Klima lässt sich einfacher vorhersagen als Wetter.

Klima lässt sich einfacher vorhersagen als Wetter.

© APA/dpa/Marius Bulling

Meinung

Das Chaos mit dem Klima

„Da behauptet die Wissenschaft, die Klimaveränderungen der nächsten Jahrzehnte vorhersagen zu können – dabei bringen die doch nicht einmal einen zuverlässigen Wetterbericht für die nächsten 10 Tage zustande!“

„Da behauptet die Wissenschaft, die Klimaveränderungen der nächsten Jahrzehnte vorhersagen zu können – dabei bringen die doch nicht einmal einen zuverlässigen Wetterbericht für die nächsten 10 Tage zustande!“ Diesen ziemlich platten Kalauer hört man erstaunlicherweise heute noch immer, obwohl doch eigentlich mittlerweile alle den Unterschied zwischen Wetter und Klima verstanden haben sollten. Aber die Frage dahinter ist durchaus berechtigt: Wie seriös sind Klimaprognosen über viele Jahre, wenn wir es beim Klima doch mit einem ziemlich komplizierten System zu tun haben?

Das Berechenbare und das Chaotische

Manche Dinge kann man sehr zuverlässig vorhersagen: Wenn ich eine Tischplatte kippe und eine Kugel darauf platziere, dann wird sie nach unten rollen. Wenn ich sie ein kleines bisschen weiter links oder rechts platziere, dann ändert das nicht viel. Sie wird immer noch auf fast dieselbe Weise nach unten rollen.

Es gibt aber auch Situationen, in denen eine winzige Änderung der Anfangsbedingung zu einer großen Änderung im Endergebnis führt. Ich kann zum Beispiel ein Zündholz ausblasen und die Rauchkringel beobachten, die sich danach bilden. Auch wenn ich mich bemühe, 2 fast exakt gleiche Zündhölzer auf fast exakt die gleiche Weise auszublasen, wird der Rauch völlig unterschiedlich aussehen. Möglicherweise kann man erreichen, dass sich ganz am Anfang der erste Rauchkringel bei beiden noch auf ähnliche Weise bildet, aber der Unterschied wird immer größer und nach ein paar Sekunden hat der Rauch des einen Zündholzes mit dem des anderen Zündholzes nichts mehr zu tun. In diesem Fall spricht man von einem „chaotischen System“.

Verschiedene Zeitskalen

Oft hört man, dass man das Verhalten eines chaotischen Systems nicht vorhersagen kann – aber das ist falsch. Man kann es berechnen, nur nicht auf beliebig langen Zeitskalen. Die Bewegungen der Rauchkringel über dem Zündholz kann man mit passenden Computern vielleicht für wenige Sekunden einigermaßen präzise vorhersagen, danach wird die Prognose ungenau. Aber es gibt auch chaotische Systeme, die auf viel größeren Zeitskalen berechenbar bleiben – etwa unser Sonnensystem. Auch die Bahn der Planeten ist streng genommen chaotisch, trotzdem können wir mit großer Präzision für Jahrtausende vorherberechnen.

Und genau dieser Gedanke ist entscheidend, wenn wir über Wetter und Klima reden: Unterschiedliche Dinge werden auf unterschiedlichen Zeitskalen unvorhersehbar. Das Wetter hängt von Parametern wie Luftdruck, Windgeschwindigkeit und Temperatur ab. Es ist ein chaotisches System, das sich auf einer Zeitskala von Tagen recht gut berechnen lässt. Jede Vorhersage, die darüber hinausgeht, hat mit der Wirklichkeit vermutlich nicht mehr viel zu tun.

Das Klima hingegen ist der Wetter-Durchschnitt, über viele Jahre gemittelt. Dieser Durchschnitt hängt von ganz anderen Parametern ab. Von der Sonneneinstrahlung, von der Zusammensetzung der Atmosphäre, von dem Anteil des Sonnenlichts, das von der Erde reflektiert wird. Auch das Klima ist ein chaotisches System, aber eines, das sich auf einer Zeitskala von Jahren und Jahrzehnten recht gut berechnen lässt.

Durchschnitte berechnen ist einfach

Nichts daran ist ungewöhnlich. Im Gegenteil: Es ist in der Physik völlig normal, dass etwas auf kurzer Zeitskala zufällig und unberechenbar aussieht, auf längerer Zeitskala aber einer gut vorhersagbaren Dynamik folgt. Angenommen, ich habe 1000 Münzen. Jede Sekunde werfe ich eine, wenn ich das Ergebnis errate, darf ich sie behalten. Jeder einzelne Münzwurf ist unvorhersagbar. Doch langfristig werde ich in ungefähr 50 Prozent der Fälle richtig liegen und kann damit sehr gut ausrechnen, wie sich mein Besitz im Lauf der Zeit vergrößert. 

Wenn Kinder im Swimmingpool herumtoben und ich die Wellenhöhe an einem ganz bestimmten Punkt des Beckenrands wissen möchte, ist das kaum vorherzusagen: Sie ändert sich wild und chaotisch alle paar Zehntelsekunden. Wenn ich allerdings weiß, dass der Pool derzeit halbleer ist und ich pro Sekunde 10 Liter Wasser in den Pool leite, dann kann ich sehr genau ausrechnen, wie sich der mittlere Wasserspiegel im Lauf der Zeit ändern wird. Das Herumplantschen der Kinder ist ein zufälliger Störfaktor. Der Durchschnittswert des Wasserspiegels folgt einer anderen, viel einfacher vorhersagbaren Dynamik.

Dass man also das Klima längerfristig vorhersagen kann als das Wetter, ist in keiner Weise überraschend oder geheimnisvoll. Es ist ein ganz normales Phänomen, mit dem man in der Physik immer wieder zu tun hat. Wir sollten es daher niemandem durchgehen lassen, hier ein Mysterium zu konstruieren, das in Wahrheit niemals eines war.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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