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Hygiene

Technischer Fortschritt erreicht stilles Örtchen

In den meisten Privathaushalten finden sich eher konservative Wasserklosetts. Zumindest von der technischen Warte aus betrachtet, sind die Toiletten in den Transportmitteln des modernen Massenverkehrs da schon interessanter, auch wenn sie vom Design her meist eher altbacken wirken. Die Klos in modernen Flugzeugen und Zügen funktionieren, wie ihre Pendants im Weltall, mit Vakuum-Absaugvorrichtungen.

Auf dem österreichischen Schienennetz werden gerade alte Klos durch moderne Anlagen ersetzt. "In den ÖBB-Zügen befinden sich 3.253 WCs, 900 davon sind noch Fallrohrtoiletten. Durch die Beschaffung von neuen Zügen werden diese Plumpsklos kontinuierlich ausgetauscht", erklärt Sarah Nettel von den ÖBB auf Anfrage der futurezone.

Zu Land
Die neu installierten Anlagen sind geschlossene Systeme, die auf Vakua setzen, um die Ausscheidungen samt einer geringen Menge Spülwasser in Behälter zu saugen, die dann regelmäßig geleert werden. Dadurch werden die Gleise nicht länger durch Exkremente beschmutzt, was vor allem für die Anrainer einen großen Fortschritt bedeutet. In Deutschland sind die alten Fallrohrsysteme nach einer Klage von Bewohnern bahnbrückennaher Grundstücke deshalb sogar verboten worden.

Die Vakuum-Toilettenanlagen bestehen aus 250 Einzelteilen und kosten bis zu 5.000 Euro pro Stück. Die komplexe Technik, die jedoch schon seit Jahrzehnten erfolgreich im Einsatz ist, wird bei den ÖBB bis zu sechs Mal pro Jahr gewartet, wodurch die Ausfälle in den vergangenen sechs Jahren um 30 Prozent reduziert werden konnten. Wenn es trotzdem zu Problemen kommt, ist der Grund meist in einer missbräuchlichen Nutzung der Anlage zu suchen.

"Wir finden allerlei Gegenstände in den Leitungen, die dort definitiv nicht hingehören. Über eine ganze Jeans, die wir in einer Anlage gefunden haben, wundre ich mich bis heute" so ein ÖBB-Techniker. Die Technologie der Zug-Toiletten wird nach wie vor verbessert. "Die ÖBB sind die erste Eisenbahn in Europa, die großflächig mit der Environ-Clean-Technik arbeiten. Dabei werden dem Spülwasser geringe Mengen Entkalkungsmittel und Duftstoffe hinzugefügt und somit die Einsatzdauer des WCs erhöht", heißt es seitens der ÖBB. Das neue System, das bereits in der Hälfte der Railjet-Flotte in Österreich zur Anwendung kommt, benötigt pro Spülvorgang nur noch 0,5 Liter Wasser.

Zu All
Nach demselben Prinzip wie moderne Zug-Toiletten funktionieren auch die Lokusse an Bord von Schiffen und Flugzeugen. Auch hier werden die Ausscheidungen mittels Unterdruck in einen mitgeführten Behälter verfrachtet. "Das Vakuumtoilettensystem funktioniert während des Fluges durch den Druckunterschied zwischen Flugzeugkabine und Außenwelt. Der Druckunterschied beträgt ca. 8 psi (0,55 bar)", erklärt Wilhelm Baldia von den Austrian Airlines. In geringen Flughöhen und am Boden gewährleistet eine zusätzliche Vakuumpumpe den ordnungsgemäßen Betrieb der Anlagen.

Im Orbit
Noch etwas aufwendiger sind die Vakuumtoiletten, die dafür konstruiert sind, dass Menschen ihr Geschäft in der Schwerelosigkeit verrichten können. "Toiletten im Weltraum funktionieren im Prinzip wie Staubsauger. Urin und Feststoffe werden mit Unterdruck in getrennte Behälter gesaugt. Der Harn wird anschließend wiederaufbereitet. Aus einem Liter Urin können 0,7 Liter Wasser zurückgewonnen werden. Von der Qualität her wäre das Ergebnis sogar trinkbar, aus psychologischen Gründen wird darauf aber verzichtet. Das entstehende Wasser wird durch Elektrolyse zur Erzeugung von Sauerstoff und Wasserstoff verwendet", berichtet der österreichische Ex-Astronaut Franz Viehböck. Die Entsorgung der Abfälle hingegen ist im All mit relativ wenig Aufwand verbunden. "Die festen Ausscheidungen landen in Plastiksackerln und schließlich in Containern, die auf ankommende Versorgungsraketen verladen werden und mit diesen beim Wiedereintritt verglühen", so Viehböck.

Das Benützen von Toiletten in der Schwerelosigkeit bedarf einiger Übung. Man muss sich nämlich pausenlos an die Schüssel drücken. Ein Geschirr ist aber nicht notwendig. "Das Urinieren gestaltet sich einfacher, weil es schwebend erledigt werden kann. Das Geschäft wird in einen speziellen Trichter mit Absaugvorrichtung verrichtet", sagt Viehböck. Einen tollen Ausblick hat man von den Porzellan-Thronen im Orbit üblicherweise nicht. "Zumindest auf der MIR war das nicht der Fall. Die Toilette befand sich mit der Dusche zusammen in einem fensterlosen Kämmerlein", erzählt der ehemalige Austronaut.

Zu Hause
In Privathaushalten ist, zumindest in Europa, die altmodische Wassertoilette immer noch der Gold-Standard. In Japan dagegen werden stille Örtchen weitaus futuristischer konzipiert. Sogenannte Washlets oder Dusch-WCs stellen dort rund 60 Prozent der Toilette. Diese Hightech-Lokusse bieten neben den standardmäßigen Bidet-Funktionen mittlerweile auch zusätzliche Attraktionen wie Geruchsfilter, Selbstreinigungsfunktionen, Spülgeräusche vom Band für die Tarnung unangenehmer Töne, Sitzheizung und die Bedienung per Smartphone.

Europäer sind mit den modernen Anlagen zwar noch oft überfordert, was Berichten von Japan-Touristen zufolge durchaus schon zu unangenehmen, textildurchnässenden Unfällen mit den Bidet-Düsen solcher Klosetten geführt haben soll, die Verbreitung steigt aber auch in Europa. Zwar gibt es Schätzungen aus der Industrie zufolge im deutschsprachigen Raum lediglich 50.000 bis 60.000 Washlets, aber die Verbreitung steigt von Jahr zu Jahr. "Wir schätzen das Potential in Europa für Dusch-WCs als sehr vielversprechend ein. Seit ein paar Jahren wachsen wir jedes Jahr mit rund 20 Prozent und peilen diese Grössenordnung auch in Zukunft an", sagt Roman Sidler von Geberit, dem europäischen Marktführer im Hightech-Toiletten-Segment.

Zu unbekannt
Am weitesten verbreitet sind die Dusch-WCs in Europa in der Schweiz, wo das WC mit integriertem Bidet auch erfunden worden ist. "Die Marktdurchdringung liegt gemäss unseren Schätzungen in der Schweiz bei 3-5 Prozent. In allen andern europäischen Ländern liegt die Durchdringung nahe bei 1 Prozent oder darunter" so Sidler. Bei den Dusch-WCs gibt es zweierlei Produkte: Aufsätze für bestehende Toiletten und Komplettsysteme. Die Preise reichen bei Geberit von rund 800 Euro für einen einfachen Aufsatz bis zu 3.500 Euro für Spitzenmodelle, die neben der Bidet-Funktion auch über eine integrierte Lufttrocknung und eine Fernbedienung verfügen.

Ausgefallenere Technologien bietet in Europa Toto, der Marktführer für Washlets in Japan, an. "Wir bieten in Europa dieselben Funktionen an wie in Japan. Vom beheizbaren Sitz bis zu Geruchsfiltern. Aufsätze gibt es ab 1.000 Euro, unser Spitzenmodell, inklusive Selbstreinigungssystem, kostet rund 10.000 Euro", sagt Anja Giersiepen von Toto Europe. Die Steuerung der Geräte erfolgt über eine Fernbedienung oder wahlweise mittels Smartphone. Das Design und die Namen der Toiletten werden für den europäischen Markt angepasst. "In Europa muss alles etwas stylischer sein. Japaner haben beispielsweise keine Probleme mit sichtbaren Kabeln. Das geht in Europa nicht", erklärt Giersiepen.

Zukunft
Zu den besten Kunden gehören bei Toto Hotels der gehobenen Kategorie, die ihren internationalen Gästen denselben Komfort wie in der Heimat bieten wollen. "Hotelgäste aus dem arabischen und vor allem asiatischen Raum fragen die Toiletten teilweise gezielt nach. Wir glauben, dass sich die Washlets auf längere Sicht auch in europäischen Privathaushalten etablieren werden. In Japan hat es auch länger gedauert, bis sich die Geräte durchgesetzt haben", erklärt Giersiepen. Derzeit mangelt es in Europa allerdings noch häufig an grundlegenden Dingen wie den entsprechenden Stromanschlüssen in unmittelbarer Toilettennähe.

An technologischen Fortschritten mangelt es jedoch auch bei den stationären Toiletten nicht. WCs, die die Ausscheidungen zum Beispiel medizinisch auf Auffälligkeiten prüfen, sind derzeit noch eine Neuerung, die sich auch in Japan noch nicht durchgesetzt hat. Daneben werden zusehends auch moderne Vakuum-Toiletten in öffentlichen Gebäuden installiert, vor allem wegen des Wassereinsparungspotenzials von bis zu 85 Prozent. Die technologische Aufbruchsstimmung scheint also doch langsam am stillen Örtchen anzukommen.

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Markus Keßler

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