMORAIL
Reinhold: „Der Strom, den wir als ÖBB brauchen, kommt zu fast 100 Prozent aus Wasserkraft, die Triebwägen erzeugen dank elektrischer Traktion zusätzlich Strom." Da man aber auch in der Zukunft nicht ohne Individualverkehr auskommt, arbeiten die ÖBB an Carsharing-Systemen wie etwa dem Projekt

- eine Mischung aus Carsharing, intermodaler Elektromobilität und Smartphone-App. Die Bahn soll aber dabei das zentrale Element sein.

Das Prinzip von eMORAIL: Pendler fahren mit dem Elektroauto zum nächsten Bahnhof, wo es einen eigens reservierten Parkplatz gibt. Sowohl dort als auch beim Pendler daheim befindet sich eine Ladestation. Der Strom wird teilweise in Photovoltaik-Anlagen erzeugt. Der Pendler steigt nun in den Zug um, der ihn in die Stadt bringt. Auf seinem Smartphone sieht er via App, welche Verkehrsmittel er in der Stadt nehmen soll. In der Zwischenzeit kann sein auf dem Bahnhof abgestelltes Auto von anderen genutzt werden.

„Wir arbeiten am einfacheren Online-Ticketkauf"
Doch neben den Verkehrssystemen an sich, haben die ÖBB andere Probleme zu lösen, die den ÖBB-Kunden sauer aufstoßen. Unter anderem das Ticket-System. Die Webseite erhielt erst Ende 2012 den „Frustikus", ein Preis, der für unbenutzbare Produkte wie Websites, Software und Hardware vergeben wird, die Konsumenten frustrieren. Bei 23 „Ermäßigungstarifen", aus denen der Kunde wählen kann, kein Wunder. „Unsere Tariflandschaft in Österreich ist kompliziert, die Preisstruktur eine Hürde und für den Kunden nicht immer nachvollziehbar", sagt Reinhold. „Wir denken selbstverständlich über eine Vereinfachung des Tarifsystems nach und arbeiten auch daran..

Auch die Vorteilkarte, die man bis dato physisch zugestellt bekommt, soll es in der Zukunft nicht nur gleich online geben, die ÖBB arbeiten zurzeit auch an der Vereinfachung der Vorteilskarten-Landschaft.

Dass das Ticket-System derzeit wenig intuitiv ist, weiß Reinhold. Es werde aber auch in Zukunft ein wenig komplex bleiben, weil es verschiedene Tarife für Frühbucher und Spontanreisende geben müsse.

Ticketautomat der Zukunft
Zusätzlich zu den Tarifen müsse die Bahn aber viele Parallelsysteme betreiben, „denn wir müssen 99,5 Prozent der Österreicher erreichen und nicht nur 70 Prozent." Neben dem „analogen" Verkaufsschalter, Ticket-Automaten, das Online-Ticketing via Web oder App, Print-at-Home-Lösungen, Handy-Bezahl-Systeme oder aber auch NFC. „Viele Vertriebskanäle bedeuten auch mehr Kosten." Das Joanneum Graz beschäftigt sich derzeit damit, den Ticket-Automaten der Zukunft zu entwickeln, und derzeit läuft bei den ÖBB ein NFC-Test, denn mittelfristig werde es auch NFC-Tickets geben.

Trend NFC

Die NFC-Infrastruktur sei bezahlbar. Check-In-Vorrichtungen, an die man das Handy mit dem integrierten NFC-Ticket hält, kosten maximal 50 Euro pro Terminal, weil die eigentliche Intelligenz im Handy liegt. „Aber wenn man das ganze Land mit solchen Check-In-Vorrichtungen ausstattet, und die Flächendeckung ist Voraussetzung, redet man doch von vielen tausend Installationen, dann sind wir im Millioneninvestment", so Reinhold. „Das ist teurer, als wenn im Handel ein paar Filialen mit NFC-Terminals ausgestattet werden müssen." Es müssten sich aber auch die anderen Partner für die Systeme entscheiden, da es keinen Sinn macht, wenn es nur das ÖBB-Ticket in NFC-Form gäbe. Auch der Nahverkehr, also die Verbünde, kommunale Unternehmen müssten sich daran beteiligen, wenn man über Mobilität der Zukunft nachdenkt.

Das Projekt SMILE
Denn eine Vision ist das Ticket von A nach B. Gemeinsam mit den Wiener Stadtwerken und den Wiener Linien führt ÖBB das Forschungsprojekt SMILE durch. Das Ziel ist die Entwicklung einer Plattform, die die verschiedensten Möglichkeiten für die Fahrt von A nach B aufzeigt. SMILE (Smart Mobility Info and Ticketing System Leading the Way for Effective E-Mobility Services) ist der Prototyp einer österreichweiten multimodalen Mobilitätsplattform, auf der der gesamte öffentliche wie auch individuelle Verkehr organisiert/gebucht werden kann. „Aber das ist ein großer Tanker, der natürlich sehr träge ist", so Reinhold.

Mobilfunk im Zug
Als zäh gestaltet sich auch das Thema Internet und Handy-Versorgung im Zug. In den vergangenen zwei Jahrzehnten, die GSM bereits alt ist, konnte keine zu 100% durchgängige Netzabdeckung im Zug erreicht werden, was viele Kunden als ärgerlich empfinden. „Wir arbeiten daran mit den Netzbetreibern gemeinsam eine Lösung zu finden.", so Reinhold. „Ich kenne das Problem aus Deutschland, es ist ein Thema bei den Kunden."

Bessere Information
Dass das Smartphone einmal rät, welchen Verkehrsweg bzw. welches Verkehrsmittel man von A nach B nehmen soll, hält Reinhold für sehr wahrscheinlich. „Wir arbeiten an proaktiven und reaktiven Systemen, aber wir wollen nicht nur eine Alternative sein, wenn Stau ist." Eines der Zukunfts-Projekte ist, wie noch mehr Information am schnellsten und besten die Kunden erreicht. „Beim Störungsmanagement und Verhalten im Störungsfall wollen wir besser werden. Der Kunde muss schnell via Mail, SMS oder über Social-Media-Kanäle vernünftige Infos erhalten, weil er sich drauf einstellen muss. Das passiert schon. Aber wir wollen besser werden" Es gäbe verschiedene Informationsbedürfnisse, der Gelegenheitskunde brauche andere Infos als der Pendler, der ständig fährt. Aber die Zahl der letzten Zielgruppe soll sich in den kommenden Jahren ohnehin vervielfachen.

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