Ada Yonath
Ada Yonath
© EPA/BRAIS LORENZO

Interview

"Den Ursprung des Lebens hätte ich gerne geklärt"

Die israelische Strukturbiologin Ada Yonath hat 2009 den Nobelpreis für Chemie erhalten. Ausgezeichnet wurden ihre Studien zur Struktur und Funktion des Ribosoms, jenes Konstrukts, das in allen lebenden Zellen für die Herstellung von Proteinen nach dem Bauplan der DNA beziehungsweise RNA verantwortlich ist.

Auf diesem Gebiet arbeitet sie weiterhin. Mit ihrer Forschungsgruppe am Weizmann-Institut in Rechowot, Israel, untersucht sie die Struktur von bakteriellen Ribosomen, um neue Ansätze für Antibiotika zu ermöglichen. Die Erforschung der Ribosome erlaubt zudem Rückschlüsse auf die Entstehung des Lebens auf der Erde, da die Strukturen sehr alt sind und sich im Laufe der Evolution kaum geändert haben. Vor Kurzem hat Ada Yonath auf Einladung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien einen Vortrag mit dem Titel "Thoughts about the Origin of Life" gehalten.

futurezone: Was war zuerst da? Ribosome oder Zellen?
Ada Yonath: Ribosome funktionieren in allen bekannten Zellen gleich. Die funktionellen Areale in den Ribosomen haben sich praktisch nicht verändert, sie sind in allen lebenden Zellen identisch. Es gibt zwei funktionelle Untereinheiten, eine liest (die RNA, Anm.) und eine macht die Verbindungen (für die Proteine, Anm.). Ribosome waren wahrscheinlich schon vor den Zellen da.

Wie sind die Ribosome entstanden?
Ein paar Moleküle haben sich zusammengefunden, um andere Moleküle zu machen, wie eine kleine Maschine. Wie das vor sich gegangen ist? Vielleicht weiß jemand die Antwort, aber mir hat sie noch keiner verraten.

Große funktionale Untereinheit eines prokaryotischen Ribosoms
Was hat sich seit ihrer nobelpreisgekrönten Arbeit mit Ribosomen auf dem Gebiet geändert?
Als ich begonnen haben, gab es vielleicht zehn bis zwölf Fachartikel pro Jahr. Heute sind es viel mehr. Wir haben damals die Struktur von Ribosomen in prokaryotischen (Zellen ohne Zellkern, etwa Bakterien und Archaeen, Anm.) Zellen entschlüsselt. Heute sind auch die Strukturen der Ribosome von Menschen, Hefe und andere Zellen gefunden, das haben andere Forscher erledigt. Wir haben unter anderem die Ribosomstruktur eines eukaryotischen (Zellen mit Zellkern, etwa in allen mehrzelligen Pflanzen und Tieren, Anm.) Parasiten entschlüsselt.

Gibt es wirklich keine Unterschiede zwischen den Ribosomen von Menschen und Bakterien?
Es gibt minimale Unterschiede. Der wichtigste ist die Größe: Menschliche Ribosome sind etwa doppelt so groß wie die in Bakterien.

Kann man die Ribosome zwischen Zellen austauschen?
Das geht bedingt. Der Österreicher Norbert Polacek, der in Bern forscht, hat auf diesem Gebiet Versuche gemacht.

Was ist die wichtigste praktische Anwendung?
Ungefähr die Hälfte der verfügbaren Antibiotika stoppt Bakterien, indem deren Ribosome blockiert werden. Durch das Finden neuer Andockstellen für Medikamente an den Ribosomen können wir neue Antibiotika finden. Daran arbeite ich derzeit.

Wurden auf dieser Basis schon neue Antibiotika gefunden?
Bislang noch nicht. Es gab zwar in der Vergangenheit Interesse an den strukturellen Parametern der Ribosome, aber wir waren noch nicht so weit.

Was passiert derzeit?
Wir suchen nach neuen Bindestellen an den Ribosomen von Pathogenen (Krankheitserregern, Anm.), die neue Antibiotika ermöglichen könnten. Heutige Medikamente nutzen meist die grundlegenden funktionellen Andockstellen. Die meisten bekannten Antibiotika werden in der Natur von Bakterien gegen andere Bakterien eingesetzt. Wir suchen nach neuen Andockstellen, um komplett neue Antibiotika zu entwickeln.

Könnte damit das Problem der zunehmenden Resistenzen gelöst werden?
Bakterien werden immer einen Weg finden, Resistenzen zu entwickeln. Aber wenn die neuen Bindestellen weit weg von denen sind, die die Bakterien kennen werden, dauert es länger, bis sich eine Resistenz entwickelt.

Gibt es schon Ergebnisse?
Wir haben bereits über 15 neue Bindestellen gefunden. Wir betreiben aber akademische Forschung. Jetzt müsste eine Firma sich ansehen, welche pharmazeutisch verwertet werden können. Aus unserer Sicht sind alle attraktiv.

Für welche Pathogene wurden Bindestellen gefunden?
Wir haben schon einige Kandidaten gefunden, die spezifisch für ein Pathogen sind. Eines, das ich nennen kann, ist etwa Staphylococcus aureus. Für dieses Bakterium haben wir vor einem Jahr eine spezifische Bindestelle publiziert. Mittlerweile haben wir schon mehr gefunden. Die meisten Bindestellen sind aber nicht spezifisch für ein Bakterium, sondern binden an alle Bakterienribosome - glücklicherweise aber nicht an menschliche Ribosome.

Gibt es schon Kontakte zur Pharmaindustrie?
Wir sind schon seit einigen Jahren mit der Firma Nabriva aus Österreich in Kontakt. Die haben auch schon Fachartikel veröffentlicht.

Ist die Zahl der Bindestellen an einem Ribosom begrenzt?
Nein. Das ist, wie wenn ich sie am Arm oder am Ohr berühre. Es gibt immer weitere Möglichkeiten für eine Kontaktstelle. Ribosomen haben zudem eine verhältnismäßig große Oberfläche.

Wann könnten neue Antibiotika auf den Markt kommen?
Das weiß ich nicht. Es wird aber nicht morgen sein und auch nicht nächste Woche.

Was sind die wissenschaftlichen Fragen, auf die Sie gerne eine Antwort hätten?
Neben neuen Bindestellen auf Ribosomen hätte ich gerne den Ursprung des Lebens geklärt.

Ada Yonath ist „Professorin für Strukturbiologie“ und Direktorin des Helen and Milton A. Kimmelman Center for Biomolecular Structure and Assembly am Weizmann Institute of Science im israelischen Rehovot. Für ihre Forschungen zu Ribosomen, die wichtige Erkenntnisse zu den Wirkmechanismen von Antibiotika lieferten, erhielt sie im Jahre 2009 gemeinsam mit den Biologen Venkatraman Ramakrishnan und Thomas A. Steitz den Nobelpreis für Chemie.

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Markus Keßler

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