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Sind wir bereit für einen dritten Arm?

Unser Gehirn ist eines der sensibelsten Organe und hat die Fähigkeit, sich zur Optimierung laufender Prozesse permanent zu verändern – in seiner Anatomie, aber auch in seiner Funktion. Der Fachbegriff: Neuroplastizität. Unter anderem haben Forscher an der Universität Zürich nachgewiesen, dass sich bestimmte Hirnareale bei Personen, die nach einem rechten Armbruch nur noch die linke Hand benutzen, schon nach  zwei Wochen anatomisch stark verändern. Die Dicke der linksseitigen Areale reduziert sich, die rechtsseitige nimmt zur Kompensation der Verletzung zu. Die Feinmotorik der genutzten Hand verbessert sich.

Doch was passiert, wenn einem Menschen eine zusätzliche Gliedmaße „geschenkt“ wird? Um das zu erforschen, hat Neurowissenschaftlerin Tamar Makin vom University College London mehrere Personen gebeten, einen mechanischen dritten Daumen eine Woche lang zu tragen. Dieser wird über Drucksensoren mit den Zehen gesteuert.

Mehrere Fähigkeiten

Mit der Extra-Gliedmaße aus dem 3D-Drucker, entwickelt von Designerin Dani Clode, hat eine Hand fast die Fähigkeit von zwei Händen – die Probanden können mehrere Dinge gleichzeitig ausführen. „Das Bemerkenswerte daran ist: Sobald man den dritten Daumen trägt, macht er Sinn“, erzählt Makin der futurezone bei den heurigen  Alpbacher Technologiegesprächen.

Gemessen wurden die Handbewegungen und Greifreflexe mithilfe eines Datenhandschuhs. Nach der Testphase wies das Gehirn  markante Veränderungen auf: die normalerweise getrennten Areale für die Steuerung der einzelnen Finger haben überlappt und  automatisch ein angrenzendes aktiviert, sodass sich  ein anderer Finger mitbewegt. Dieses Phänomen ist auch bei der Musiker-Dystonie bekannt; sie entsteht bei übermäßigem Training hochkomplexer feinmotorischer Bewegungsabläufe der Hand, insbesondere bei Geigen- oder Pianospielern. Das Gehirn passt sich diesen an und löst damit einen Steuerungs- und Kontrollverlust der Fingermotorik aus.

Dani Clode hat den Daumen im vergangenen Jahr bei der TEDxVienna-Konferenz vorgestellt.

Makins Studie wurde in Folge verlängert und die Daten wiederholt analysiert. „Wir wollten sichergehen, dass die Probanden wieder in den normalen Zustand zurückkehren“, sagt sie. Die vorläufigen Ergebnisse weisen  darauf hin.

Schneller Nachweis

„Wenn man etwas übt, hat es irgendwann einen Effekt auf das Gehirn. Macht man es nicht mehr, verschwindet es wieder“, erklärt Gernot Müller-Putz, Leiter des Instituts für Neurotechnologie und Medizintechnik an der TU Graz. Grundsätzlich könne man über die Plastizität des Gehirns lernen. „Man weiß beispielsweise, dass sich das Gehirn beim Lernen innerhalb von 20 Minuten verändert – das kann man mit bildgebenden Verfahren nachweisen“, sagt er. Besonders interessant an Makins Untersuchung sei, dass das Gehirn auch zusätzliche Bereiche mitansteuert – beim Zehen-gesteuerten Daumen etwa über den Fuß.

Eine ähnliche Untersuchung wurde 2003 von US-Forschern durchgeführt: Affen haben einen dritten Arm – einen Roboterarm – bekommen, den sie über die Hirnfunktion gesteuert haben. Durch Elektroden wurden die Signale im Affenhirn erfasst und an einen Steuercomputer transferiert. Solche Hirn-Computer-Schnittstellen sind heute weit fortgeschritten.

Klinische Anwendungen

Müller-Putz zufolge kann Makins Studie speziell  für die Reha relevant sein. Laut Makin selbst gibt es tatsächlich zahlreiche klinische Anwendungen dafür. Alleine für amputierte Menschen. „Viele mögen Prothesen nicht. Sie sagen, sie seien zu schwer. Das sind sie aber nicht – eine Armprothese wiegt ungefähr ein Kilo. Der eigene Arm wiegt zwei bis drei Kilo“, erklärt sie. Der Daumen könnte demnach Aufschluss geben, was Prothetik wirklich braucht, um besser akzeptiert zu werden.  „Muss sie getragen werden? Braucht sie fünf Finger? Muss die Prothese ,spüren’ können?“, fragt sie. Außerdem sei sie und ihr Team daran interessiert, Menschen zu finden, die gerade erst verletzt wurden.

„Sie müssen sich sehr schnell an dieser Situation anpassen – auch hier könnte der Daumen nützlich sein“, sagt sie. Technologien, die unsere Fähigkeiten erweitern, sind der Forscherin zufolge „cool, kreativ und aufregend. Sie bieten Menschen mehr Möglichkeiten, von ihnen  zu profitieren, als zuvor geahnt.“ Ob wir jedoch schon bereit für einen dritten Daumen, Arm oder ein drittes Bein sind, bezweifelt sie, denn das habe ihren Preis.  „Beim dritten Daumen mussten die Probanden temporär das Gehen aufgeben, da er über die Zehen gesteuert wird“.

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Andreea Bensa-Cruz

Andreea Bensa-Cruz beschäftigt sich mit neuesten Technologien und Entwicklungen in der Forschung – insbesondere aus Österreich – behandelt aber auch Themen rund um Raumfahrt sowie Klimawandel.

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