Touch: Unser Verhältnis zur Technik wird intimer
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Anfang Juni wurden bei der Konferenz Texture Matters in Wien das Verhältnis zwischen Sehen und Tasten und Zusammenhänge zwischen den auf Smartphones und Tablets allgegenwärtigen Touchscreens und dem Tastsinn erörtert. Zu Gast war unter anderem der US-Medienwissenschaftler David Parisi, der an einer Archäologie taktiler und haptischer Interfaces arbeitet. Die futurezone hat mit Parisi über Vibrationen am Smartphone und in Videospielen, taktile Empfindungen in der Mediennnuztung, das "Phantom Vibration Syndrom" und die Zurückhaltung der Pornoindustrie bei haptischen Interfaces gesprochen.
David Parisi:Es gibt haptischen Empfindungen auch bei Smartphones. Nehmen Sie etwa das Vibrieren, wenn das Telefon läutet. Auch in Videospielen kommt Vibration zum Einsatz. Controller mit Vibrationseffekten gibt es seit 1997. Im experimentellen Bereich gibt es etwa auch Westen, die vibrieren, wenn Sie getroffen wurden oder Helme, die sie wissen lassen, wenn Sie in den Kopf geschossen wurden. Das hat sich bisher aber nicht wirklich durchgesetzt.In den nächsten fünf Jahren werden wir aber viele Spielarten von taktilen Interfaces sehen, bei denen Vibrationen oder Elektrizität Rezeptoren auf und in der Haut ansprechen.
Zum Beispiel?
Wir werden unterschiedliche Texturen fühlen können, auf eine Art, die heute noch nicht möglich ist. Maschinen werden zunehmend über taktile Kanläle mit uns kommunizieren. Disney experimentiert etwa einem Gerät, das sie "taktilen Pinsel" nennen. Dabei werden Sensoren am Rücken angebracht, die mit Hilfe von Vibrationen Bilder auf ihren Rücken "malen".
Wie ändern solche haptische Interfaces unser Verhältnis zur Technik?
Es gibt eine Schule des Denkens, die sagt, dass solche Interfaces dieses Verhältnis intimer werden lassen. Dass sie ein Versuch sind, uns Technik weniger entfremdet erscheinen zu lassen. Es soll eine Bindung zwischen uns und den Geräten entstehen. Nehmen wir Smartphones. Die Leute mögen es, diese Gadgets in den Händen zu halten, sie zu streicheln und zu berühren. Es gib auch Leute, die ihre Smartphones mit ins Bett nehmen.
Gibt es auch andere Interpretationen?
Man könnte auch sagen, dass das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine und zwischen Menschen und Menschen kommerzialisiert wird. Dieses taktile Verhältnis ist letztlich auch eine Beziehung zwischen Ihnen und der Marke, der Corporate Identity. Wenn man etwa sagt: "Ich mag Apple, weil sich die Technik so gut in meiner Hand anfühlt."
Sie verorten den Beginn haptischer Interfaces mit der Mathematisierung und Vermessung des Tastsinns im 19. Jahrhundert. Was war der Impetus für solche Forschungen?
Man wollte die Mechanismen verstehen, mit denen mentale Eindrücke entstehen. Zunächst hat man sich dabei auf visuelle Reize beschränkt. Später wurde auch versucht zu verstehen, wie wir Unterschiede zwischen verschiedenen Dingen, die wir berühren, wahrnehmen. Wie wir auf Stimulanzen auf den unterschiedlichsten Stellen unserer Haut reagieren. Das sollte dann auch produktiv genutzt werden.
Welche Anwendungen resultierten daraus?
In den fünfziger Jahren gab es etwa ein System, das Vibratese genannte wurde. Damit wurden kodierte Botschaften über Vibratoren versendet, die über die Haut verteilt waren. In den 50er und 60er Jahren gabe es auch viele Experimente mit robotischen Apparaten, die Maschinen, erlauben sollten Berührungen zu fühlen.
Das Berechnen von Berührungen ist sehr komplex. Warum?
Touch ist ein sehr vielfältiger Sinn. Für das Sehen, Hören, Schmecken und Riechen haben wir jeweils ein Sinnesorgan. Touch kann überall stattfinden, Berührungen verteilen sich nicht nur auf, sondern auch in der Haut. Es ist sehr kompliziert das zu replizieren.
Haptische Interfaces sollten eigentlich auch für die Porno-Industrie interessant sein, die ja bei vielen technischen Entwicklungen vorne mit dabei war. Warum hört man diesbezüglich sehr wenig?
Es gab in den späten 90er Jahren eine Zeit, als die Erwachsenenunterhaltung viel Geld in Dinge, wie den Cybersex-Anzug steckte. Sie sind eine Zeit lang davon ausgegangen, dass das die Zukunft ist. Aber das Audiovisuelle war weiterhin dominant. Man konnte sich Pornos herunterladen und sie ohne die Intervention einer Maschine konsumieren. Heute gibt es Gadgets wie RealTouch und ähnliche Geräte, die auch ein haptisches Vergnügen versprechen. Soweit ich weiß, haben sie aber nur einen sehr bescheidenen kommerziellen Erfolg. Das dürfte daran liegen, dass solche Geräte rund 300 Dollar kosten und auch für speziell kodierte Videos weitere Kosten anfallen. Das ist nicht billig und stellt wohl für viele potenzielle Konsumenten eine Hürde dar.
Mit Vibrationen in Smartphones und anderen Gadgets gehen auch psychophysiologische Symptome, wie etwa das "Phantom Vibration Syndrom", einher. Was ist davon zu halten?
Von einem "Phantom Vibration Syndrom" sprechen Neurowissenschaftler dann, wenn wir glauben, unser Telefon würde vibrieren, obwohl das nicht der Fall ist. Wir gehen dann davon aus, dass etwas mit uns nicht stimmt. Wir neigen dazu unser Verhältnis zur Technik zu pathologisieren. Wir wollen, dass die Technik etwas ist, über das wir uns Sorgen machen müssen. Deshalb verwenden wir diese medizinische Spache. Ich halte es für ein kulturelles Syndrom, eine Art moralische Panik rund um Technik.
Bei Smartphones und bei Videospielen kommen seit einiger Zeit auch Sprachsteuerung, etwa bei Siri, oder Bewegungssteuerung, bei der Kinect, zum Einsatz. Werden sich solche Systeme durchsetzen?
Ich glaube, sie werden überschätzt. Es gibt bereits viele Sprachsteuerungssytseme, die auch ganz gut sind, aber die Leute zögern noch, sie zu nutzen. Sie fühlen sich damit nicht wohl. Dasselbe gilt für Bewegungssteuerung. Die Fernbedienung, mit ihren zahlreichen Knöpfen, ist ein sehr gutes Interface. Knöpfe, Taktilität und Materialität sind viel langlebiger als manche Leute vorhersagen.
David Parisi lehrt Neue Medien am College of Charleston im US-Bundesstaat South Carolina. 2015 erscheint sein Buch „Touch Machines: An Archaeology of Haptic Interfacing“, das die Grundlagen berührungsbasierter Computerinterfaces beleuchtet.
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