© Janine Seitz

Interview

Rückzug aus dem Netz?

Musiker Prince vertreibt sein neues Album bewusst nicht im Internet, auf eine offizielle Website verzichtet er. Cartoonist James Sturm beschreibt im Online-Magazine Slate seinen Ausstieg aus dem Netz. Ist der Rückzug aus dem Netz ein Zukunftstrend? Über das Verschwinden des Internet ein Gespräch mit Trendforscherin Janine Seitz, die für die Studie „Die Netzgesellschaft“ digitale Schlüsseltrends untersucht hat.

futurezone: Wie gehen die Nutzer mit der Informationsflut im Internet um?
Janine Seitz: Die meisten Nutzer suchen und verlassen sich auf die Informationsquellen, die sie schon aus der analogen Welt kennen. Ein überschaubares, bekanntes Informationsangebot dämmt die Informationsflut somit von vornherein ein.

Wie bewerten Sie den totalen Rückzug?
Dieses Offline-Gehen hat nicht selten einen experimentellen Duktus, ja schon fast Selbsterfahrungscharakter: Wie komme ich ohne Facebook klar? Erreiche ich Freunde und berufliche Kontakte auch ohne E-Mail und Chat? Der temporäre Ausstieg aus dem Digitalen kann dazu beitragen, eine eigene Strategie zu entwickeln, die einen produktiven Umgang mit der digitalen Welt ermöglicht.

Ist das nicht ein Zeichen der Überforderung?
Wir sind erfinderisch genug, um die Informationsflut in den Griff zu bekommen. Auch wenn Speicherleistungen immer besser werden und wir von überall auf der Welt Internetzugriff haben, heißt das nicht, dass die Komplexität immer weiter steigen wird.

Was heißt das konkret?
Ein gutes Beispiel ist die Entwicklung von Mobiltelefonen: sie wurden nach und nach immer komplexer, aber das iPhone mit seiner intuitiven Bedienoberfläche setzte sich durch. Immer mehr technische Services und Produkte, seien es Kollaborationsplattformen in Unternehmen, um von der E-Mail(-Flut) wegzukommen, Reputationsmanagement-Services, um die Online-Identität wieder aufzupolieren oder ein individualisiertes Zeitungsangebot, werden entwickelt und genutzt, um dem Information Overload vorzubeugen.

Ist der Rückzug also lediglich eine kurzfristige Anpassungsreaktion?
Die Reaktion, komplett aus dem Netz auszusteigen, wird sich nicht durchsetzen können, da das Internet bereits alle Bereiche unseres Lebens durchdringt. Die Strategien, die zur Bewältigung der Informationsflut entwickelt werden, sind ko-evolutionäre, kulturelle Adaptionsprozesse des Menschen, die mit der technischen Entwicklung einhergehen. Der Mensch wird in Zukunft lernen, die Informationsfülle nicht (mehr) als Bedrohung zu sehen, sondern als Bereicherung. Nie waren wir besser informiert, nie konnten wir aus mehr Quellen schöpfen. So paradox es klingen mag: Das Internet wird in Zukunft verschwinden, weil es überall ist.

Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Nutzer ein, die angesichts der gefühlten Informationsflut überfordert sind? Handelt es sich um eine Minderheit?
Um eine Minderheit handelt es sich mit Sicherheit unter den jüngeren Internetnutzern, bei den restlichen Nutzern sieht es anders aus: Laut einer aktuellen BITKOM-Analyse fühlt sich jeder dritte Internetnutzer sogar häufig mit der Informationsflut überfordert.

Es ist also eine Frage des Alters?
Momentan zeichnet sich ein großes Gefälle zwischen den verschiedenen Altersklassen ab. Zwar steigt die Anzahl der Silver Surfer stetig, doch sind auch gerade die Menschen über 50 Jahre diejenigen, die sich von der Fülle der Informationen überfordert fühlen.

Wie gehen die Jüngeren mit dem Netz um?
Die jüngere Generation, die so genannten Digital Natives oder Facebook-Generation, die mit dem Internet groß geworden ist, bewegt sich mit einer faszinierenden Leichtigkeit zwischen TV, Chat, Telefon und SMS. Sie probieren sich aus, testen, was alles möglich ist im Netz, haben keine Angst, auch mal zu scheitern oder die Kontrolle zu verlieren. Die Parallelnutzung verschiedener Medien ist für sie integraler Bestandteil der Aneignung von Welt.

Wie sehen die Strategien aus, die angesichts der Informationsflut entwickelt werden?
Mit der Informationsfülle sinnvoll, effektiv und produktiv umzugehen, zählt zu einen der großen Herausforderungen der nächsten Jahre. Das gilt für den einzelnen Menschen, aber auch für Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht in einem Zustand der Jederzeit-Erreichbarkeit halten können. Momentan bestehen die Strategien des einzelnen noch darin, die Informationen bewusst zu selektieren und auf ihre Bedeutung und Relevanz hin einzuordnen. Das heißt auch, bestimmte Daten als unwichtigen Datenmüll links liegen zu lassen und bewusst auf das Internet in bestimmten Situationen zu verzichten.

Wie viele Menschen verweigern sich dem Netz ganz?
Die Zahl derer, die sich bewusst aus dem Internet zurückziehen, ist verschwindend gering und wird auch in Zukunft nicht ansteigen.

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Christiane Schulzki-Haddouti

Christiane Schulzki-Haddouti berichtet seit 1996 als freie IT- und Medienjournalistin über das Leben in der Informationsgesellschaft. Wie digitale Bürgerrechte bewahrt werden können, ist ihr Hauptthema. Die europäische Perspektive ist ihr wichtig – da alle wichtigen Entscheidungen in Sachen Internet in Brüssel fallen.

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