Warum E-Autos kein Reserverad mehr haben
Wer sich heute ein E-Auto kauft und einen Platten hat, steht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ohne Reserverad da. Das ärgerte den US-Amerikaner Ira Newlander, der von seinem Benziner auf ein umweltfreundlicheres Fortbewegungsmittel umsteigen wollte. Darum hat er sich direkt an einen Hersteller gewandt und bei Honda nachgefragt, wieso die E-Autos der Firma über kein Reserverad verfügen. Darüber berichtet die Los Angeles Times.
Die Antwort war einigermaßen überraschend. Demnach seien es Sicherheitsbedenken, weswegen Hondas E-Autos über kein Reserverad verfügen. „Das Problem ist, dass bei einem Unfall des Fahrzeugs das Reserverad die elektrische Batterie beschädigen kann, was zu einem Ausfall der Batterie führen kann“, heißt es in einer E-Mail des Unternehmens.
Honda ist nicht der einzige Hersteller, der bei seinen E-Autos auf ein Reserverad verzichtet. Auch Teslas, der VW ID.4, der Ford Mustang Mach-E, der Hyundai Ioniq 5 oder der BMW i4 kommen jeweils ohne.
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Platz und große Reifen
Design-Experte Geoff Wardle vom Art Center College of Design erklärte gegenüber der LA Times, dass gerade bei Autos mit Antrieben abseits konventioneller Verbrenner Platzprobleme haben. Um die Reichweite zu erhöhen, müssen an den Stellen, wo sich üblicherweise Reserveräder befinden, Akkus verstaut werden, sagt Wardle. Dazu zählt auch der Bereich unter dem Kofferraumboden. Noch enger wird es bei Hybrid-Autos, die auf dem geringen Platz sowohl einen konventionellen Antrieb als auch Akkus unterbringen müssen.
Der ÖAMTC-Techniker und Leiter der Test-Abteilung Steffan Kerbl weist im Gespräch mit der futurezone auch noch auf den Umstand hin, dass E-Autos besonders große Räder haben. Das liegt einerseits daran, dass dadurch ein geringerer Rollwiderstand erreicht wird, was sich positiv auf die Reichweite auswirkt. Und es hat auch mit dem aufgrund des Akkus dickeren Wagenboden zu tun. “Durch den 10 bis 15 Zentimeter dickeren Wagenboden bin ich zwangsläufig höher. Hier spielt auch Design eine Rolle, wieso man auf größere Reifen setzt”, so der Experte.
Gewicht und Preis
Nicht zu vernachlässigen ist auch das Gewicht. Ein Reserverad in voller Größe kann zwischen 15 und 25 Kilogramm wiegen. Scott Grasman, Ingenieurwissenschaftler der Kettering University in Flint, Michigan, merkt an, dass man meinen könnte, dieses Gewicht sei bei einem Fahrzeuggewicht von mehreren Tonnen vernachlässigbar. “Wenn man versucht, jedes Bisschen an Reichweite herauszuholen, ist das einfach nur zusätzliche Last, die man spazieren fährt”, so der Techniker.
Für die Hersteller ist es laut Grasman auch eine Kostenfrage. Da E-Autos tendenziell schwerer sind, benötigen sie auch widerstandsfähigere Reifen. Durch das kaum wahrnehmbare Motorengeräusch ist bei jenen auch Lärm bzw. das Abrollgeräusch verstärkt Thema. Will man möglichst leise Reifen, sind diese auch entsprechend teurer.
All diese Faktoren können dazu führen, dass ein E-Auto-Reifen auch für die Hersteller bei der Produktion mehrere Hundert Euro kostet. Auch, wenn das im Vergleich zu den Kosten eines E-Autos gering erscheint, macht es in der Masse durchaus einen Unterschied.
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Schlechtes Sicherheitsargument
Das von Honda vorgebracht Sicherheitsargument lässt Grasman nicht gelten. Er verweist darauf, dass auch andere Bauteile die Batterie bei einem Umfall beschädigen könnten. „Was ist mit der Kopfstütze, was ist mit der ganzen Ladung, die ich in meinem Kofferraum verstaue?”, so der Techniker.
Das Argument lässt auch Kerbl vom ÖAMTC nicht gelten. “Der Reservereifen ist überhaupt kein Sicherheitsproblem”, so der Experte. “Schauen Sie sich Rennstrecken an, wo man lange Gummireifenstapel am Streckenrand hatte. Der Reifen ist eher gemacht dafür, Energie aufzunehmen. “Das ist kein gutes Argument gegen den Reservereifen, da würde mir bessere einfallen”, sagt der Techniker.
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ÖAMTC sieht Trend nicht negativ
Kerbl ortet den Trend, auf das Reserverad zu verzichten, in der gesamten Autobranche. “Es ist mehr eine Evolution, als eine Revolution”, so der ÖAMTC-Experte. Bei den Herstellern war das Reserverad nie wirklich gewünscht.
Negativ sieht er den Verzicht auf Reservereifen, gerade bei E-Autos, aber nicht. So würde der ÖAMTC seinen Mitglieder*innen oft auch davon abraten, Reifen selbst zu wechseln. Das hängt auch mit dem hohen Gewicht der E-Autos zusammen. Jenes bedeute beim Wechseln ein höheres Risiko. Auch benötige man deswegen einen entsprechend robusten Wagenheber.
Gerade am Pannenstreifen auf der Autobahn bringen sich hier Autofahrer*innen selbst in Gefahr. “Wir raten in jedem Fall dazu, langsam zur nächsten Raststätte oder Parkplatz zu fahren”. Falls es nicht vermeidbar ist, am Autobahnrand stehenzubleiben, sollte man in jedem Fall bei eingeschalteter Warnblinkanlage den Pannendienst rufen. Anschließend entweder im Auto sitzen bleiben oder sich mit Warnschutzweste in Fahrtrichtung hinter der Leitplanke vom Auto wegbewegen. Grund ist, dass das andere Fahrzeuge schlimmstenfalls mit dem stehenden Fahrzeug kollidieren können.
Sollte das integrierte Reifenüberwachungssystem, falls vorhanden, ein Problem anzeigen, solle man dies auf jeden Fall ernst nehmen und den Reifen entsprechend kontrollieren.
Nicht mehr Einsätze wegen Reifenschäden
Trotz des zunehmenden Verzichts auf Reserveräder merkt man beim ÖAMTC keine signifikante Zunahme entsprechender Einsätze. Das liege an den stetig besser werdenden Straßen sowie an den Druckkontrollsystemen.
Letztlich ist das klassische Reserverad mit Wagenheber für Kerbl ein Auslaufmodell. “Wir sind nicht erschüttert, dass es so ist”, sagt der ÖAMTC-Experte.