© Katharina Nickel

Reportage

Unterwegs auf virtuellen Schienen: Im autonomen Bus Olli

Olli fährt ohne Lenkrad. Etwas holprig geht es über die Pflastersteine, die ihn ganz schön ins Ruckeln bringen. Aber schließlich fährt er geschmeidig bis zu einem Stoppschild, bremst ab und hält. Einen Schulterblick kann er nicht, der tote Winkel liegt nicht in seinem Blickfeld. Wenn man überhaupt von Blickfeld reden kann. Schließlich ist Olli ein selbstfahrender Bus.

Genauer gesagt ein selbstfahrender, teilweise 3D-gedruckter Kleinbus. Aus dem 3-D-Drucker kommen nicht nur Bauteile wie Radkasten, Trittschwellen, Sitzbank und Innenverkleidung, sondern auch die Werkzeuge, um den E-Bus zusammenzubauen.

Olli muss noch lernen

Am Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) in Berlin wird er derzeit erprobt. Seit Dezember 2016 befördert er nicht nur Mitarbeiter über den EUREF-Campus in Schöneberg, sondern auch alle, die Interesse an einer Tour in einem der ersten autonomen Busse haben. So richtig intelligent ist er aber noch nicht.

Bis zu zwölf Fahrgäste kann Olli pro Fahrt transportieren, von denen etwa acht auf den ledernen Bänken Platz nehmen können. Die restlichen Fahrgäste können stehen. Entwickelt hat ihn das US-amerikanische Start-upLocal Motors. In Phoenix, Arizona, wo sich der Firmensitz befindet, wurde bereits Ollis Vorgänger getestet. Er hat auch einen Sommer langPassagiere in Washington D.C. von A nach B befördert.

An diesem Montagmorgen will eine parteiliche Delegation den Bus kennenlernen. Mit acht Kilometern pro Stunde nimmt er sie mit auf die Erkundungstour. Die Strecke ist ihm einprogrammiert, er hat sie also „gelernt“. „Vom selbstfahrenden und -lernenden Olli sind wir allerdings noch ein Stück entfernt“, erklärt Sina Nordhoff.

Als Doktorandin an der Delft University of Technology in Kooperation mit dem InnoZ forscht sie seit Juni 2015 zur Nutzerakzeptanz von autonomen Fahrzeugen im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV). Im Rahmen ihrer Doktorarbeit sammelt und analysiert sie unter anderem auch die Daten, die ihr Ollis Fahrgäste nach der Fahrt in Form einer Umfrage mitgeben.

95 Prozent autonome Fahrt

Technisch möglich ist eine Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern. Für den Einsatz auf dem Campus ist die Geschwindigkeit jedoch derzeit auf acht Kilometer pro Stunde gedrosselt, um innerhalb der rechtlich zulässigen Campus-Geschwindigkeit von zehn Stundenkilometern zu bleiben. Das heißt, wir sind – zumindest was die Situation auf dem Campus betrifft – technisch schon fast auf dem Stand der rechtlichen Rahmenbedingungen, zumindest hier im halböffentlichen Raum“, sagt Sina.

An diesem Morgen muss Panagiotis, Ollis Sicherheitsfahrer, auch Steward, besonders aufmerksam sein, denn es befinden sich einige Hindernisse auf der sogenannten Trajektorie, den virtuellen Schienen von Olli. Diese Hindernisse können noch nicht autonom überholt werden, sodass Panagiotis manuell eingreifen und überholen muss.

An diesem Morgen springt die Anzeige dann plötzlich von grün auf rot. Aus ready wird not ready. Panagiotis hat alles im Griff: „Olli hat jetzt auf den Kleintransporter reagiert, der uns entgegenkommt. Hätte Olli nicht rechtzeitig gebremst, wäre es eng geworden."

Sina führt dann abschließend noch einmal den „Jetzt-zeigt-Olli-was-er-kann“-Test durch, denn es kommt nicht selten vor, dass sich waghalsige Passanten vor den Olli werfen, um die Grenzen der Technik auszureizen und unter extremen Bedingungen zu testen. Bis der richtige Abstand für den Brems-Test, auf den Olli auch reagiert, gefunden ist, dauert es etwas, doch es funktioniert. Die Reifen des Busses quietschen, als er aufgrund des Hindernisses abbremst.

Mit Echtzeitlaserscanner und GPS

Olli erkennt Hindernisse innerhalb von vier Metern Distanz, bremst automatisch ab und bleibt stehen. „Er kann momentan nur zwischen Statik und Dynamik, also Stehen und Fahren unterscheiden“, sagt Panagiotis. „ Der Start muss dann wieder durch mich erfolgen“, sagt er und betätigt den Joystick.

„Zwei Hindernisdetektoren an der Stoßstange des Busses sind für die Erkennung von Hindernissen zuständig. Ein Echtzeitlaserscanner befindet sich auf dem Dach, der gleichzeitig für die Erstellung einer Karte und der Lokalisierung zuständig ist. Dieses Vorgehen heißt SLAM (simultaneous localization and mapping) und bezeichnet ein Verfahren, bei dem ein Algorithmus gleichzeitig eine Karte generiert, an der sich Olli dann orientieren kann.

"Dieser Schritt ist notwendig, da Olli zu Beginn keine Karte der Umgebung besitzt und auch seine eigene Position nicht kennt", sagt Sina. "Olli arbeitet zwar auch mit einem GPS-basiertem System, doch das würde hier auf dem Campus allein nicht ausreichen, da die Gebäude zu hoch und an einigen Stellen zu eng stehen. Also brauchen wir ein redundantes System, das sich aus dem Zusammenspiel des Echtzeitscanners und dem GPS ergibt“, erklärt Sina.

„Wir sind noch weit weg von einem vollautomatisierten System“

Insgesamt 660 Fahrten mit rund 900 Fahrgästen hat Olli bereits hinter sich. Ungefähr 450 davon haben auch an der Umfrage teilgenommen.

„Es besteht eine Forschungslücke im Hinblick auf die Nutzerakzeptanz“, erklärt Sina. "Es existieren zwar Studien, die sich mit den Erwartungen, Einstellungen und Wahrnehmungen der Menschen in Bezug auf das autonome Fahren befassen, doch die meisten haben Studienteilnehmer zu einer hypothetischen Technologie befragt, die für viele noch psychologisch zu weit weg und zu abstrakt ist.“

„Im Schnitt fahren wir etwa zu 95 Prozent aller Fahrten autonom“, erklärt Sina. "Die restlichen fünf Prozent gehen hauptsächlich auf statische Elemente zurück, die sich auf den Schienen von Olli befinden und sich nicht rechtzeitig aus dem Weg räumen lassen.“

Status: Ready

Ein Display und ein Steuerungselement in Form eines Joysticks gehören zur Ausstattung des Stewards. Über ein im Fahrzeug montiertes Display bekommt der Steward Informationen zur aktuellen Position von Olli, seiner Geschwindigkeit, dem Bremsverhalten sowie zur Hinderniserkennung. Die Statusanzeige ready in grüner Schrift deutet darauf hin, dass sich Olli im autonomen Modus befindet. "Diese Displayanzeige hilft dem Steward, das Verhalten von Olli zu antizipieren, um im Bedarfsfall eingreifen zu können", erklärt Sina.

Das liegt vor allem daran, dass der höchste Automatisierungsgrad, der technisch realisiert ist, die Teilautomatisierung ist. Es ist also ein Systemverbund aus automatisierter Längs- und Querführung, bei dem der Fahrer immer aufmerksam bleiben muss, um im kritischen Bedarfsfall die Fahrkontrolle wieder übernehmen zu können. „Wir sind noch weit weg von einem vollautomatisierten System, das für uns die Kontrolle in jeder erdenklichen Fahr- und Umweltsituation übernimmt“, erklärt Sina.

Der Hype: "Als würden wir schon morgen autonom fahren können"

Das Pilotvorhaben mit Olli sei deshalb so einzigartig, da nun fast erstmalig in diesem Setting die Möglichkeit bestehe, Nutzer zu befragen, die ein autonomes Fahrzeug unter realen, fast alltäglichen Bedingungen in einem halbgeschützten Raum testen könnten.

Die Ursache dieser Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität liege vor allem am Hype um das Thema autonomes Fahren. Viele Besucher kämen mit der Erwartung, dass Olli vollkommen selbstständig fahre und würden auf den Steward ernüchtert bis enttäuscht reagieren. "Noch nicht autonom? Ich dachte, der Bus fährt zu 100 Prozent selbst", sagt auch an diesem Morgen einer der Fahrgäste zu Panagiotis.

„Wir treffen auf Erwartungen seitens der Nutzer, die den tatsächlichen technologischen Fähigkeiten von autonomen Fahrzeugen nicht entsprechen“, sagt Sina. "Die Medien vermitteln das Thema bereits so, als würden wir schon morgen autonom fahren können." Tatsächlich jedoch gäbe es noch nicht viele Menschen, die mit einem autonomen Fahrzeug überhaupt schon einmal in Berührung gekommen seien.

Steward bringt Mensch und Maschine zusammen

"Aus diesem Grund wollen wir Erwartungen managen und Aufklärung leisten", berichtet Sina weiter. "Wenn die Menschen wissen, was ein autonomes Fahrzeug kann und was nicht, wenn also Systemfähigkeiten und -grenzen bekannt sind, kann man die Erwartungen der zukünftigen Nutzer viel besser lenken und eng an die Technologienentwicklung knüpfen."

Die erste Enttäuschung der Fahrgäste würde in den meisten Fällen nach der Fahrt aber vergehen. Das bestätigen auch die heutigen Fahrgäste: "Zuerst habe ich nicht verstanden, warum ein Steward die Fahrt begleitet. Im Nachhinein muss ich sagen, dass es mich doch beruhigt hat, einen menschlichen Steward an Board zu haben."

„Durch die Betreuung und Erläuterungen des Stewards bringt er die Gäste ganz allmählich mit der Technologie in Verbindung", so Sina. "Das ist unser Vorteil, den wir hier im Rahmen des Pilotvorhabens ausschöpfen können.“

Die zehn Minuten Fahrt sind bei den vielen Fragen der Fahrgäste jedenfalls schnell um. Olli wird mal dankbar, mal wehmütig, und manchmal auch gar nicht verabschiedet. Aber er fährt weiter. Und zwar wieder vom 03.05.2017 von 9 bis 17 Uhr. Jeder kann mitfahren. Um sicherzustellen, dass Olli auch genügend Zeit für seine Fahrgäste hat und Freundschaften schließen kann, wird eine Anmeldung via E-Mail empfohlen. Wer einen Blick auf Ollis Website wirft, kann sehen, wann Olli verfügbar ist und fahren kann.

Dieser Artikel erschien zuerst auf futurezone.de

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