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Rüschlikon

IBM betreibt Nanoforschung unter Schweizer Erde

Die Schweizer Stadt Zürich bietet ein eindrucksvolles Panorama, das ebenso gut einem Postkarten-Motiv entsprungen sein könnte. Doch der ländliche Eindruck täuscht, die größte Stadt der Schweiz hat nicht ohne Grund den Status einer Weltstadt. Zürich ist eines der Finanzzentren Europas und gilt als eine der lebenswertesten Städte der Welt. Dennoch würde kaum jemand ahnen, dass sich nur unweit der Stadt eines der renommiertesten Forschungslabore Europas findet. Das IBM Forschungslabor am Rand der 6000 Einwohner-Gemeinde Rüschlikon kann insgesamt vier Nobelpreisträger vorweisen und ist eines der führenden Institute auf dem Bereich der Nanoforschung.

Zwei Nobelpreise, teures Leben
Dass sich der IT-Konzern ausgerechnet hier niedergelassen hat, überrascht zunächst. So wird Zürich nicht nur als einer der lebenswertesten, sondern auch als teuerste Stadt der Welt bezeichnet. Eine Ein-Zimmer-Wohnung mit 30 m² kostet  rund 900 Euro. Auch die Nachbargemeinde Rüschlikon ist nicht gerade günstig. Dennoch sei der Standort für IBM optimal, wie Erich Ruetsche, Manager des Bereichs Business Development and Relations, im Gespräch mit der futurezone erklärt. "Man muss dorthin gehen, wo die Märkte und die besten Leute sind." Diese holt sich IBM durch Kooperationen mit den nahe gelegenen Technischen Hochschulen in Lausanne und Zürich. Aber auch zahlreiche andere Hochschulen in ganz Europa beteiligen sich am Austausch mit dem IBM-Forschungslabor. Derzeit finden sich Forscher aus 45 verschiedenen Nationen in Rüschlikon.

Das Forschungslabor ist vor allem für die Entwicklung des Rastertunnelmikroskops bekannt, mit dem Oberflächen in atomarer Auflösung betrachtet und analaysiert werden können. Diese Entwicklung ist eines der Fundamente der Nanotechnologie, die heute das Hauptforschungsgebiet des Labors ist. Um die Entwicklung von Gerd Bining und Heinrich Rohrer zu würdigen, wurde das 2011 eröffnete Nanotechnologie-Zentrum nach den beiden Nobelpreisträgern benannt.

Noise-Free-Labs: Ruhige Forschung
Das Bining and Rohrer Nanotechnology Center ist auch das Herzstück des Forschungslabors. Von außen ist kaum zu erahnen, was sich alles hinter der Fassade verbirgt. Die wichtigsten Räumlichkeiten befinden sich unter der Erde. Die sogenannten "Noise-Free Labs", in denen hochkomplexe Experimente ohne etwaige Störquellen durchgeführt werden können, sind weltweit einzigartig. So schwankt die Temperatur im Durchschnitt lediglich um 0,1 Grad Celsius. Der akustische Lärmpegel liegt stets unter 30 dB, wodurch auch Vibrationen vermieden werden. Diese liegen ebenfalls stets unter dem Grenzwert von 500 Nanometer pro Sekunde.

Die Zahlen sind umso beeindruckender, da die Autobahn nur 150 Meter sowie ein stark frequentierter Bahntunnel knapp 175 Meter vom Gebäude entfernt sind. Diese erzeugen laufend Schwingungen, die zwar für den Menschen nicht spürbar, bei Experimenten im Bereich der Nanotechnologie jedoch kritisch sind. Um diese Schwingungen kompensieren zu können, wurden die Experimentierflächen luftgefedert auf bis zu 68 Tonnen schweren Betonsockeln befestigt.

Eine weitere Störquelle bestand durch elektromagnetische Felder, die bereits beim Betrieb von elektrischen Geräten entstehen und das Meßergebnis verfälschen können. Daher wurden alle elektrischen Störquellen in einen eigenen Raum ausgelagert und der Experimentierraum mit Mu-Metall verkleidet. Damit wurden alle fünf möglichen Störgrößen ausgeschaltet.

Erste Früchte
Üblicherweise wird nur versucht, eine bestimmte Störgröße zu eliminieren, eine Installation wie in Rüschlikon ist daher äußerst kostspielig und sehr selten im Einsatz. Insgesamt stehen den Forschern sechs Räume mit einer Größe von 20 bis 48 m² für Experimente zur Verfügung, die Kapazitäten werden derzeit mit der ETH Zürich geteilt. Die Hochschule hat einen Teil der Kosten von 90 Millionen Schweizer Franken (rund 72,3 Millionen Euro) übernommen und sich damit das Recht auf die Nutzung der Einrichtung für zumindest zehn Jahre erkauft.

Die Früchte der Arbeit erntete IBM nun unter anderem im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit dem Chemieunternehmen Dow Corning. Gemeinsam entwickelte man einen neuartigen Polymertyp aus Hochleistungs-Silikon. Dieser kann zur Herstellung von flexiblen Wellenleitern auf Leiterplatten eingesetzt werden, die Licht anstatt elektrischer Signale zur Übertragung von Daten nutzen.  Damit will man die Entwicklung von Quantencomputern weiter vorantreiben, die Dr. Roland Germann, Leiter des IBM Nanocenters in Rüschlikon, als die Zukunft des Computers erachtet. Seiner Schätzung zufolge wird dieser allerdings frühestens zehn bis 18 Jahren tatsächlich zum Thema. So sei 3D-Chip-Stacking für ihn die nächste Stufe der Entwicklung und werde wohl in sieben bis acht Jahren Marktreife erlangen. Bis dahin werde noch sehr viel CMOS-Forschung in Rüschlikon betrieben, auch wenn es bis dahin einen Durchbruch bei Quantencomputern geben würde, bemerkt Germann mit einem Lächeln.

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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