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Viren

Bioterror-Gefahren auf dem Prüfstand

Wie realistisch sind bioterroristische Szenarien? Vor den Anschlägen vom 11. September 2001, die bekanntlich mit zivilen Flugzeugen bewerkstelligt worden waren, führte die US-Regierung zwischen 1998 und 2001 fast wöchentlich eine Antiterrorübung durch. Dabei gingen zwei Drittel der Übungen von bioterroristischen Szenarien aus.

Ein Roman als Vorlage für eine Kriegslüge
Indirekt schuld daran war der Biochemiker Craig Venter. Er hatte Bill Clinton den Roman „The Cobra Event“ von Richard Preston empfohlen. Preston lässt hier einen Einzelgänger in New York und Washington mit Biobomben- und -granaten Angst und Schrecken verbreiten. Die Waffen enthalten ein rekombinantes Virus namens „Cobra“, das Menschen zunächst wie Schnupfen befällt, dann aber rasch das Gehirn zersetzt und so nach wenigen Tagen den Tod herbeiführt. Entwickelt wurde das Virus von einem internationalen Biotechnologiekonzern, in dem unter anderem auch russische Wissenschaftler arbeiten, die früher am sowjetischen Biowaffenprogramm beteiligt waren. Der Konzern unterstützt unter anderem auch die Biowaffenproduktion in einem mobilen Labor im Irak. Die Vermutung, dass dieses Szenario Grundlage für die irakische Kriegslüge der Bush-Regierung war, liegt nahe.

Prestons Roman hat in der amerikanischen Innen- und Außenpolitik jedenfalls einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Nach der Lektüre erkundigte sich Bill Clinton, ob ein Terrorist mit Designerviren tatsächlich eine Epidemie auslösen könnte. Der damalige stellvertretende Verteidigungsminister, John Hamre, bestätigte nach der Lektüre, dass das Szenario plausibel sei. Darauf machte Clinton den Roman zur Pflichtlektüre für seine Berater und der Autor berichtete bald darauf als Experte vor mehreren Senatskomitees über die bioterroristische Bedrohung.

Zur Biowaffen „aus Versehen“
Nach seinem aufsehenerregenden DNA-Sequenzierungsprojekt hat sich Venter der synthetischen Biologie zugewandt. Sie ist eine extreme Variante der Gentechnik, da sie neues genetisches Material mit bestimmten Eigenschaften erschaffen will. Auch bestehende Gene sollen nachgebaut werden können. Im vergangenen Jahr verkündete Venter, zum ersten Mal einen Mikroorganismus vollständig hergestellt zu haben.

Zu den ersten Anwendungen der Synthetischen Biologie, an denen zurzeit weltweit gearbeitet wird, zählen Biokraftstoffe, Impfstoffe und Medikamente. Wissenschaftler warnen aber davor, dass neue Krankheitserreger entstehen sowie künstliche Mikroben entwickelt werden können, die Ökosysteme gefährden können.

Auch die Herstellung von Biowaffen ist theoretisch möglich. Dies kann unter Umständen eher nebenbei passieren, etwa wenn Forschung zweckentfremdet So arbeiten Nachwuchswissenschaftler im Rahmen des amerikanischen iGEM-Wettbewerbs mit „bioparts“, die ein toxisches Protein wie Botox kodieren, das nicht nur zur Faltenreduzierung verwendet kann, sondern im Sinne von „dual use“ als potentes Nervengift auch in andere Anwendungszusammenhänge gebracht werden kann. Zu fragwürdigen Leistungen von Forschungsgruppen zählen auch Synthetisierungsprozesse, die vernichtet oder verloren geglaubte Viren wie den Erreger der Spanischen Grippe aus dem Jahr 1918 reaktivieren.

Seit einigen Jahren befasst sich die „Forschungsgruppe Biowaffen und Rüstungskontrolle“ an der Universität Hamburg mit Forschungsprojekten, die möglicherweise die nötige ethische Sensibilität im Umgang mit gefährlichen Materialien missen lassen. Auf einer Tagung warf die Forschungsgruppe letztes Jahr die Frage auf, ob bestimmte Forschungsaktivitäten nicht bereits die Grenze dessen überschritten haben, die vom internationalen Übereinkommen zu B-Waffen definiert wird. Sie vermisst denn auch ein globales Verständnis über die Grenzen militärischer Biotechnologie-Forschung.

Unklarer Verbleib für Millionenbudget
Die US-Regierung pumpte in den letzten fünf Jahren bereits rund 430 Mio. Dollar in den neuen Forschungsbereich der Synthetischen Biologie. Großbritannien investierte 30 Mio. Euro öffentliche Forschungsmittel. Im 7. Rahmenforschungsprogramm förderte die Europäische Union Projekte mit 13,1 Mio. Euro. Im weltweiten Vergleich steht die Deutschland hinsichtlich der Anzahl der Firmen, die die Synthetisierung von Gen-Sequenzen kommerziell anbieten, auf dem zweiten Platz hinter den USA. Interessant ist in diesem Zusammenhang die die Antwort der deutschen Bundesregierung auf eine Anfrage der SPD-Bundesfraktion: Demnach gibt es zwar bereits zwei Lehrstühle sowie fünf weitere ausgeschriebene Lehrstühle, doch Projekte würden keine gefördert.

Diese Aussage stößt auf Erstaunen bei der Nichtregierungsorganisation Testbiotech, die sich der öffentlichen Debatte über Biotechnologien verschrieben hat. Sie sagt, dass entsprechende Projekte von Firmen von GeneArt und Entelechon sehr wohl mit öffentlichen Mitteln gefördert würden. Unter anderem würde es in den Projekten darum gehen, den „Stoffwechsel von Mikroorganismen für technische Zwecke grundlegend zu verändern“. Auch Firmen wie BASF und Universitäten würden mit „erheblichen Mitteln“ gefördert.

Alles eine Frage der Definition
Die Bundesregierung vermeidet eine klare Definition, was sie unter „Synthetischer Biologie“ versteht. Christoph Then von Testbiotech vermutet, dass sie offenbar die Neusynthese von großen Genomabschnitten und die Schaffung von Organismen mit stark verändertem Stoffwechsel nicht der Synthetischen Biologie zuordnet. Insofern bleibe unklar, so Then, nach welchen Kriterien und in welcher Höhe sie die Fördermittel vergibt

Spezielle gesetzliche Regelungen oder Kontrollen gibt es bislang europaweit noch nicht. Die deutsche Bundesregierung jedenfalls befürchtet keine neuen Risiken und beruft sich dabei auf eine zwei Jahre alte Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Auf die Frage, wie der Nachbau von gefährlichen Viren zu bewerten sei, meint die Regierung, die Risiken seien über das Gentechnikgesetz bzw. freiwillige Verpflichtungen bereits berücksichtigt

Unverzeihliche Wissenslücken
Testbiotech ist hingegen der Auffassung, dass die Risken von Organismen mit einem „erheblich“ veränderten Stoffwechsel nur „schwer einschätzbar“ seien. Das Gentechnikgesetz verbiete die Freisetzung von Organismen mit künstlichem Erbgut jedenfalls nicht. Das Forschungsministerium hatte im Januar gegenüber Testbiotech festgestellt, dass der Einsatz von Cyanobakterien mit synthetischem Erbgut die Umwelt nicht gefährden könne, da diese in der freien Natur nicht überleben könnten. Dabei blieb sie bislang eine Antwort schuldig, aufgrund welcher Untersuchungen sie zu dieser Meinung kommt.

Für Christoph Then von Testbiotech steht fest: „Die Technologie und ihr direktes Umfeld werden mit erheblichen Summen unterstützt, gleichzeitig wird die notwendige Transparenz verweigert.“ Es entstehe der Eindruck, dass das deutsche Bundesforschungsministerium eine offene Diskussion über die Förderziele der Regierung und die Risiken der Technologie vermeiden wolle. SPD-Forschungspolitiker Rene Röspel hingegen glaubt, dass „wir das Forschungsministerium bei diesem Thema wohl kalt erwischt haben“. So war es dem Ministerium selbst nach Fristverlängerung nicht möglich, umfängliche Informationen zu Stand und Perspektiven zu liefern. Eine eigene Position habe die Bundesregierung vermieden. Für Röspel ist das angesichts „der Relevanz des Themas und der Forschungsanstrengungen anderer Staaten unverzeihlich.“

Fragwürdige Entwicklungen in der Wissenschaftscommunity
Für die Hamburger Biowaffenkontrollexperten ist die gegenwärtige Ausrichtung der Forschung zum Schutz vor Bioterrorismus in eine Richtung, die eine hohe Expertise und teure Laborausstattung verlangt, überhaupt fragwürdig. In einer Untersuchung stellten sie fest, dass potenzielle Bioterroristen sich vermutlich eher mit Low-Tech-Aktivitäten beschäftigen würden. Dabei verweist sie auf den einzigen bis heute bekannt gewordenen Bioterroranschlag aus dem Jahr 1984 hin. Damals hatte die Rajneeshee-Sekte Salattheken in Oregon mit Salmonellen infiziert.

Sorge macht den Hamburger Forschern auch der jüngste Wandel der Wissenschaftscommunity, die unter dem Einfluss der Sicherheitsszene dazu neige, Informationen geheim zu halten. Das wiederum könne zu „fehlerhaften Bedrohungsszenarien“ und der Annahme „unangemessener Maßnahmen für die Kontrolle der Biosicherheit“ führen. Die Gegenmittel sind klar: Das Prinzip der „maximalen Offenlegung“, eine strenge nationale und internationale Aufsicht sowie ein Verhaltenscodes für Biosicherheitsprogramme. Bis dahin ist es aber, wie die Antwort der deutschen Bundesregierung zeigt, noch ein langer Weg.

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