Schnitzel am Teller
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Kommentar

"Drecks-Chemie": Die Schnitzelfraktion weiß nicht, wovon sie spricht

Ein tierisches Schnitzel wird oft als "gutes natürliches Lebensmittel" gesehen, wohingegen pflanzliche Alternativen immer wieder verteufelt werden.

Eine aktuelle Umfrage zum Thema Laborfleisch erhitzt die Gemüter. Denn laut Ergebnis spricht sich eine Mehrheit der Österreicher*innen mittlerweile für die Zulassung zum Verzehr aus. Mehr hat es nicht gebraucht: Schon standen Landwirtschaftsvertreter*innen, politische Akteur*innen und empörte Verteidiger*innen der guten alten Schnitzelfraktion bereit, um das vermeintlich Natürliche gegen das böse Künstliche aufzurechnen. Dabei zeigte sich abseits der erwartbaren politischen Debatte eines wieder einmal sehr deutlich: Viele Menschen wissen einfach nicht, wovon sie reden, wenn sie von Ekelfleisch aus dem Labor schwadronieren, Gentechnik als des Teufels Handwerk bezeichnen oder das Wort Chemie ausschließlich so gebrauchen, als würde eben diese uns mit Tötungsabsicht verfolgen. 

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Es herrscht bei nicht wenigen eine eigenartige Überzeugung, es handle sich beim Kalbsschnitzel im Beisl oder der Extrawurstsemmel in der Mittagspause per se um “gute natürliche Lebensmittel”, sozusagen echt, weil richtiges Fleisch, von einem Tier heruntergeschnitten, das einmal mit 4 Beinen im Leben stand. Herrlich. Da denkt man gleich an die schöne Werbung mit glücklichen Kühen auf verträumten Tiroler Almwiesen oder frechen kleinen Schweinderl, die selbst schlauer sind als der Bauer, von dem sie gehalten werden. Wohingegen im Labor gezüchtetes Fleisch, alleine, weil das Wort Labor darin vorkommt, per se suspekt sein muss. 

Dass das “natürliche” Schnitzerl allerdings nur selten sein Leben zuvor so malerisch verbracht hat und in den meisten Fällen auf eher unnatürliche Art und Weise produziert wurde, das ist entweder nicht im Bewusstsein oder wird erfolgreich aus diesem verdrängt. Laut Global 2000 leben nur ca. 15 bis 20 Prozent der Kühe in Österreich in Weidehaltung, der Rest muss sich damit zufriedengeben, im Stall im Kreis zu laufen. In manchen Fällen ist auch die Anbindehaltung noch im Einsatz.

Fleischproduktion ist eben keine romantische Alpenkomödie, sondern in den meisten Fällen schlichtweg knallharte, profitorientierte Industrie. Tiere werden in Land A gehalten, dann unter widrigen Bedingungen in Land B gekarrt, um nachher in Land C mundgerecht portioniert zu werden. So ehrlich muss man die Debatte, vor allem global gesehen, führen. 

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Hinzu kommt, dass die meisten Tiere nicht nur Gras und duftendes Heu fressen, sondern bewusst mit Getreide, Soja und Mais gemästet werden. Welche Mittel dann in der Verarbeitung des Fleisches eingesetzt werden, etwa auf dem Weg vom Schwein zur Wurst im Kühlregal, dürfte sich auch noch nicht überall herumgesprochen haben. Nun sind Zusatzstoffe, Haltbarmachung, etc. nicht grundsätzlich etwas Schlechtes - worauf dieser Kommentar explizit hinweisen möchte. Nur die Art und Weise, wann sie gesellschaftlich akzeptiert und wann sie als Gift bezeichnet werden, lässt nicht selten auf Uninformiertheit und Vorurteile schließen. Laborfleisch böse! Extrawurst aus der Supermarktvitrine yummy! Kuhmilch natürlich gesund! Hafermilch ideologisch verblendetes Kunstgesöff! Usw. 

Das Drüsensekret, das wir der Kuh nur abnehmen können, weil sie dafür künstlich besamt wird, damit sie ein Kalb bekommt, das dann wiederum gleich nach der Geburt von der Mutter getrennt wird und nicht selten verstirbt, damit wir effizienter melken können, wird als natürlich klassifiziert. Die Hafermilch, der man nicht einmal das Wort Milch anerkennen möchte (wirtschaftliche Interessen), gilt hingegen oft noch als künstliche Brühe - was im Grunde auf nichts anderes zurückzuführen ist, als dass wir sie keinem anderen Säugetier aus dem Körper pumpen. Die Ökobilanz von Hafermilch ist übrigens ausgezeichnet, weil der Wasserverbrauch gering und Transportwege meist sehr kurz sind. 

Natürlich ist nicht gleich gesund 

Das Problem mit den Begriffen hat seinen Ursprung häufig darin, dass “natürlich” automatisch mit “gesund” und “künstlich” mit “ungesund” gleichgesetzt bzw. verwechselt wird. Was chemisch klingt, muss giftig sein. Wohingegen alles aus der Natur mit geradezu magischer Gesundheit gleichgesetzt wird. Dabei kommen gefährlichste Gifte eben auch ganz natürlich vor, in Pflanzen, Tieren, usw. Und nicht alles, was künstlich hergestellt ist, ist deswegen schädlich, im Gegenteil. Ohne Chemie gäbe es übrigens gar nichts, auch kein Gemüse aus dem Garten. Würde man die Inhaltsstoffe von Tomate, Paprika und Gurke auflisten, klänge das auch äußerst “gefährlich”. Da finden wir dann Pektin, Flavonoide, Säuerungsmittel und Farbstoffe mit verpönten E-Nummern. 

Ein besonderes Reizthema ist in diesem Zusammenhang auch die Gentechnik, die in Österreich historisch einen besonders schweren Stand hat. Alleine das Wort “Gen” löst heute noch bei vielen Menschen ein diffuses Unbehagen aus, das unbewusst mit Künstlichkeit, Gefahr und Schädlichkeit assoziiert wird. Aber auch hier ist es ganz einfach: ohne Gene geht nichts und sind wir nichts. Dass Gentechnik, insbesondere die modernen CRISPR/Cas9-Verfahren, keine gesundheitlichen Schäden nach sich zieht, und im Grunde nichts anderes ist, als eine Beschleunigung dessen, was der Mensch beim Kultivieren von Pflanzen seit Jahrtausenden ohnehin macht, ist nur schwer in die Köpfe zu bekommen.

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Daran trägt - neben latenter Wissenschaftsfeindlichkeit - in Österreich auch eine jahrzehntelange Kampagnisierung gegen Gentechnik mit Schuld. Genmanipulierte Pflanzen werden als unnatürlich und gefährlich empfunden, während sich die Wissenschaft einig ist und dazu auch mehrfach deutlich ausgesprochen hat: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Einsatz von sogenannter Grüner Gentechnik irgendwelche schädlichen Folgen für die Gesundheit hätte. Im Gegenteil macht die voranschreitende Klimakrise den Einsatz immer notwendiger, weil Pflanzen damit widerstandsfähiger gezüchtet werden können. 

Ungleichgewicht

Das alles heißt natürlich nicht, dass es keine Regeln braucht, dass es keine gefährlichen chemischen Stoffe gäbe oder man die Salami vom Biobauern verteufeln muss. Auch hinter Sojaproduktion, im Labor gezüchteten Burgern und gentechnisch optimierten Tomaten stehen natürlich wirtschaftliche Interessen und Industrien

Grundsätzlich sollten Menschen essen, was sie mögen. Aber die hitzigen Debatten, die häufig mit Begriffen geführt werden, hinter denen sich eher Kulturkämpfe als wissenschaftliche Fakten verbergen, sollte man hinterfragen. Wenn Laborfleisch als gesundheitlich unbedenklich eingestuft und damit Tierleid auf ein Minimum verringert werden kann, der CO2-Ausstoß sinkt und man einen Beitrag zur Ernährung der Weltbevölkerung damit leisten kann, warum denn bitte nicht? Eklig? Nunja, mit Sicherheit nicht mehr als das Sekret einer künstlich geschwängerten Kuh zu trinken oder eine Masse aus Fleisch, Innereien, Schwarten und Blut, die man in Därme füllt, zu essen. Guten Appetit!

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Claudia Zettel

ClaudiaZettel

futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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